Pfarrer und Schiedsrichter Klaus Loscher über die Ersatzreligion Fußball Pfarrer: Jesus würde Libero spielen

Von Katharina Wojczenko
Er pfeift mit 74 Jahren noch bei Wind und Wetter: Klaus Loscher, Pfarrer im Ruhestand, am Montag beim Bolzplatzturnier des Stadtjugendamts am Roten Hügel. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Sie singen Choräle für Özil, Neuer und Boateng. Sie huldigen im Stadion nicht Gott, sondern Götze. Ist Fußball zur Ersatzreligion geworden? Ja, sagt Klaus Loscher (74). Ein Interview über Fußballgötter, volle Stadien und leere Kirchen.

 
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Was haben Fußball und Religion gemeinsam?
Klaus Loscher: Fußball und Religion sind wie Geschwister. Beiden geht es um den Menschen, nur zu verschiedenen Zeiten. Für die Kirche ist die heilige Zeit am Sonntagvormittag, für die Amateurfußballer am Sonntagnachmittag. Beide vermitteln Werte. Die Kirche Gottvertrauen, der Sport Selbstvertrauen.

Fußballgott: Die Hamburger Band Fettes Brot hat einen musikalischen Gottesdienst komponiert.

Bei der Live-Berichterstattung sprechen Reporter schon mal von Toren, die Erlösung bringen, und von Fußballgöttern. Wie finden Sie das?
Loscher: Da zucke ich schon zusammen. Solche Bilder darf man nicht verwenden. Der Theologe Helmut Thielicke sagte, wo der Übermensch kultiviert werde, sei der Unmensch nicht weit. Wir Menschen haben Fehler und Schwächen, Gott hat uns seinen Sohn gesandt, um uns davon zu erlösen.

Den Begriff des Fußballgotts hat der Hörfunkreporter Herbert Zimmermann geprägt, beim später sogenannten "Wunder von Bern". Torwart Toni Turek hielt damals mit einer fantastischen Parade. Zimmermann rief: "Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!" Das geht mir zu weit. Vor allem, weil Turek in der ersten Halbzeit einen ganz leichten Ball durchgelassen hat...

Fußballgott, das Original: So war das 1954 in Bern mit Toni Turek.

Auf welcher Position würde Jesus spielen?
Loscher (überlegt): Auf der Position des Schwächeren, weil das seine Seite ist. Oder wäre er Schiedsrichter? Die Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach schrieb dazu: "Der Platz des Unparteiischen ist auf Erden zwischen den Stühlen, im Himmel aber wird er zur Rechten Gottes sitzen." Wenn ich aber nachdenke, kommt nur eine Position in Frage: Libero. Jesus stürmt als gutes Beispiel voran und gibt dem Ganzen seinen Halt, auch in Zeiten der Niederlage.

Viele Kirchen sind am Sonntag fast leer, die Zuschauerränge der Fußballplätze aber voll. Woran liegt das?
Loscher: Das liegt daran, dass die Predigt oft langweilig ist und die Pfarrer von der Kanzel über die Sportler und deren Marotten schimpfen. Im Ernst: Die Pfarrer sollten auch mal von ihrem hohen Ross heruntersteigen und sich bei den Fußballern sehen lassen. Warum nicht einen Gottesdienst auf dem Fußballplatz feiern? Wir haben das in Laineck schon mehrere Male gemacht.

Fluchen, jubeln, weinen: Bei gläubigen Menschen sind solche heftigen Gefühlsäußerungen in Bezug auf Gott relativ selten. Aber wenn die Deutschen in der 90. Minute das Gegentor kassieren, fließen die Tränen. Warum schaffen das 22 Männer, die einem Ball hinterherlaufen - aber nicht die Religion?
Loscher: Ich glaube, dem Menschen ist das "schneller, höher, weiter" eingeboren. Beim Fußball hat man die Freude am Spiel, am Sieg direkt vor Augen. Ein Pfarrer, der seine Predigt im stillen Kämmerlein ausgebrütet hat, bringt seine Botschaft oftmals nicht so direkt rüber.

Vielleicht kann und will die Kirche aber damit gar nicht mithalten. Christus sagt schließlich zum Apostel Paulus: "Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig" Es geht also um Demut. Sport ist ein Spiegel des Lebens, der Leistungsgesellschaft. Die Kirche muss den Menschen helfen, nach dem Wettkampf wieder zurecht zu kommen - und zwar nicht nur den Siegern.

Der Bayreuther Klaus Loscher ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand und war Jahrzehnte Schiedsrichter. Seine Magisterarbeit hat er über die Einstellungen aktiver Sportler zur Volkskirche in Oberfranken geschrieben. Heute pfeift er noch beim Bolzplatzturnier des Stadtjugendamts.

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