Mehr als Nackensteaks und Koteletts Wenn Schweine und Rinder geschlachtet werden

Von Thorsten Gütling

Rostbraten, Nackensteak und Tafelspitz: Gut 60 Prozent des Rinds werden vom Menschen gegessen. Vom Schwein sind es sogar 80 Prozent. Aber was wird aus dem Rest? Aus Füßen, Kopf, Blut und Haut? „Wegwerfen können wir uns gar nicht leisten“, sagt Friedrich Moreth, leitender Veterinärdirektor beim Veterinäramt Bayreuth.

 
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Vor allem Haut und Knochen werden zu Mehl und Fetten, die in der Industrie gefragt sind. Enzyme und Eiweiße der Tiere hingegen helfen kranken Meschen. Über die sogenannten tierischen Nebenprodukte der Schlachtung hat Wolfgang Branscheid ein Buch geschrieben. Der frühere Leiter des Instituts für Sicherheit und Qualität bei Fleisch in Kulmbach sagt: „Ein schwieriges Thema, über das seit der BSE-Krise niemand mehr gerne spricht.“

KÖPFE UND KNOCHEN

Anders als der Saukopf, der hierzulande eine Spezialität und Teil der Schlachtschüssel ist, gilt der Rinderkopf als spezifiziertes Risikomaterial (SRM). „Wegen der Möglichkeit, dass Reste des zentralen Nervensystems noch in den Knochen stecken“, sagt Tierarzt Moreth. Denn im Nervensystem wurden jene Prionen, also Eiweiße, gefunden, die man für den Rinderwahn verantwortlich macht. Und das Nervensystem erstreckt sich über Gehirn und Rückenmark. Deshalb muss all das, wo feinste Verästelungen möglich wären, in der Tierkörperbeseitigungsanlage verbrannt werden. Was im Landkreis anfällt, wird nach Walsdorf, 15 Kilometer westlich von Bamberg, gebracht. Am Ende kommt es dann als Tiermehl und Fett wieder heraus. Ersteres geht zum Beispiel als Heizmaterial in Zementwerke, zweiteres zur Biodieselherstellung ins Ausland oder als technisches Fett ins Auto oder Türschloss. „Man kann also selbst in der Tierkörperbeseitigungsanstalt nicht von wegwerfen reden“, sagt Moreth. Ungefährlich und daher für die Lebensmittelindustrie zu gebrauchen: Schweineknochen. Sie werden zu Gelatine verarbeitet. Und die findet man nicht nur in Eis, Kaugummis und Gummibärchen, sondern auch in den Kapseln von Medikamenten. Fettsäuren aus Schweineknochen geben aber auch der Kernseife die nötige Härte. Und: Kaum ein kosmetisches Produkt kommt ohne Glycerin aus. Gewonnen aus Fetten vom Schwein.

HUFE, HÖRNER, OHREN UND SCHWÄNZE

Rinderfüße, Sauschwänze und Schweinepfoten sind im asiatischen Raum, vor allem in China, eine Delikatesse. Wenige Firmen haben sich auf dieses Geschäft spezialisiert. Die meisten Geschäftsbeziehungen aus dem Raum Bayreuth bestehen mit einem Unternehmen in Crailsheim. Was an Hufen und Hörnern nicht nach Asien verkauft wird, wird zu Knochenmehl und Industriefetten. Schwänze und Ohren finden sich auch in Tierfutter.

BLUT

Schweineblut ist ein Lebensmittel und gibt Würsten zum Beispiel ihre rote Farbe. „Schlachten ist ja definiert als töten durch Blutentzug nach vorheriger Betäubung“, erklärt Moreth. Das Blut wird über die vordere Hohlvene am Hals entnommen. Das führt zum Sauerstoffmangel im Gehirn des Tieres und zum sofortigen Tod. Wie bei jedem Säugetier macht auch beim Schwein das Gewicht seines Blutes rund ein Zehntel seines Gewichtes aus. Blut, das als Lebensmittel verkauft wird, wird mit Gerinnungshemmern versetzt und den Metzgern angeboten. Erstaunlich: Selbst in Zigarettenfiltern wird das aus Schweineblut gewonnene Hämoglobin zum Filtern von Schadstoffen verwendet. Der Rest des Schweineblutes geht in die Tierkörperbeseitigungsanlage. Dorthin geht Rinderblut grundsätzlich wegen der BSE-Gefahr.

HAUT

Rinderhaut wird abgenommen, gesalzen und geht in die Lederindustrie. Welche Haut von welchem Tier stammt, wird auf einer Marke vermerkt. Wenn später im Verarbeitungsprozess noch Mängel am Fleisch entdeckt werden, zum Beispiel Abszesse, selbst wenn sie für den Menschen gar nicht gefährlich sind, muss die Haut nachträglich aussortiert werden. Wie Knochen wird aber auch die Haut zur Produktion von Fetten verwendet. Und wie aus den Schweineknochen wird auch aus der Schweinehaut Gelatine gemacht. Oder besser: aus dem in ihr enthaltenen Eiweiß.

ORGANE

Herz, Leber, Lunge, Niere: Beinahe jedes Organ von Schwein und Rind kann man essen. Aus den wenigen Ausnahmen, wie den Schweinedärmen, werden Saitlinge, also Wursthäute. Aus dem Darm wird aber auch der Stoff Heparin gewonnen, der in der Medizin als Blutverdünner verwendet wird. Auch Insulin stammte lange Zeit vom Schwein. Nämlich aus Enzymen der Bauchspeicheldrüse. In der Medizin wie in der Kosmetikindustrie werden aber immer mehr dieser Stoffe synthetisch nachgebaut. Weil sie dann im Vergleich zur tierischen Variante lupenrein und frei von Defekten sind, sagt Veterinärdirektor Moreth. Glycerin für Kosmetika und Heparin als Thromboseschutz muss aber heute noch auf dem tierischen Weg gewonnen werden. Weil eine synthetische Herstellung zu kompliziert ist, sagt der frühere Leiter des Kulmbacher Instituts für Sicherheit und Qualität bei Fleisch, Wolfgang Branscheid. Beim Rind wird wegen der BSE-Gefahr der gesamte Magen-Darm-Trakt in den Tierkörperbeseitigungsanlagen verbrannt.

MUSKELN

Der lange Rückenmuskel ist das wertbestimmende Teil des Schweins. Je nachdem, an welcher Stelle man das Fleisch entnimmt, bekommt man Halssteaks oder Koteletts. Je weiter weg vom Hals, umso weniger sichtbar ist das Fett und umso teurer wird das Fleisch. Wo das Fett nicht sichtbar ist, ist es aber trotzdem da. „Es befindet sich einfach nur in den Zellen“, sagt Moreth. Der Fettgehalt des Fleisches ändert sich damit nicht. Beim Rind ist der wertbestimmende Teil die sogenannte Pistole, also die Rückenmuskulatur im Bereich der Lende und der Hintergliedmaßen. Weiter oben wird das Fleisch für Roastbeef entnommen, weiter unten, aus der Keule, für Rouladen.

Zahlen fürs kranke Vieh

Wo kranke Schlachttiere komplett entsorgt werden müssen, geht der volkswirtschaftliche Schaden in die Millionen, sagt Ellen Koch von der Bayerischen Tierseuchenkasse. Weil der Staat die Tötung und Beseitigung von kranken Tieren anordnet, muss er die Landwirte dafür auch entschädigen. In Bayern läuft das über die Bayerische Tierseuchenkasse. Die zahlt für ein Schwein maximal 1500 Euro, für ein Rind bis zu 4000 Euro. Den konkreten Marktwert der Tiere muss ein Tierarzt schätzen. Durchschnittlich werden für Rinder zwischen 1700 und 2000 Euro gezahlt. Ein kranker Besamungsbulle wäre dagegen ungleich teurer. Daher gibt es die Obergrenzen.

Buch: Wolfgang Branscheid u.a.: Qualität von Fleisch und Fleischwaren, Deutscher Fachverlag, 2006, 1100 Seiten, 98 Euro.

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