Metzger verraten ihr Rezept Im Kuttern liegt die Kunst

Eis im Fleisch, das Gefühl für Brät und Wurstpakete nach Afghanistan: Wer den Münchberger Metzger Rainer Lottes fragt, wie er fränkische Bratwürste herstell t, erhält als Antwort mehr als ein Rezept.

 
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Für Bratwürste steht Franco Neubauer mitten in der Nacht auf. Liegen sie morgens feucht-glänzend hinter Thekenglas, hat der Metzgermeister sein Tagwerk fast beendet. „Das hat Vorteile“, findet der 31-jährige Angestellte, „der Nachmittag gehört mir.“ Die weiße Kunststoffschürze, die ihm bis zur Brust reicht, wirkt wie eine Leinwand für das Blau seiner Augen. In ihnen keine Spur von Müdigkeit. Aus dem Kühlhaus holt er eine Wanne mit Schweinefleisch: Speck, Haxen- und Backen-Stücke. Im Fleischwolf verschmelzen sie zu einer rot-weißen Masse.

Die Kunst beginnt. Gut, dass der Hausherr, Metzgermeister Rainer Lottes, gerade den gefliesten Raum betritt. Das Kuttern, das feine Zerkleinern und Mischen des Fleisches zum Brät, beschreibt er fast andächtig als hoheitliche Aufgabe, als wichtigsten Schritt auf dem Weg zur perfekten Bratwurst. „Macht eigentlich nur der Chef persönlich“, flüstert er und zwinkert zugleich hinter seiner Brille. Er lässt Neubauer den Vortritt – jetzt am Kutter und bald schon im ganzen Laden. Der 63-Jährige will sich zurückziehen und den Traditionsbetrieb noch heuer an seinen besten Mitarbeiter übergeben. „Hoffentlich hat er trotzdem noch ein wenig Arbeit für mich.“

Der junge Meister kuttert, der Senior übertönt mit kräftiger Stimme das Gedröhne der Maschine und lüftet das Geheimnis, warum Bratwürste bei jedem Metzger anders schmecken. „Der eine nimmt mehr von dem, der andere mehr von dem.“

Zu viel Eis lässt die Wurst spritzen

Die Zutaten für die feinen, fränkischen Bratwürste seien überall gleich: Fleisch, Kochsalz, weißer Pfeffer, gemahlene Muskatblüte, Zitrone, Phosphat, Fructose für die Bräune beim Anbraten und – Eis (!), zerstoßenes, gefrorenes Wasser. Wie Lottes erklärt, verhindert es, dass sich das Brät beim Kuttern erwärmt und fördert die Bindung der Eiweiße zu einer festen Masse. Zu viel Eis hingegen kann den Prozess stören, dann spritzt die Bratwurst beim Reinbeißen. Das rechte Maß entscheidet. Und dafür hat Franco Neubauer nach sieben Jahren in dem Münchberger Betrieb ein Gespür. „Abwiegen musste ich nur anfangs.“

Überhaupt trifft der Arbeitsschritt seinen Geschmack – echtes Handwerk eben. Das war ihm bei der Berufswahl wichtig. Immer wieder greift der junge Meister tief in die Masse, „erfühlt“, wie Lottes erklärt, den perfekten Moment, wenn das Brät „bindig“ ist. „Jeder von uns kuttert anders“, weiß der Senior-Chef.

Auch die Gewürze streut Neubauer frei Hand ins Brät. Er liebt Experimente. Zehn verschiedene Sorten hat er kreiert, sein Favorit: scharfe Chili-Cheese-Bratwürste. Lottes dreht einen Dosendeckel nach dem anderen auf, Kräuteraromen durchströmen den schmalen Raum und überlagern den holzig-schweren Geruch eines Räucherofens. Sie wecken Erinnerungen an Urlaube in Italien und Griechenland. „Beim Kuttern erleben wir eine kleine Weltreise“, lacht er, „man kommt viel rum mit den Bratwürsten.“

Flashmob wegen Bratwürsten

Auch seine Würste legen Kilometer zurück. Weil ehemalige Münchberger in Deutschland verstreut leben, aber an Heilig Abend getreu der Tradition fränkische Bratwürste zum Festessen verzehren wollen, verschickt Lottes sie als „Care-Pakete“. Die weiteste Sendung mit Wurstwaren ging als Feldpost nach Afghanistan. „Alles hat überlebt, nur der Presssack hielt dem Druck nicht stand, der ist hochgegangen.“ Gerne gibt der 63-Jährige solche Geschichten zum Besten. Wie auch die vom „Flashmob“ in der Wurzelseppstraße, als sich unter den in München lebenden Münchbergern herumsprach, dass Lottes dort Bekannte besucht – und Bratwürste dabei hat.

Derweil setzt Franco Neubauer zum letzten Arbeitsschritt an: das Befüllen der Schafsdärme mit Brät. Dazu fischt er die weißen Fäden, die verschlungen im Wasser liegen, aus einer Schüssel. Lottes bezieht die Därme aus dem Iran und bekommt sie gereinigt und in verschiedenen Stärken geliefert. Mit Gefühl stülpt Neubauer sie auf die Einspritzdüse der Maschine und demonstriert, was passiert, wenn er unachtsam arbeitet. Die hauchdünne Darmwand reißt, Brät quillt wie Bauschaum heraus. Früher mussten die Metzger den gefüllten Darm per Hand an der richtigen Stelle drehen, die Bratwurstlänge lasen sie am Lineal ab. Das geht heute maschinell.

Traumberuf: Metzger

Paarweises Abschneiden bleibt aber in der Münchberger Metzgerei der Job, bei dem Auszubildende anfangs Pflaster brauchen. Das passiert den Meistern natürlich nicht, und schon steht eine Mitarbeiterin aus dem Laden mit einer Schale zum Abholen bereit. Das passt zum wichtigsten Tipp des Senior-Chefs: „Frisch müssen sie sein! Bratwürste dürfen das 11-Uhr-Läuten nicht erleben, hieß es früher.“

Lottes übt den Beruf in siebter Generation aus. Kein Traumjob für ihn am Anfang. Er habe ihn lieben gelernt. So sehr, dass jetzt sein spitzbübisches Lächeln beim Erzählen ausbleibt. Stattdessen glänzen die Augen feucht vor Rührung. Er spricht davon, wie er zu den Bauern fährt, dort mit ihnen plaudert und die Tiere vor dem Verladen streichelt. Davon, dass sie nach kurzer Fahrt in Helmbrechts von Franco Neubauer, so wie zuvor von ihm, geschlachtet werden, er das Fleisch verarbeitet und von Kunden hört, dass es geschmeckt hat. „Ich sehe meine Arbeit von Anfang bis zum Schluss. Das ist eine Erfüllung. Ein Glück.“ - Mehr dazu in unsem köstlichen Dossier zum "Tag der Bratwurst"

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