Für das Haushaltsgeld, das jeder erhält, müssen die Belege mit Hilfe der Betreuer abgerechnet werden. Heute präsentiert eine ältere Frau stolz jedem, dem sie begegnet, ihre neuen Sandalen, die sie eben erst erstanden hat. Dass sie dafür die alten, kaputten Schuhe entsorgen sollte,hat sie vergessen.
Tagesstruktur durch Arbeit in der Werkstatt
Wo Rechte sind, existieren auch Pflichten: Die Bewohner sorgen für eine Grundsauberkeit in ihren Zimmern, täglich unterstützt zudem eine Reinigungskraft die Wohngemeinschaft. Sie wiederum erhält Hilfe durch eine Bewohnerin als Assistentin. Alle sorgen selbst für ihre Mahlzeiten, indem sie entweder kochen oder sich in eine Liste für gemeinsame Mahlzeiten eintragen – dafür ist dann aber auch jeder einmal mit der Zubereitung dran. Das bereitet den meisten großen Spaß und trainiert auch praktische Fähigkeiten. Während der Corona-Pandemie gaben die Mitarbeiter den Bewohnern über den gesamten Tag hinweg Anreize und Motivation bei gleichzeitig wenig Freizeitangeboten. Dies geschah in Form von Backen, Spaziergängen, Spielen, Basteltagen und Filmen. Die Tagesstruktur, die maßgeblich durch ihre Werkstatt-Arbeit geschaffen wird, fiel weg. Durch die längeren Betreuungszeiten konnte gleichzeitig weniger Personal gleichzeitig anwesend sein. Nun, beinahe im „Normalmodus“, können wieder vermehrt Ausflüge, wie etwa nach Bamberg, angeboten werden. Doch dieser Plan ist am Freitagnachmittag überschattet: „Erst melden sich viele dafür an und kurz vorher müssen wir dann doch noch Überzeugungsarbeit leisten“, verrät Elias Bettig der kurz vor den Prüfungen zum Abschluss seiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger steht.
Das ist einer der Herausforderungen, mit denen das Team kämpft. Ebenso unterstützen die Mitarbeiter die Bewohner bei aufwendigerer Körperpflege wie etwa der Rasur, der Strukturierung ihres Alltags, beim Verstehen von Dokumenten oder Sachverhalten oder schlicht bei Vereinbarungen. Die Corona-Pandemie hat jedoch auch hier Spuren hinterlassen: „Manche
haben leider auch Dinge verlernt oder Sicherheit verloren, zum Beispiel in ein Café zu gehen und einfach Kaffee zu trinken“, beobachtet Holger Bär. Sein Team und er haben nun das Ziel, die Selbstständigkeit vieler Bewohner wieder „aufzuwecken“. Denn viele von ihnen nehmen, anders als in anderen Wohngemeinschaften für Menschen mit Behinderung der Diakonie Kulmbach, stark am gesellschaftlichen Leben teil: Einige von ihnen besuchen beispielsweise regelmäßig Spiele eines nahe gelegenen Kulmbacher Fußballvereins.
Schrebergarten und Lagerfeuer
Nun wird es laut im Flur: Ein großer Mann mit etwas zerzausten Haaren kommt herein, die Hände sind noch schmutzig. Mit einem breiten Lachen verrät er den anderen, dass er gerade im Schrebergarten der Wohngemeinschaft Bretter klein gesägt hat – für das Lagerfeuer im Garten am nächsten Tag. Man muss deutlich hinhören, um ihn zu verstehen: Neben einem Sprachfehler fällt vor allem sein markanter Kulmbacher Dialekt auf. Doch er nimmt es denjenigen, die ihn nicht verstehen, nicht übel.
Stattdessen sagt er: „Macht nix, mei Gute.“ Und lässt andere weiterhin an seiner guten Laune teilhaben. Er und einige der anderen Bewohner freuen sich auf die Sommer-Freizeit. Wohin sie führt und unter welchen pandemiebedingten Umständen sie stattfindet, wird noch nicht verraten: Schließlich dürfen alle von Meer, Bergen oder weiten Feldern träumen. red