Es ist genau 23.45 Uhr, als am vergangenen Sonntag die traurige Nachricht von der Deutschen Presse-Agentur vermeldet wird – per Eilmeldung: Wolfgang Wagner lebt nicht mehr. Eine Meldung, nur drei Zeilen lang, die bewegt: Bayreuth und die ganze Kultur-Welt. Sie verbreitet sich rasch per Online- und Handyticker, füllt Sondersendungen der ARD, des Bayerischen Fernsehens und die Titelseiten großer Zeitungen. Das Medien-echo ist gewaltig. Wolfgang Wagner: der „Hüter und Herrscher“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“), ein „Impresario“ („New York Times“) oder „das werktreue Gewissen“ („Süddeutsche Zeitung“). „Welt“-Feuilletonist Manuel Brug schreibt vom „Hüter des Grals“: „Mit dem Tod von Wolfgang Wagner geht nicht nur ein erfülltes Leben, sondern auch letztgültig das Nachkriegskapitel der Kunst in Deutschland zu Ende. Er war Erbe eines großen Namens, Festspielstratege, Verwaltungsfuchs, fränkisches Schlitzohr.“ Den ganzseitigen Nachruf ziert ein großes Foto vom letzten großen öffentlichen Auftritt des langjährigen Festspielleiters, das war 2008 – die Eröffnung der 97. Richard-Wagner-Festspiele: Katharina Wagner küsst zärtlich ihren Vater.

Letzter Coup posthum

Im Hauptberuf sei er Enkel gewesen, außerdem Zweitgeborener, blickt Eleonore Büning in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zurück. Und: Einer seiner letzten Coups werde erst posthum, in diesem Sommer, ans Licht treten: „Nicht die Töchter waren es, vielmehr er selbst hatte Hans Neuenfels engagiert für dessen spätes Bayreuther Regie-Debüt mit dem Lohengrin.“ Wieland Wagner habe es einst prophezeit: Ohne ihn gingen die Festspiele weiter, ohne den Bruder Wolfgang nicht. Er habe sich zumindest zur Hälfte geirrt, meint Büning. Denn dass auch fortan Richard Wagners Hauptwerke gespielt werden in Bayreuth unter Leitung eines Wagner-Sprösslings, dafür habe Wolfgang Wagner gesorgt: „Er wollte nicht der letzte Hüter auf dem Hügel sein.“

Der Enkel Richard Wagners sei Meister der Verweigerung gewesen, findet die „Süddeutsche Zeitung“. Formlos fränkisch, manchmal auch unverblümt cholerisch sei er gewesen. Mit einer Selbstverständlichkeit habe man das Tun hingenommen – „manchmal etwas überdrüssig, weil der eigensinnige Alte immer noch am Grünen Hügel wirkte. Aber nun würden wir spüren, wie sehr er uns fehlt und wie einzigartig auch dieser Enkel sein Jahrhundert geprägt hat“.

Versprecher mit Zukunft

Sein Vermächtnis sei die gesicherte Zukunft der Festspiele, heißt es auf „Spiegel Online“: „Auf seiner letzten Pressekonferenz vor einigen Jahren verkündete er, die Finanzen der Festspiele ,bis zum Jahr 3000‘ gesichert zu haben. Niemand hätte gewagt, den Versprecher zu korrigieren. Wenn die Festspiele weiter erfolgreich vor sich hinschippern, wird dies auch sein Werk sein. Noch eines ist sicher: So viel zu lachen wie unter seiner Ägide bekommen wir gewiss nicht mehr.“

Selbst der Boulevard berichtet groß, überschreibt die halbe Seite in großen Lettern: „Der Grüne Hügel trägt Schwarz.“ Mit Wagner sterbe „ein Stück ruppige, unangepasste deutsche Seele“, meint Axel Brüggemann in „Bild“. Am Ende habe dann seine sanfte Seite gesiegt. Nachdem Frau Gudrun starb, kehrte Eva zurück: Heute leitet sie die Festspiele gemeinsam mit Halbschwester Katharina. Und weiter heißt es: In Wagner-Opern sei der Tod eine Erlösung. „Wenn es heute donnert, wissen wir, dass Wolfgang sich wahrscheinlich mit dem Herrgott zofft. Die große Oper geht im Himmel weiter.“

Die „Taz“ sieht das „Ende der großen Oper“ und zieht einen Vergleich mit dem Papst: „Natürlich wird Wolfgang Wagner jetzt gelobt für sein großes Charisma (...). Mit ,Charisma‘ umschreibt man in einer positiven Umbewertung gerne eine Autorität, die sich ähnlich wie der Papst nie zu Fehlern bekennen will.“

Gewaltiger als der Meister

Die einflussreiche „New York Times“ nennt Wolfgang Wagner „Impresario“, den Manager, den Chef. Er sei vor allem für seinen dynastischen Machtkampf bekannt gewesen, der gewaltiger gewesen sei, als es der große Meister Richard Wagner je hätte zu Papier bringen können, schreibt Margalit Fox.

Wagners Tod schlägt große Wellen, auch international – „der Ordner“, beschreibt die spanische Tageszeitung „El País“ den ehemaligen Hügel-Chef. Von knapp 2000 Internet-Meldungen in den vergangenen zwei Tagen sind über 200 fremdsprachig: Mexiko, Venezuela oder Portugal. Dies zeigt: Das Wirken Wilhelm Richard Wagners, wie sein voller Name lautet, ist allgegenwärtig. In Zürich zieren Abbilder von Beethoven, Mozart und eben Wagner die hölzerne Bank eines Züricher Cafés – die Komponisten schielen auf das Redaktionsbüro der „Neuen Züricher Zeitung“. Diese sieht den langjährigen Festspielleiter als „Erneuerer, Bewahrer, Verhinderer“. Seine Beharrlichkeit sei wesentliche Voraussetzung dafür gewesen, dass sich die Bayreuther Festspiele nach dem Krieg auferstehen und sich künstlerisch neu positionieren konnten.

Der Entdecker

Erstaunlich lang habe sich der Patriarch auf dem Grünen Hügel so den Ruf des Entdeckers bewahren können. „Mit Stefan Herheims Parsifal-Inszenierung, die im Bühnenweihfestspiel die Geschichte der Bayreuther Festspiele miterzählte, hat sich der Kreis von Wolfgang Wagners Wirken sinnreich geschlossen.“

Ein bewegtes Leben ging am Sonntag zu Ende. Und zum Schluss bewegte er Bayreuth und die ganze Kultur-Welt ein letztes Mal. Wolfgang Wagner starb am Sonntag, wie es heißt friedlich, in seinem Haus auf dem Grünen Hügel.