Auch die Gewürze streut Neubauer frei Hand ins Brät. Er liebt Experimente. Zehn verschiedene Sorten hat er kreiert, sein Favorit: scharfe Chili-Cheese-Bratwürste. Lottes dreht einen Dosendeckel nach dem anderen auf, Kräuteraromen durchströmen den schmalen Raum und überlagern den holzig-schweren Geruch eines Räucherofens. Sie wecken Erinnerungen an Urlaube in Italien und Griechenland. „Beim Kuttern erleben wir eine kleine Weltreise“, lacht er, „man kommt viel rum mit den Bratwürsten.“
Flashmob wegen Bratwürsten
Auch seine Würste legen Kilometer zurück. Weil ehemalige Münchberger in Deutschland verstreut leben, aber an Heilig Abend getreu der Tradition fränkische Bratwürste zum Festessen verzehren wollen, verschickt Lottes sie als „Care-Pakete“. Die weiteste Sendung mit Wurstwaren ging als Feldpost nach Afghanistan. „Alles hat überlebt, nur der Presssack hielt dem Druck nicht stand, der ist hochgegangen.“ Gerne gibt der 63-Jährige solche Geschichten zum Besten. Wie auch die vom „Flashmob“ in der Wurzelseppstraße, als sich unter den in München lebenden Münchbergern herumsprach, dass Lottes dort Bekannte besucht – und Bratwürste dabei hat.
Derweil setzt Franco Neubauer zum letzten Arbeitsschritt an: das Befüllen der Schafsdärme mit Brät. Dazu fischt er die weißen Fäden, die verschlungen im Wasser liegen, aus einer Schüssel. Lottes bezieht die Därme aus dem Iran und bekommt sie gereinigt und in verschiedenen Stärken geliefert. Mit Gefühl stülpt Neubauer sie auf die Einspritzdüse der Maschine und demonstriert, was passiert, wenn er unachtsam arbeitet. Die hauchdünne Darmwand reißt, Brät quillt wie Bauschaum heraus. Früher mussten die Metzger den gefüllten Darm per Hand an der richtigen Stelle drehen, die Bratwurstlänge lasen sie am Lineal ab. Das geht heute maschinell.
Traumberuf: Metzger
Paarweises Abschneiden bleibt aber in der Münchberger Metzgerei der Job, bei dem Auszubildende anfangs Pflaster brauchen. Das passiert den Meistern natürlich nicht, und schon steht eine Mitarbeiterin aus dem Laden mit einer Schale zum Abholen bereit. Das passt zum wichtigsten Tipp des Senior-Chefs: „Frisch müssen sie sein! Bratwürste dürfen das 11-Uhr-Läuten nicht erleben, hieß es früher.“
Lottes übt den Beruf in siebter Generation aus. Kein Traumjob für ihn am Anfang. Er habe ihn lieben gelernt. So sehr, dass jetzt sein spitzbübisches Lächeln beim Erzählen ausbleibt. Stattdessen glänzen die Augen feucht vor Rührung. Er spricht davon, wie er zu den Bauern fährt, dort mit ihnen plaudert und die Tiere vor dem Verladen streichelt. Davon, dass sie nach kurzer Fahrt in Helmbrechts von Franco Neubauer, so wie zuvor von ihm, geschlachtet werden, er das Fleisch verarbeitet und von Kunden hört, dass es geschmeckt hat. „Ich sehe meine Arbeit von Anfang bis zum Schluss. Das ist eine Erfüllung. Ein Glück.“ - Mehr dazu in unsem köstlichen Dossier zum "Tag der Bratwurst"