Ein letztes Mal auf Sonderfahrt Pendolino: Abschied von einer Erfolgsgeschichte

Von Richard Reinl
Der Pendolino unternahm am Dienstag eine letzte Fahrt von Hof nach Nürnberg ins DB-Museum und wieder zurück. Foto: Reinl Foto: red

Nach 22 Jahren und einer Fahrleistung von rund 100 Millionen Kilometern fuhr der legendäre Pendolino am Dienstag zum Abschied noch einmal von Hof nach Nürnberg – und zurück.

 
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Bahnbrechende Revolutionen sind in Oberfranken nicht gerade an der Tagesordnung. Trotzdem wurde hier im Jahr 1992 mit der bundesweit erstmaligen Einführung der Neigetechnik Bahngeschichte geschrieben. Welch ein Quantensprung: Wo vorher riesige Diesellokomotiven Wagenmaterial aus den ersten Nachkriegsjahren zogen und uralte Schienenbusse verkehrten, wo ab und zu ein D-Zug ohne viele Zwischenhalte durchraste oder Bummelzüge an jeder Gartentür anhielten, rauschten plötzlich schnittige Triebwagen im Höchsttempo durch das enge Pegnitztal, die sich auch noch wie Motorradfahrer extrem in die kurvenreiche Strecke legten.

Dem Lokomotivführer über 
die Schulter schauen

Kein Wunder, dass die Bahnkunden fast auf den Tag genau 115 Jahre nach der Inbetriebnahme der Bahnlinie Nürnberg – Bayreuth von der neuen Regionalschnellbahn Ostbayern begeistert waren: Die Fahrzeit zwischen Bayreuth und Nürnberg verringerte sich um ein Drittel, dazu gab es einen vorher nicht gekannten Stundentakt und das Fahrerlebnis glich dem in einer Achterbahn, wobei man dem Lokomotivführer sogar über die Schulter schauen konnte. Nicht selten hörte man Passagiere fragen, warum denn im Pegnitztal die Häuser so schief stünden, ob es denn da keine Wasserwaagen gebe. Dabei legte sich doch nur der Zug in die Kurven, um die hohen Fliehkräfte in den Griff zu bekommen.

Warum diese Eisenbahn-Revolution unter dem Motto „Zug mit Takt und Tempo“ ausgerechnet in Oberfranken stattfand, hatte einen ganz einfachen Grund: Damals saßen mit dem Landwirtschaftsminister Simon Nüssel und dem Verkehrsminister Jürgen Warnke zwei oberfränkische Spitzenpolitiker an einflussreichen Stellen in München und Bonn, die die einmalige Chance beherzt aufgriffen. Mit Hilfe eines zinsgünstigen Kredits des Freistaats Bayern konnte die Bundesbahn das Projekt in Angriff nehmen und der Erfolg gab ihr recht: Die Passagierzahlen explodierten regelrecht und der Pendolino war bald so beliebt, dass ihm das sogar zum Verhängnis zu werden drohte, musste doch die Neigetechnik mitunter wegen völliger Überfüllung der Züge abgeschaltet werden.

Dabei war diese Technik gar nicht so neu: Schon Jahrzehnte vorher experimentierte die Bahn mit solchen Zügen, verlor aber wegen diverser Fehlschläge bald das Interesse. Sie konzentrierte sich fortan auf neue Hochgeschwindigkeitsstrecken mit der Folge, dass das „flache Land“ im wahrsten Sinne des Wortes „auf der Strecke“ blieb. Erst als die Fahrgastzahlen dort dramatisch einbrachen, suchte man wieder nach Lösungen für die engen Kurvenstrecken. Was deutsche Ingenieure nicht schafften, machte das Ausland vor: In Spanien, Schweden und Italien feierte die Neigetechnik große Erfolge.

Warnke und Nüssel schafften es, dass der italienische Pendolino-Prototyp ETR 401 Anfang 1988 probeweise auf die Fahrt von Nürnberg nach Hof geschickt wurde. Der Test verlief so überzeugend, dass die Bundesbahn sogleich zehn zweiteilige Dieseltriebzüge mit der von Fiat konstruierten hydraulischen Neigetechnik in Auftrag gab und wenig später eine weitere Order nachschob.

Die Inbetriebnahme des Pendolino-Verkehrs am 23. Mai 1992 sorgte denn auch für viel Aufsehen. In den Zügen tummelte sich jede Menge Prominenz und entlang der Strecke fanden allerorten Bahnhofsfeste statt. Oberfranken war plötzlich der Nabel der Eisenbahnwelt. Auch die Technik-Freaks waren begeistert, nicht nur wegen der Neigetechnik, sondern auch wegen der ersten drei Hochgeschwindigkeitsweichen außerhalb von ICE-Neubaustrecken, die in Schnabelwaid Züge aus Richtung Nürnberg bei vollem Tempo auf das Gleis nach Bayreuth schickten. Pegnitz durfte sich besonders freuen, avancierte doch seine Bahnstation zum Flügelbahnhof, an dem Züge in Richtung Norden geteilt und auf dem Weg nach Süden wieder zusammengefügt wurden.

Doch es herrschte nicht nur eitel Sonnenschein um die Pendolinos. Weil Klimaanlagen fehlten und Fenster nicht geöffnet werden konnten, klagten Pendler in den heißen Sommermonaten über saunaähnliche Zustände in den „Konservenbüchsen“. Noch schwerer wog, als im August 2000 bei einer Routineuntersuchung Risse in der Radaufhängung entdeckt wurden. Sieben Züge wurden abgestellt und die Höchstgeschwindigkeit reduziert. Damit immer noch nicht genug: Ende 2000 brach bei einem Pendolino auch noch eine Achse. Das nahm das Eisenbahnbundesamt aus Sicherheitsgründen zum Anlass, die komplette Baureihe 610 für ein Jahr aus dem Verkehr zu ziehen. Was so toll begonnen hatte, schien sich zum Fiasko zu entwickeln, geriet doch der Fahrplan in ganz Nordostbayern komplett aus den Fugen.

Das endgültige Aus wegen Mangels an Ersatzteilen

Die Nachfolgebaureihe 612 aus deutscher Fertigung war zwar auch alles andere als fehlerfrei und doch läutete sie Zug um Zug das Ende des Pendolino-Zeitalters ein. Es wurde zwar noch einmal ein Modernisierungsprogramm für die 20 Pendolinos eingeleitet, doch retten konnte es den einstigen Vorzeigezug nicht. Vor allem der Mangel an Ersatzteilen für die relativ kleine Baureihe läutete das endgültige Aus ein.

Am Dienstag nun fuhr Jürgen Büttner aus Hof, der der Neigetechnik seit der ersten Schulung für das Projekt verbunden ist, den offiziell letzten Pendolino von Hof nach Nürnberg und wieder zurück. Eine Fotoausstellung in einem der Waggons erinnerte an den einstigen Vorzeigezug, den nicht wenige Eisenbahner als den besten aller Zeiten bezeichnen. Uwe Domke, Geschäftsführer der Regio Nordostbayern, erinnerte an zwei Jahrzehnte Eisenbahn- und eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Trotz aller Probleme sei der Pendolino ein technisch sehr stabiles Gerät gewesen.

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