Stadt, Landkreis, Polizei und Jugendamt suchen nach Lösungen für die Probleme in der Innenstadt Unruhen in Kulmbach: Streetworker sollen Jugendliche bezähmen

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 Foto: red

Steinwürfe gegen Fensterscheiben, eine blutige Lippe nach einem Schlag ins Gesicht:  Am Wochenende kam es erneut zu Ausschreitungen am Kulmbacher Bahnhof. Und noch ist unklar, welche Schritte Stadt und Landkreis unternehmen, damit der Konflikt nicht weiter eskaliert. In Bamberg hat das Stadtjugendamt bereits gute Erfahrungen mit Streetworkern gemacht.

 
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"Die Streetworker-Idee halte ich grundsätzlich für eine gute", sagt  der Kulmbacher Jugendamtsleiter Klaus Schröder. Streetworker sind mobile Sozialarbeiter, die auf Jugendliche am Rande der Gesellschaft zugehen. Sie bieten jenen jungen Erwachsenen Hilfe an, die sich draußen auf Plätzen, Straßen, Spielplätzen in Bahnhöfen und Einkaufspassagen treffen. Schröder hält viel von dem Konzept, warnt aber vor allzu hohen Erwartungen: "Ein Sozialpädagoge würde auf die Schnelle nichts verändern."

Einige der Jugendlichen, die derzeit das Bahnhofsgelände unsicher machen (wir berichteten), lassen sich offensichtlich auch von Uniformen nicht beeindrucken. Dem Jugendamt sind sie teilweise bekannt. Die Behörde bietet Eltern Erziehungshilfe an. Auch die Anzeigen der Polizei landen beim Jugendamt, wenn es sich um Minderjährige handelt. "Wenn sich die Jugendlichen im öffentlichen Raum nicht an Verbote halten, hat das zwar Konsequenzen, aber eher geringfügige", sagt Schröder über die begrenzten ordnungsrechtlichen Möglichkeiten von Polizei und Justiz.

Der Jugendamtsleiter zeigt sogar Verständnis für die 15- bis 20-jährigen Randalierer. "In ihrer Entwicklung ist einiges nicht ganz so glatt gelaufen, und das über Jahre. Das ist nicht mit schnellen, einfachen Maßnahmen zu korrigieren." Die Situation sei nicht befriedigend, aber man könne die jungen Leute nicht 24 Stunden lang überwachen, damit nichts passiere. "Wir müssen die Kirche im Dorf lassen", sagt Schröder und weist darauf hin, dass nur einige wenige Jugendliche sind, die derzeit für Verunsicherung sorgen. Das ständige Überschreiten der sozialen Konventionen sei "ein ernstzunehmendes Problem", für das es jedoch kein simples Rezept gebe. Das Jugendamt will sich dennoch gezielte Reaktionen überlegen. Wenn die  Jugendlichen nicht gewillt seien, sich einzulassen, blieben aber alle pädagogischen Angebote fruchtlos, so Schröder. Auch vom Elternhaus sei wenig zu erwarten: "Die Eltern haben oft keinen entscheidenden Einfluss mehr auf die Kinder."

Der Kulmbacher Oberbürgermeister Henry Schramm spricht sich ebenfalls für überlegtes Handeln aus. "So ein Problem entsteht ja nicht von heute auf morgen. Wir müssen ein Gesamtpaket schnüren, das Landratsamt und die Polizei einbinden." Er habe sich bereits an das Sozialministerium gewandt, so Schramm, um herauszufinden, wie sich ein Streetworker finanzieren ließe. Das Innenministerium habe zudem signalisiert, dass die Polizeiinspektion Kulmbach verstärkt werde. Harte Strafen seien notwendig, sagt Schramm, doch zugleich müsse etwas unternommen werden, "um diese Jugendlichen wieder an die Gesellschaft heranzuführen."

Mit der Initiative Streetwork Bamberg gelang es dem Stadtjugendamt der oberfränkischen Nachbarstadt diese Form der Jugendarbeit erfolgreich umzusetzen. Dort hatte sich der Marktplatz zu einem Treffpunkt von Anhängern der Gothic- und Emo-Szene entwickelt. Sie hinterließen Berge von Müll und belästigten die Anwohner. Den Streetworkern gelang es, ihr Vertrauen zu gewinnen. "Das hat lange gedauert", schildert Streetworkerin Katharina Kröcker ihre Erfahrungen. "Ein Annährung funktioniert nur über intensive Beziehungsarbeit."

Seit 2004 arbeiten die Bamberger Sozialpädagogen stadtteilbezogen und seit 2009 im ganzen Stadtgebiet. Sie kümmern sich um die Altersgruppe bis 27 Jahre. Über ein Jahr habe es gedauert, bis wieder Ruhe am Marktplatz eingekehrt und eine Zusammenarbeit möglich war. Nach ihren Erfahrungen ist es sinnvoll, einen Mann und eine Frau im Team zu haben. Und die gehe immer weniger in Jugendzentren, weiß Kröcker: "Die stehen überall immer häufiger leer, weil die Jugendlichen nicht mehr kommen. Sie sind viel lieber im öffentlichen Raum."

Die Sozialarbeiter verstehen sich jedoch nicht als Aufpasser. Vielmehr wollen sie Anwälte der Jugendlichen sein. Ihnen helfen, wenn sie obdachlos sind oder in Konflikt mit der Polizei geraten. Oder ihnen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt aufzeigen. "Unsere Rolle wurde anfangs oft missverstanden", sagt Kröcker. "Wir wollen die Jugendlichen begleiten und stärken."

Ihr Kollege Thomas Lauterbach ergänzt: "Die Jugendlichen sind ein Spiegelbild der ganzen Gesellschaft, auch wenn diese Probleme mit ihnen hat. Ein 20-Jähriger will leben, er will aber auch ernstgenommen und gehört werden." Viele wollen ihre Individualität ausleben, seien jedoch zugleich psychische und emotional instabil. Weil Alkohol in der Gesellschaft weit verbreitet sei, mache es manchem nichts aus, mit der Bierflasche in der Hand durch die Gegend zu laufen. "Es lohnt sich für eine Stadt, in Streetwork zu investieren", stellt Kröcker fest. "Denn was kostet der Rest, wenn ein Jugendlicher durch sämtliche Raster fällt?"

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