Leben im Seniorenheim „Ich war der Teenager unterden Senioren“

Edda Kaiser hat ihren Umzug vor 14 Jahren vom großen Haus in das betreute Wohnen im Seniorenheim nie bereut. Das Bild zeigt sie mit ihrem Mann bei der Hochzeit. Foto: /Matthias Bäumler

Altwerden ist ein heikles Thema. Niemand denkt gerne an die Zeit, wenn nichts mehr geht. Edda Kaiser tickt anders: Sie zieht in relativ „jungen Jahren“ in das betreute Wohnen.

 
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In den eigenen vier Wänden alt zu werden, ist der Traum vieler. Häufig bleibt es beim Traum. Das Haus ist zu groß, der Körper macht nicht mehr mit und die Kinder leben irgendwo weit weg. Auch Edda Kaiser aus Schirnding steht irgendwann vor der Frage, wie es weitergeht. Sie entscheidet sich für das betreute Wohnen im Martin-Schalling-Haus in Marktredwitz. Wir sprachen mit der 81-Jährigen über das Leben im Seniorenheim.

Frau Kaiser, Sie wirken so zufrieden.

Das bin ich auch, mir gefällt es hier im Martin-Schalling-Haus wirklich gut. Und soll ich Ihnen mal was verraten? Mein Mann und ich haben uns schon vor vielen Jahren gedacht, hier ziehen wir mal ein, wenn wir alt sind.

Wie lange wohnen Sie bereits im betreuten Wohnen im Seniorenheim?

Seit 14 Jahren. Ich war damals mit 67 Jahren die jüngste Bewohnerin im betreuten Wohnen. Alle nannten mich den „Teenager“. Die Entscheidung habe ich nie bereut.

Es ist eine der schwierigsten Entscheidungen im Leben, in ein Seniorenheim zu ziehen.

Wir hatten in Schirnding ein schönes, großes Haus mit Garten in Hanglage. Aber irgendwann schaffte ich das alles nicht mehr. Entweder habe ich meinen Garten in Ordnung gebracht und dann hat es im Haus ausgeschaut oder umgekehrt. Ich hatte einfach keine Freude mehr, weder am Garten noch am Haus. Es war einfach schlimm.

Das Beispiel Edda Kaiser beleuchtet nicht nur ein persönliches Schicksal, es zeigt auch, wie sich über die Jahrzehnte hinweg ganze Straßenzüge verändern. Edda Kaiser: „Als wir gebaut haben, waren in unserer Straße alles junge Leute, und wir alle haben uns untereinander geholfen. Aber als wir dann gemeinsam alt wurden und Hilfe gebraucht hätten, hatte jeder was anderes und niemand war da, wenn zum Beispiel die Reparaturen am Haus losgingen.

Was haben Sie empfunden, als Sie das Haus verkauften, in dem Sie einen Großteil Ihres Lebens verbracht haben?

Wie gesagt, hatten sich mein Mann und ich schon vor längerer Zeit überlegt, irgendwann einmal ins Martin-Schalling-Haus zu ziehen. Trotzdem war es nicht leicht. Mein Mann starb 2000, drei Jahre nach einer Herzoperation. Wir hatten uns noch einen Wintergarten angebaut und wollten es uns schön machen. Doch dann hat er sich leider davongemacht... Da meine Tochter auswärts wohnt, beschloss ich, das Haus zu verkaufen und nach Marktredwitz zu ziehen. Leicht war das nicht.

Weshalb ist Ihnen und Ihrem Mann schon vor so vielen Jahren ausgerechnet das Martin-Schalling-Haus in den Sinn gekommen?

Ich war Kindergärtnerin in Schirnding und wir hatten häufig Fortbildungen im Martin-Schalling-Haus. Mein Mann war im Diakonieverein-Ausschuss engagiert und kannte das Haus ebenfalls.

Ein Umzug ins betreute Wohnen ist ja so etwas wie ein letzter großer Schritt im Leben. Wie gingen Sie damit um?

Ehrlich gesagt, war der Einzug in meine schöne Wohnung hier überhaupt nicht schlimm. Anfangs hatte ich sogar mein Auto dabei und war häufig in Schirnding. Ich betätigte mich noch als Vorlesepatin im Kindergarten, im Kindergottesdienst-Team und war Leiterin des BRK-Sozialdienstes. Außerdem bin ich zum Turnen und zur Singstunde nach Schirnding gefahren.

Wer das hört, könnte denken, Sie waren fast zu fit für das betreute Wohnen.

Mir war wichtig, hier auf der sicheren Seite zu sein. Ich habe es in meiner Arbeit beim BRK-Sozialdienst häufig erlebt, dass Menschen daheim hingefallen und ins Krankenhaus gekommen sind. Wenn sich – was oft vorkommt – herausstellt, sie können nicht mehr alleine daheim wohnen, ist das für die Beteiligten schlimm. Wie soll man so schnell einen Heimplatz finden? Vor so einer Situation hatte ich Angst. Hier weiß ich, dass ich, wenn es nicht mehr geht, einfach im Haus auf die Pflegestation wechseln kann.

Haben Sie je den Schritt bereut?

Nie, keinen Tag. Viele Menschen warten damit viel zu lange; meist bis sie das Leben in der eigenen Wohnung nicht mehr genießen können. Wenn sie dann ins betreute Wohnen ziehen, sind sie eigentlich schon an der Grenze zur Pflege, das ist schade. Dabei ist das Leben hier wirklich meist sehr angenehm. Vor allem vor Corona war viel los. Es gab immer wieder Veranstaltungen im Haus, angefangen von der evangelischen Andacht bis hin zum Vorspiel der Musikschüler. Hier wird es nie langweilig, und wenn es die Karter-Runden sind.

Wie sehr hat Corona Sie und die Bewohner des Hauses getroffen?

Wirklich sehr. Früher gab es hier immer wieder Feste, die waren dann nicht mehr möglich. Einige Zeit war es auch nicht mehr erlaubt, im Speisesaal zu essen. Uns wurden die Speisen an die Tür gebracht. Es gab natürlich strenge Maßnahmen, zum Beispiel in der Pflege. Dadurch hat Corona nicht ganz so schlimm zugeschlagen. Infiziert haben sich die Bewohner vor allem, wenn sie ins Krankenhaus gekommen sind.

Wie war das, als Sie vor 14 Jahren ins Heim gezogen und mit menschlichem Leid, mit dementen Bewohnern und Pflegefällen konfrontiert worden sind?

Ich habe das eigentlich nicht als so schlimm empfunden. Bei Festen und Veranstaltungen waren natürlich auch die Bewohner der Pflege mit dabei. Vielleicht war es ein Vorteil, dass ich durch meine Arbeit im BRK-Sozialdienst früher häufig in Pflegeheimen war und gewusst habe, wie das Leben ist.

In einem Seniorenheim gehört der Tod dazu. Wie gehen Sie damit um?

Das tut einem schon weh. Meistens sind sind Stürze der Grund. Ich erinnere mich an einen Bewohner. Als der gekommen ist, war er so gut drauf. Häufig unternahm er mit seiner Freundin Fahrradtouren. Dann haben sie sich E-Bikes gekauft und er ist so schlimm gestürzt, dass er nie wieder auf die Beine kam. Er ist richtig verfallen und hat sich mit seiner Situation in der Pflege nie anfreunden können. Letztlich ist er gestorben. Das hat uns schwer getroffen.

Können Sie uns Ihren Alltag schildern?

Ich stehe nach wie vor gegen 7 Uhr auf, dann mach ich mir Frühstück und hole mir die Zeitung. Diese ist für uns ganz wichtig. Vor allem die vielen Bilder freuen uns ältere Leute – und die Rätsel. Regelmäßig besuche ich einen Kurs gegen Demenz. Ich nehme an allen Angeboten teil und gehe nach wie vor regelmäßig in die Stadt. Dank des Aufzuges in der Sparkasse gegenüber gelangen wir barrierefrei bis zum Kaufland im KEC.

Zumindest noch bis Herbst. Kaufland zieht bekanntlich an den Stadtrand.

Ja, das ist für uns ältere Menschen wirklich bedauerlich.

Die Wohnungen im betreuten Wohnen werden einmal in der Woche gereinigt. Auch eine Grundreinigung und das Fensterputzen sind dabei. In jedem Raum (Wohnzimmer, Bad, Schlafzimmer, Küche) gibt es einen Knopf, sollte Hilfe notwendig sein. Edda Kaiser hat ihn selbst noch nicht drücken müssen, lediglich einmal für eine Nachbarin, die in der Wohnung gestürzt ist und nicht mehr alleine hoch kam. Wer nicht am gemeinsamen Mittagessen teilnimmt, muss sich abmelden. Mehrere Bewohner kochen jedoch selbst. Ein Platz im betreuten Wohnen kostet 890 Euro inklusive Essen, Betreuung, Putzen, Abfall, Heizung und Wasser. Lediglich Strom, Telefon und Fernsehgebühren bezahlen die Bewohner selbst.

                Die Fragen stellte Matthias Bäumler

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