Neiddebatte nicht angebracht Windräder und Stromtrasse: Muss Franken für den Stromhunger des Südens bluten?

Von Moritz Kircher
Windradbaustelle im Lindenhardter Forst: Fachleute sagen, dass Oberfranken mit dem Ausbau der Windenergie weitermachen muss, um die Energiewende in der Region voranzutreiben. Foto: Ronald Wittek Foto: red

"Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“ Wer in diesen Wochen und Monaten auf eine der zahlreichen Protestveranstaltungen gegen die geplante Stromautobahn quer durch Oberfranken geht, wird diesen Satz von einem der Redner hören. Doch das stimmt wohl nicht ganz. Will Oberfranken seine Hausaufgaben wirklich machen, geht das wohl größtenteils nur über die Windkraft.

 
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Überall schießen die Windräder wie Pilze aus dem Boden. Und jetzt sollen die Menschen hier mit dem Bau des als „Monstertrasse“ verschrieenen Projektes noch weiter bluten für den Energiehunger des wohlhabenden Südens? Haben wir hier unsere Hausaufgaben in Sachen Energiewende wirklich schon gemacht gemacht? „Darauf gibt es keine pauschale Antwort“, warnt Markus Ruckdeschel, Sprecher der Energieagentur Nordbayern, gleich vor.

Würde Oberfranken das bisher geleistete tatsächlich als Hausaufgabe einreichen, gäbe es dafür wohl höchstens eine Vier Minus. Denn in Oberfranken ist man noch weit davon entfernt, den eigenen Strombedarf - wenigstens rein rechnerisch - aus erneuerbaren Energiequellen zu decken. Das haben Berechnungen ergeben, die der Verein Energievision Frankenwald durchgeführt hat. Die Hausaufgaben gemacht? Genau diese These wollte der Vereinsvorsitzende Wolfgang Degelmann damit auf den Prüfstand stellen. „Ich war selbst überrascht von dem Ergebnis“, sagt er.

Oberfranken mal am Ende, mal im Mittelfeld der Klasse

Je nachdem, in welchem Verhältnis man die Erzeugung erneuerbarer Energien sieht, landen die fränkischen Städte und Kreise im bayernweiten Vergleich mal weiter am Ende der Tabelle, mal reicht es für Plätze im Mittelfeld. Ob in Relation zur Fläche oder zum Stromverbrauch: Die Spitzenplätze gehen stets in den Süden (siehe Karte). Auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat der Verein Energievision Frankenwald die Stromerzeugung gesetzt. Das Ergebnis ist ähnlich.

(Ein hochauflösende Version der Karte finden Sie hier.)

Daraus zieht Degelmann den klaren Schluss: „Wir haben nicht das Recht, den Oberbayern vorzuwerfen, sie tun nichts für die Enerneuerbaren.“ Dass dieser Eindruck entsteht, führt Degelmann auf den Ausbau der weithin sichtbaren Windkraftanlagen zurück, der vor allem in Franken stattfindet. Der Süden, sagt der Energievision-Vorsitzende, mache eben mehr mit Photovoltaik und Biogas. Und diese Anlagen ragen eben nicht - wie ein Windrad - bis zu 200 Meter hoch in die Landschaft. Trotz der fast überall weithin sichtbaren Symbole der Energiewende sagt Markus Ruckdeschel: „Wir haben unsere Potenziale nur ansatzweise ausgeschöpft.“

Er ist überzeugt, dass zumindest beim Stromverbrauch der vollständige Umstieg auf Erneuerbare möglich ist. Bernd Rothammel, Regionalmanager am Landratsamt Bayreuth, sieht es ähnlich. Berechnungen, die der Landkreis im sogenannten integrierten Klimaschutzkonzept angestellt hat, haben ergeben, dass noch viel Luft nach oben ist. Das Potenzial betrage etwa das Vierfache von dem, was momentan erzeugt wird.

Die Energiewende ist ein Klassenziel der jüngeren Vergangenheit

Der Süden macht es vor. Der Landkreis Rosenheim, zum Beispiel, erzeugt fast viermal so viel Strom aus Erneuerbaren, wie seine 250.000 Einwohner verbrauchen. Sind nun plötzlich die Oberbayern die Vorzeigeschüler in Sachen Energiewende? Dagegen wehrt sich Rothammel. „Wenn wir von Hausaufgaben für die Energiewende reden, müsste man die Wasserkraft rausrechnen“, sagt er. Denn die Energiewende ist ein Klassenziel der jüngeren Vergangenheit. Die Produktion von Strom aus Wasserkraft wird im Süden aber schon seit Jahrzehnten betrieben - und steckt in den Berechnungen von Energievision Frankenwald mit drin. Rothammel wirbt für eine differenziertere Betrachtungsweise. „Je mehr man pauschalisiert, desto ungerechter wird man“, sagt er.

Hausaufgaben hin oder her: Das Klimaschutzkonzept, das der Landkreis gemeinsam mit der Energieagentur erarbeitet, soll in Kürze fertig werden. Die Ausbauziele für Erneuerbare Energien könnten in erster Linie durch den Zubau von Photovoltaik auf Häusdächern erreicht werden und durch neue Windräder.

Landkreis Bayreuth deckt 43 Prozent seines Strombedarfs aus Erneuerbaren

Das deckt sich mit den Aussagen von Wolfgang Degelmann. Er hält den Ausbau der Windkraft in Franken für den richtigen Weg. „Die Wasserkraft ist es für uns nicht“, stellt er fest. „Franken ist die wasserärmste Ecke Bayerns.“ Für weitere Biogasanlagen seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen mittlerweile zu schlecht.

Knapp 43 Prozent des eigenen Strombedarfs decken die im Landkreis Bayreuth erzeugten erneuerbaren Energien. Die Zahlen von Energievision und Landratsamt gleichen sich. Ein genauerer Blick in das Klimaschutzkonzept zeigt allerdings, dass die einzelnen Gemeinden im Landkreis sich stark unterscheiden. Während einige Gemeinden rechnerisch fast doppelt so viel Strom erzeugen wie sie verbrauchen, dümpeln andere zwischen zehn und 20 Prozent herum. Hier könnte die Photovoltaik Abhilfe schaffen. Degelmann findet: „Jedes Dach, das irgendwie geht, sollte man bestücken.“ Der Süden habe es schon vor Jahren vorgemacht.

Hausaufgaben machen, zurücklehnen und sagen, wir haben jetzt genug gemacht - davon Markus Ruckdeschel von der Energieagentur ohnehin nichts. Er sagt: „Die Energiewende wird uns noch die nächsten 20 bis 25 Jahre beschäftigen.“

Kritik an Abstandsregel für Windräder reißt nicht ab

Die Windenergie als wichtiger Baustein für die Energiewende in Oberfranken? Gerade sie könnte es künftig schwer haben in Bayern. Mittlerweile liegt ein Gesetzentwurf vor, der den Mindestabstand von Windrädern und Wohngebieten in Bayern auf das Zehnfache der Höhe eines Windrades (etwa zwei Kilometer) festlegt. Bis Ende des Jahres will die CSU im Bayerischen Landtag die sogenannte 10H-Regel zum Gesetz machen.

Kritik daran kommt von der Opposition, von der Energieagentur Nordbayern und vom Bayerischen Gemeindetag. Die Grünen wollen gegen das Gesetz klagen, sobald es in Kraft tritt, kündigt Martin Stümpfig an. Der Energieexperte der Grünen-Landtagsfraktion sieht in der 10H-Regel eine Analogie zur verbotenen Verhinderungsplanung. Sprich: Die Flächen, die per Gesetz von der Nutzung für die Windkraft ausgeschlossen sind, sind so groß, dass kaum noch neue Windräder gebaut werden können.

In einem Urteil aus dem Jahr 2008 hat das Bundesverwaltungsgericht bereits festgestellt, dass Gemeinden ihre Ausschlusskriterien für Windräder nicht so festlegen dürfen, dass kein „substanzieller Raum“ mehr für den Ausbau der Windkraft bleibt. Außerdem, so Stümpfig, sei der Abstand „völlig willkürlich festgelegt“.

Wird Gemeinden Entscheidungsfreiheit nur vorgegaukelt?

Gemeinden sollen über die Flächennutzungsplanung die Möglichkeit bekommen, sich für geringere Abstände zu entscheiden. Franz Dirnberger, beim Bayerischen Gemeindetag für Baurecht zuständig, glaubt zwar nicht, dass mit der Entscheidungsfreiheit auch höhere Kosten für die Gemeinden einhergehen. Aber die Bürgermeister müssten erklären, warum sie die Abstandsregel im Einzelfall unterschreiten wollten. „Viele Bürgermeister werden diesen Versuch gar nicht erst starten.“

Markus Ruckdeschel von der Energieagentur Nordbayern glaubt nicht, dass viele Gemeinden die gesetzliche Abstandsregel unterschreiten werden. „Da wird Entscheidungsfreiheit nur vorgegaukelt“, sagt er. Der Streit um den Ausbau der Windkraft werde in die Kommunen verlagert. Ruckdeschel ist überzeugt: „Das wird im Einzelfall funktionieren, aber flächendeckend nicht.“ Mit der 10H-Regel werde jahrelange Regionalplanung zunichte gemacht.


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