Regionale Gesundheitsversorgung „Wir brauchen eine Revolution“

Von Roland Töpfer
Diskutierten im Energiepark Hirschaid über Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum: Klaus von Stetten (Freie Wähler), Johannes Wagner (Grüne), Moderator Matthias Will (Ressortleiter Wirtschaft Frankenpost/Neue Presse) Martina Stamm-Fibich (SPD), Thomas Hacker (FDP) und VBW-Geschäftsführer Ivor Parvanov (von links). Emmi Zeulner (CSU) war online zugeschaltet. Foto: Sebastian Buff

Oberfranken wird älter: Der Bereich Gesundheit und Pflege gewinnt an Bedeutung. Gesundheitsexperten und Politiker aus der Region auf der Suche nach Lösungen.

 
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Hirschaid - Rasant steigende Pflegekosten, Ärztemangel auf dem flachen Land, Krankenhäuser in finanziellen Schwierigkeiten, fehlendes Personal: Die Herausforderungen bei Pflege und Gesundheit sind enorm. Mit Gesundheitsexperten der Region diskutierte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) im Energiepark Hirschaid mögliche Lösungswege. Viele waren sich einig: „Wir brauchen eine Revolution.“

Die soll auch kommen, wenn es nach Emmi Zeulner, CSU-Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis Kulmbach-Bamberg-Lichtenfels, geht. Diese „Revolution“ will sie in der nächsten Legislaturperiode mit anschieben. Es gehe darum, dass Familien den Beitrag für die Pflege stemmen können, und dass es „mehr Hände an den Betten“ statt immer mehr Bürokratie gebe. Mit flächendeckenden Modellarztpraxen, in denen sich Bayreuther Medizinstudenten fortbilden können, will Zeulner bewirken, dass einige spätere Ärzte in der Region bleiben.

Gerade in Oberfranken würden die Themen Gesundheit und Pflege immer dringlicher. Laut VBW-Geschäftsführer Ivor Parvanov (Sozial- und Gesellschaftspolitik) wird es im Bezirk bis 2039 rund 28 Prozent mehr über 65-Jährige geben als heute. Für die Betriebe würden Gesundheitsversorgung und Pflege zu immer wichtigeren Standortfaktoren. Wenn der Kinderarzt fehle, sei es schwierig, junge Familien zu gewinnen. Man dürfe die Gesundheitsversorgung nicht nur unter Kostenaspekten sehen, betonte Parvanov. Die VBW hatte Unternehmen aus Oberfranken befragt mit deutlichem Ergebnis: Über 92 Prozent sehen großen Handlungsdruck bei der Sicherstellung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung.

Pro und kontra Bürgerversicherung

Eine Bürgerversicherung, also die Zusammenführung von gesetzlichen und privaten Krankenkassen, lehnt Parvanov in der von Matthias Will (Ressortleiter Wirtschaft Frankenpost/Neue Presse) moderierten Veranstaltung, ab. Man brauche diesen Wettbewerb der Systeme, es gebe Mehrerlöse durch Privatpatienten, die Parvanov für einen niedergelassenen Arzt im Landkreis Kronach auf 85 000 Euro im Jahr bezifferte. „Ohne Privatversicherte kommt weniger Geld ins System.“

Das sieht Johannes Wagner, Kinderarzt und Bundestagskandidat der Grünen für Coburg/Kronach, ganz anders. Die Mehrheit der Deutschen sei für eine Bürgerversicherung, auch die Bertelsmann Stiftung empfehle sie. Ärzte hätten auch keine Einkommenseinbußen, wenn mit einer Bürgerversicherung die Sätze für Niedergelassene angehoben würden. Viele Gutverdiener müssten in die gesetzliche Versicherung wechseln, das Beitragsaufkommen würde steigen. In der Pflege sieht Wagner nicht die Bürokratie als wichtigste Stellschraube. „Die Pflegekräfte sind unterbezahlt.“ Menschen auf dem Land müssten zu Hause alt werden können, „weil der stationäre Bereich extrem teuer ist“. Abwerbung von Pflegepersonal aus dem Ausland ist für Wagner „ein Unding“, weil es auch dort Engpässe gäbe. „Wir müssen vor Ort die Probleme lösen.“

Klaus von Stetten, Chef des Bayreuther Gesundheitsamtes, fordert bessere Anreize für eine gute medizinische Grundversorgung auf dem Land. „Das ist wie bei der Feuerwehr. Die leisten wir uns auch, und wenn’s brennt, sind sie da.“ Immer mehr medizinisches Personal würde sich für einen Verwaltungsjob im Gesundheitsamt melden. Von Stetten sprich von einem „massiven Zulauf“. Eine Bürgerversicherung lehnt er ab. Das würde teurer, „als wenn wir das System des Wettbewerbs beibehalten“.

Mitarbeiter vor Rendite

Die Erlanger SPD-Bundestagsabgeordnete und Patientenbeauftragte Martina Stamm-Fibich möchte eine Pflegevollversicherung einführen: „Wir kommen nicht drum herum.“ Renditeerwartungen dürften nicht über Belegschaften bestimmen.

Nach Meinung des Bayreuther FDP-Bundestagsabgeordneten Thomas Hacker „gibt es einfach zu wenig Mitarbeiter“. Es müsse mehr Zeit für den Menschen, weniger Zeit für Dokumentationen geben. In Sachen Bürokratie aber liege Deutschland auch hier an der Spitze. Wenn man Patienten im Minutentakt abarbeiten müsse, entspreche das nicht der inneren Überzeugung. „Dafür brauchen wir die Revolution.“

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