Schienen-Jubiläum Zehn Jahre Automatik-U-Bahn Nürnberg

Von Klaus Tscharnke,
Ein Junge steht an der Frontscheibe der vollautomatischen U-Bahn und blickt in das U-Bahn-Tunnel. Foto: Daniel Karmann/dpa Quelle: Unbekannt

Nürnberg. Ein Steuerstand fehlt, stattdessen drängen sich Väter mit ihren Kindern hinter der Frontscheibe: Für Touristen ist Nürnbergs Automatik-U-Bahn noch immer ein Hingucker. Bei Einheimischen ist die „Geister-U-Bahn“ allenfalls wegen der hohen Kosten ein Thema.

 
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Nürnberg

Von Klaus Tscharnke, dpa

Irritiert reagieren allenfalls Touristen - für Pendler ist das Ganze schon lange kein Gesprächsthema mehr: Seit zehn Jahren rollen in Nürnberg etliche U-Bahnen vollautomatisch durch den Untergrund. Statt eines Fahrers steuert ein komplexes Zusammenspiel von Computern, Sensoren und Detektoren die Züge - der Platz hinter der Frontscheibe gehört neugierigen Fahrgästen.

Und die stellen beim Blick in die Tunnelröhre oft erstaunt fest: Nürnbergs U-Bahnnetz gleicht auf einigen Abschnitten einer kurvenreichen Berg- und Talbahn. „Geisterbahn auf Monatskarte“, frotzeln manche Nürnberger.

Hohe Kosten

Leicht war der Weg dahin nicht. Im Stadtrat ist die Automatik-U-Bahn bis heute umstritten. Vor allem die Grünen lamentierten bis zuletzt über die hohen Kosten für die Automatisierungstechnik auf der neuen U-Bahn-Linie 3 und der U2. Die waren seinerzeit mit 110 Millionen Euro auch nicht gerade ein Pappenstiel.

Der frühere Projektleiter Andreas May ist von der Entscheidung für die Automatik-U-Bahn dennoch bis heute überzeugt: „Wir haben einen guten Weg beschritten - vor allem zum richtigen Zeitpunkt“. Die Verkehrs Aktiengesellschaft (VAG) hatte damals den anstehenden Bau der U-Bahnlinie 3 genutzt, um diese als fahrerlose Strecke auszubauen. Seit 2009 fahren auch Züge der Flughafen-U-Bahnlinie 2 ohne Fahrer durch Nürnbergs Untergrund.

Umso mehr überrascht selbst Fachleute, dass bisher keine deutsche Stadt dem Beispiel der Frankenmetropole in Sachen Hightech-U-Bahn gefolgt ist. Ein Grund sind nach Experteneinschätzung wohl auch die hohen Kosten für die Technik: Die muss so sensibel gestrickt sein, dass sie beispielsweise eine achtlos auf die Gleise geworfene Zeitung von einem ins Gleisbett gestürzten Fahrgast unterscheidet.

Hamburg will nachziehen

Allerdings dürfte Nürnbergs Alleinstellung in diesem Punkt schon bald enden. Denn Hamburg will seine neue U-Bahnlinie 5 auf gesamter Länge vollautomatisch betreiben. Anders als in Nürnberg sollen in der Hansestadt allerdings Servicemitarbeiter die fahrerlosen Züge begleiten und sich um die Fahrgäste zu kümmern. Eine Umrüstung der bestehenden U-Bahn-Linie sei nicht geplant. Das wäre zu teuer, berichtet der Sprecher der Hamburger Hochbahn AG, Christoph Kreienbaum.

Anfängliche Ängste mancher Nürnberger Fahrgäste, eine computergesteuerte U-Bahn garantiere nicht die Sicherheit wie ein von Menschenhand dirigierter Zug, hat der Betreiber VAG schon bald zerstreuen können. Seit dem Start im Juni 2008 haben die vollautomatisch betriebenen U-Bahn-Züge Millionen von Kilometer nahezu unfallfrei zurückgelegt. Ohne Kinderkrankheiten und die eine oder andere kritische Situation ging es dennoch nicht ab, wie May einräumt.

Aufgeschreckt hat die Nürnberger U-Bahnbetreiber im März 2017 etwa ein Unfall an der U-Station Hauptbahnhof. Dort war ein Bub in den Spalt zwischen U-Bahn und Bahnsteigkante geraten. Schlimmeres verhinderte ein Fahrgast, der sich auf den Boden warf und den Buben eiligst herauszog. Hätte ein anderer Fahrgast nicht zugleich den Nothalt gedrückt, wäre die U-Bahn wohl losgefahren. Denn, so räumt May ein: „Die Automatik-U-Bahn hat an den Seiten keine Sensoren“, der solche Gefahrensituation erkenne und entsprechend reagiere.

Kinderkrankheiten

Ein bisschen zum Gespött wurde die fahrerlose U-Bahn im Januar 2017, als sie mitten auf einer zentralen U-Bahn-Kreuzung im Herzen Nürnbergs zum Stehen kam. Der Grund: Ein Entgleisungsdetektor an den Rädern war offenbar zu empfindlich eingestellt und hatte beim holprigen Passieren einer Weiche die Bahn scharf abgebremst - der Zug kam zum Stehen. 50 Fahrgäste mussten im Tunnel den Weg zur nächsten Station zu Fuß zurücklegen. Mit einer „Feinjustierung“ wurde das Problem behoben.

Solche „Kinderkrankheiten“ werden in Mays Bilanz freilich von zahllosen Vorteilen der „Robo-Züge“, wie sie einmal die „Zeit“ nannte, vielfach aufgewogen. „Wir sind mit der Automatik-U-Bahn sehr flexibel geworden“, erzählt der frühere Projektleiter, der bei der VAG inzwischen Betriebsleiter für den Schienenverkehr ist. Bei Großveranstaltungen könnten schnell mal zwei oder drei zusätzliche Züge eingesetzt werden, ohne Fahrer aus dem Feierabend holen zu müssen.

Nach zwölf Jahre amortisiert

Außerdem: Dank der modernen Technik rollten die Bahnen zumindest auf der Stammstrecke im 100-Sekunden-Takt. Und auch in wirtschaftlicher Hinsicht dürfte sich das Projekt in gut zwei Jahren - also zwölf Jahre nach Betriebsstart - amortisiert haben.

Die VAG habe mit der Automatisierung 105 U-Bahnfahrer eingespart, entlassen worden sei aber keiner. Etliche würden jetzt als Service-Mitarbeiter in den U-Bahn-Stationen eingesetzt. Etwas größer sei hingegen der Wartungsaufwand. Schließlich sei die Technik der fahrerlosen Züge komplexer als die der konventionell gesteuerten Züge.

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