Sie wollte deutsch sein und durfte nicht 14-Jährige mit deutschen Wurzeln muss nach Serbien ausreisen

Von Sarah Bernhard
Nach Ende des Jugoslawien-Kriegs machten sich viele Flüchtlinge auf den Weg nach Europa, um dort nach einem besseren Leben zu suchen. Auch die Familie von Medina. Bleiben durfte nur ein Teil der Familie. Foto: Archiv/dpa Foto: red

Medina und ihre Mutter haben Deutschland verlassen. Die 14-Jährige ist in Marktredwitz geboren, ging in Weidenberg zur Schule und liebte Fußball. Jetzt lebt sie in Serbien, wo sie zu einer unbeliebten Minderheit gehört. Weil eine Reihe von an sich richtigen Entscheidungen zu einem falschen Ergebnis führte.

 
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Medina ist weg. Vor kurzem hat sie mit ihrer Mutter Deutschland verlassen. Die 14-Jährige ging in Weidenberg zur Schule, liebte Fußball, war gerne mit ihren Freundinnen in Bayreuth zum Einkaufen.

Jetzt lebt Medina in Serbien. Ihre Familie gehört zu den Roma, in der Schule wird sie gemieden. Sie geht deshalb gar nicht erst hin. Vor lauter Verzweiflung hat sie sich in der vergangenen Woche den Unterarm aufgeschlitzt. Hat geweint, getobt, ist untergetaucht. Und hat dann resigniert.

Denn Medina fühlt sich deutsch. Und doch gibt es für sie keine Möglichkeit, in Deutschland zu leben. Schuld daran ist eine Verkettung von Entscheidungen, die – jede für sich genommen – vernünftig sind. Und doch dazu führen, dass eine 14-Jährige fast all ihre Hoffnung verliert.

Familie flieht vor dem Krieg

Alles beginnt in den 90er Jahren. Medinas Eltern, so erzählt es ihre Schwester, ziehen vom Gebiet des heutigen Kosovo nach Serbien, dort werden drei von Medinas Geschwistern geboren. Nach dem Jugoslawien-Krieg flieht die Familie nach Deutschland. Asyl bekommt sie hier nicht, abgeschoben wird sie aber auch nicht: Für Kosovo galt damals ein Abschiebestopp.

Elf Jahre, bis zum Jahr 2012, lebt die Familie in Deutschland. Medina wird geboren, ihre drei größeren Geschwister beginnen eine Ausbildung. Verfahrensmechaniker, Friseurin, Bäckereifachverkäuferin. Solide Ausbildungsberufe. Auch der Vater findet Arbeit. Medina kommt in die Schule.

Kein Abschiebestopp für Serbien

Dann kommt heraus, dass die Familie, die bei der Einreise Kosovo als Herkunftsland angegeben hat, in Wirklichkeit die serbische Staatsangehörigkeit hat. Für Serbien gilt der Abschiebestopp nicht.

Trotzdem hätte die Abschiebung aus humanitären Gründen ausgesetzt werden können, denn die Familie war gut integriert. Wenn Medinas Vater nicht straffällig geworden wäre. „Das hat die Bagatellgrenze deutlich überschritten“, sagt Ingrid Gleißner-Klein, Chefin des Ausländeramts. Keine Chance für den Vater, seine Frau und keine Chance für Medina. 2012 kehren sie nach Serbien zurück, um einer Abschiebung und der damit verbundenen Einreisesperre zu entgehen.

Geschwister bekommen eine Chance

Medina, in Deutschland geboren, muss gehen, weil sie als Minderjährige ihren Eltern folgen muss. Medinas drei ältere Geschwister, in Serbien geboren, dürfen bleiben. Weil sie gut Deutsch können, mitten in der Ausbildung stecken und gut integriert sind. „Wir wollten ihnen eine Chance gegeben“, sagt Gleißner-Klein.

Die drei Geschwister ziehen zusammen in eine kleine Wohnung, unterstützen mit ihrem Lehrlingsgehalt Eltern und Schwester in Serbien. Die pendeln. Drei Monate dürfen sie jeweils in Deutschland bleiben, dann müssen sie wieder zurück. „Die Sehnsucht nacheinander ist immer da. Wir sind ein sehr familiäres Volk“, sagt Medinas Bruder Sukri. Er heißt, genau wie Medina, eigentlich anders. Um die Familie zu schützen, hat die Redaktion alle Namen geändert.

In Serbien geht Medina nicht zur Schule. Weil die Amtssprache serbisch ist, sie aber nur albanisch spricht. „Im Kosovo sind wir nicht willkommen, weil wir einen serbischen Pass haben, in Serbien nicht, weil wir albanisch sprechen“, sagt Sukri.

Medina hält es nicht mehr aus

Nicht nur die Schule ignoriert Medina, auch sonst ist ihr alles egal. Sie verlässt kaum noch das Haus. „Den ganzen Tag saß sie bei mir und wir stritten. Sie wurde immer aggressiver“, sagt ihre Mutter. Im Herbst des vergangenen Jahres, Medina ist 14 Jahre alt, hält sie es nicht mehr aus. Sie bittet ihre Mutter, es nochmal mit dem Asyl in Deutschland zu probieren. Ihre Mutter sagt ja.

Im Oktober kommen sie nach Deutschland. „Dass sie wieder in die Schule gehen könnte, war wie ein Sechser im Lotto für sie“, sagt Bruder Sukri. Sie kommt in die siebte Klasse, strengt sich an, verbessert sich. Die Chefin ihrer Schwester bietet an, ihr nach ihrem Schulabschluss in zwei Jahren eine Lehrstelle im Friseursalon anzubieten.

Asylantrag ist "offensichtlich unbegründet"

Doch mittlerweile wurde Serbien zum sicheren Herkunftsland erklärt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge prüft Asylanträge wie die von Medina und ihrer Mutter nur noch pauschal. Im Januar werden ihre Anträge als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Die wenigen Einspruchsmöglichkeiten, die ihnen bleiben, schöpfen sie aus. Ohne Erfolg.

Es bliebe nur noch, Medina in Deutschland einen Vormund zu bestellen. Doch ein weiteres Mal kommt die Straffälligkeit ihres Vaters zum Tragen. Weil minderjährige Kinder in Deutschland ein Recht darauf haben, mit ihren Eltern zusammenzuleben, könnte Medina ihre Eltern nach Deutschland holen. „Es steht das Recht des Kindes gegen das Recht der Öffentlichkeit, vor Straftätern geschützt zu werden“, sagt Gleißner-Klein. Und lehnt ab.

Wie ein Baum, der herausgerissen wird

Medinas Klassenlehrer Thomas Moder versteht diese Entscheidung nicht. „Sie kann doch nichts dafür“, sagt er. „Sie ist wie ein Baum, der Wurzeln geschlagen hat und dann herausgerissen wird.“ Auch ihre Fußballtrainerin Birgit Sedlmeier schüttelt den Kopf. „Früher hat Medina viel gelacht, zum Schluss war sie sehr verschlossen.“ Nach der Ablehnung droht Medina, sich umzubringen, wird für eine Woche ins Bezirkskrankenhaus eingewiesen. Danach taucht sie unter, um der Abschiebung zu entgehen.

Doch ewig kann sie sich nicht verstecken, das weiß auch die 14-Jährige. Wenn sie erwischt würde, dürfte sie jahrelang nicht mehr nach Deutschland einreisen. Jahre ohne ihre Geschwister. Also beschließen Medina und ihre Mutter, freiwillig auszureisen. Um zurückkommen zu können. Und wenigstens ein kleines bisschen Hoffnung zu behalten.

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