Mal abgesehen von den unterschiedlichen Arten des Feierns – dieser goldene Dienstagabend hebt innerhalb des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DSV) die Stimmung. Allen, die glaubten, die olympische Paradesportart liege wegen der mageren Medaillenausbeute zuletzt bei den Weltmeisterschaften in Eugene am Boden, können die DLV-Funktionäre jetzt wieder mit einem gelassenen Lächeln begegnen.
In den USA bei der Weltmeisterschaft holte nur die sichere Medaillenbank Malaika Mihambo Weitsprung-Gold, und etwas Bronze gab es durch die tapfere 100-Meter-Staffel der Frauen noch hinzu. Viel zu wenig für das ambitionierte deutsche Team – der Ärger im eigenen Haus und in der Öffentlichkeit war programmiert.
München 2022 darf bislang als zarte Wende bezeichnet werden, denn man darf nie vergessen, dass bei einer WM die Konkurrenz zum Teil erheblich größer ist als bei Kontinentalmeisterschaften. „Wer diesen Abend hier erlebt hat, der weiß, dass die totgesagte deutsche Leichtathletik zumindest noch ein bisschen lebt“, sagt Kaul und lächelt verschmitzt. Inklusive der Teammedaillen im Marathon, die beim Aufzählen der Erfolge gerne vergessen werden, kommt die DLV-Mannschaft bei dieser EM schon auf acht Medaillen, viermal Gold ist dabei. Und Mihambo und andere Podestkandidaten, die müssen ja noch ran.
In allzu große Euphorie verfällt die DLV-Cheftrainerin Annett Stein mit Sicht auf die Zukunft nicht, denn die WM-Schmach liegt ja nicht lange zurück und ist trotz der EM-Erfolge präsent. „Das Ergebnis von Eugene steht, und wir werden uns auch nach der EM noch damit beschäftigen, weil eine WM natürlich nicht vergleichbar ist mit einer EM“, sagt Stein. Man wolle sich dieser Tage aber erst einmal in Europa positionieren, und das sei am Anfang dieses Events in München „auch schon sehr gut gelungen“. Und sie fügt hinzu: „Ich hoffe, es geht so weiter diese Woche.“
Sportförderung muss mehr tun
Gina Lückenkemper wird in der Angelegenheit konkreter und macht sich auch in ihrer Funktion als Kapitänin des deutschen EM-Teams für Grundlegendes stark. „In meinen Augen muss sich in der Sportförderung einiges tun, gerade im Nachwuchsbereich, um Talenten eine Perspektive zu bieten und sie beim Sport zu halten“, sagt sie. Außerdem müsse es künftig mehr international stark besetzte Trainingsgruppen in Deutschland geben. Doch über all dies will die sehr engagierte Sprinterin erst in ein paar Tagen weiterdiskutieren – zunächst will sie die EM zu Ende bringen. Und ein bisschen nachfeiern, das muss sie auch noch.