Santa Marta - Meine und Leos Zeit an der Karibikküste Kolumbiens neigt sich dem Ende. Es stimmt mich fast ein bisschen wehmütig, Abschied zu nehmen von meinem Hotel, das mir zu einer kleinen Heimat geworden ist. Wo gibt es schon einen Papagei, der miaut. Auch wenn die Katze nicht an ihm vorbei durch den malerischen Patio streift. Wo man trotz 35 Grad, ohne mächtig schwitzen zu müssen, in drei Tagen einen 500-Seiten-Krimi durchackern kann, weil es im kleinen Pool so bequem ist. Und wo das Personal einem jeden Wunsch erfüllt, ohne je aufdringlich zu sein. Und täglich treffe ich neue Leute aus aller Welt. Wie John, den einstmals gut situierten Amerikaner aus New York, der durch die Lehman-Brothers-Pleite alles verloren hat und sich heute als Lkw-Fahrer durchs Leben kämpft. Auch wenn die Einrichtung der Zimmer in unseren Breiten bestenfalls einer Zwei-Sterne-Bewertung genügen würde, vergebe ich für das "Nueva Granada" persönliche fünf Sterne. "Der Hotelchef schreit laut auf, als er den Fernseher im malerischen Innenhof einschaltet. Es gibt eine neue Miss Universum. Und woher ist die wohl? Ganz klar: aus Kolumbien. Der Jubel im Land ist groß."


Stundenlanger Stromausfall

Nichtsdestotrotz wird es Zeit, sich auf die Socken zu machen. Schließlich bin ich hier, um das Land zu erkunden, nicht um mich niederzulassen. Während ich diese Zeilen zu Computer bringe - Papier hatte irgendwie den besseren Sound -, sitze ich in stockfinstrer Nacht. Im Herzen Santa Martas ist der Strom ausgefallen. Rucksack packen fällt angesichts dieser Umstände aus. Ich brauche die Batterien meiner Stirnlampe für wichtigere Dinge. Außerdem geht mein Bus erst am nächsten Tag um 17 Uhr. Irgendwie hatte ich wohl den richtigen Riecher und bin heute nach meinem doch wieder recht abenteuerlichen Ausflug gleich zum Essen raus. Natürlich an meinen Stammplatz, wo ich zum fünften Mal Caesars Salad mit Huhn in mich reingeschlichtet habe.

Lokale schließen

Als ich mich auf den "Heimweg" mache, ist es schon ziemlich dämmrig. Und rund um mich herum rattert und knallt es heftig. Überall fahren mächtige Gitter herunter, hängen die Chefs von Lokalen schwere Umhängeschlösser vor ihre Türen. Nicht nur, um sich zu schützen vor eventuell garstigen Gesellen, sondern auch, weil die Getränke warm werden, das Eis für selbige schmilzt und weder Bedienungen noch Köche ausreichend gerüstet sind, die Gäste im Finstern zu bedienen. Sogar die winzigen Lädchen, die sich wie die Perlen an einer Schnur aneinander reihen und fast rund um die Uhr geöffnet haben, sehen zu, dass sie den Laden dicht machen, ehe die üblen Gesellen der Nacht auf dumme Ideen kommen.

Die Polizei, die in Santa Marta in großer Zahl während des Tages ebenso präsent ist wie in der Nacht, ist wohl alles andere als erfreut über diesen Stromausfall. Ich bin rechtzeitig im Hotel, um meinem neuen Facebook-Freund Julian die Taschenlampe abzuschwatzen, damit ich in meinem Zimmer meine Stirnlampe herauskramen kann. Außerdem den Rotwein nebst Tablet und Mosquito-Spray. Denn den Monstern ist es völlig egal, ob Tag oder Nacht. Im Moment habe ich das meiste Licht von allen, weil mein Tablet so wundervoll leuchtet. Doch wenn das Licht auf dem erlischt, habe auch ich schlechte Karten. Denn weder Handy noch Tablet können ja aufgeladen werden. Ich nutze den Rest meines Akkus, um von meiner Reise zu erzählen.

Wegen Internet-Problemen Bus statt Flugzeug

Schon anfangs habe ich erwähnt, dass meine Zeit in Santa Marta zu Ende geht. Neues zu erkunden, steht auf meiner Agenda. Eigentlich habe ich keine große Lust darauf, stundenlang mit dem Bus durch die Lande zu gondeln, wenn Medellin in nur eineinviertel Stunden mit dem Flugzeug erreicht werden kann. Es ist die einstmalige Metropole des Schreckens und des Todes unter der Ägide von Pablo Escobar, hundert- oder gar tausendfacher Mörder und einmal siebtreichster Mann der Welt. Genau da will ich hin. Es ist wohl noch eine der großen Drogen-Metropolen, aber es soll sich Vieles geändert haben. Doch seit eineinhalb Tagen lässt mich der Computer nicht bis zur Buchung vorrücken. Jetzt habe ich die Nase voll, schnappe mir ein Taxi und fahre zum etwa 20 Minuten entfernten Bus-Terminal. Ich kaufe mir für 100.000 Pesos - das sind zirka 40 Euro - ein Ticket. Der Nachtbus startet am Montag um 17 Uhr und ist am nächsten Morgen dort. 15 Stunden Busfahrt inklusive Pausen. Also doch in den sauren Apfel beißen. Naja, damit spare ich mindestens 200.000 Pesos, die der Flug mehr gekostet hätte. Und nicht zu vergessen eine Übernachtung. Denn die kriege ich im Bus ja umsonst.

Üble Gerüche auf dem Mercado

Zurück zu meinem letzten Tag in Santa Marta. Bislang war ich zu faul oder einfach in anderen wichtigen Dingen unterwegs, um mir den riesigen Mercado, den Markt, anzuschauen. Nach dem Frühstück mache ich mich am Sonntagmorgen - die Luft ist unappetitlich von Urin geschwängert - auf den Weg. Wenn Menschen auf der Straße leben, gehen sie ihren Bedürfnissen halt überall nach. Natürlich können dies auch die Hinterlassenschaften volltrunkener Nachtschwärmer sein. Wie dem auch sei: Es stinkt grauenvoll! Nicht weniger unangenehm für meine feine Nase - laut Chap habe ich schon immer mehr gerochen als andere Menschen um mich herum - ist das, was bei uns in Deutschland bestens gekühlt in den Vitrinen liegt: Fleischbatzen verschiedenster Tiere hängen an schweren Haken, was Unmengen an Fliegen höchst erfreut. Irgendwelches Wirrwarr von Innereien, aufgetürmt zu einem kleinen Gebirge, scheint sie gar frohlocken zu lassen. Nur nicht tief durchatmen, lautet meine Devise. Doch die gleich folgenden Fischstände bieten wenig Hoffnung in Sachen Appetit. Foto schießen und weiter marschieren. Da sind die Obst- und Gemüsestände doch ein Genuss, der alle Sinne anspricht. Denn solch ein fantastisches und wohlschmeckendes Angebot gibt es nicht in meiner alten Heimat.

Der Müllabfuhr in Santa Marta muss man ein großes Kompliment machen. Ob Aufgabe von Stadt oder Staat - ich weiß es nicht. Aber es tummeln sich an jeder Ecke die in grüne Kleidung gehüllten Männer mit Mundschutz, Kehrbesen und Schaufel - Frauen habe ich noch nicht gesehen -, um die Unmengen Mülls zu beseitigen. Wahrscheinlich schmeißt der Großteil der Bevölkerung deshalb Plastik und dergleichen achtlos auf die Straße.

Interessante Leute auf Schritt und Tritt

Den Markt zu besuchen, war für mich nicht der einzige Grund. Vielmehr möchte ich heute nach Minca. Es ist eine kleine Stadt auf 600 Metern Höhe, wo auch Kaffee gedeiht. Mittlerweile bin ich soweit, dass ich meine Frage in einem einigermaßen verständlichen Spanisch über die Lippen kriege. Doch die Salven, die mir entgegen schwallen, überfordern mich in der Regel. So mogle ich mich von Stand zu Polizei zu Ladenbesitzer - und nach dem fünften Mal fragen in dem Wirrwarr von Ständen finde ich zu einer Ecke, wo gleich einer brüllt: "Minca?" - "Si", antworte ich. Und in fünf Minuten geht es los. Zwei Mädels steigen mit ein in den wackeligen Jeep. Woher sie kommen, weiß ich nicht, sie bleiben stumm. Neben mir nimmt ein Ehepaar aus Frankreich Platz, das seit elf Jahren in Französisch Guyana gelebt hat. Die beiden Lehrer sind seit vier Monaten in Ruhestand und lassen ihren 17-jährigen Sohn auf dem Segelboot in Santa Marta zurück. Dieses ist mittlerweile ihr Zuhause. Wie mich das wieder an unsere gemeinsamen Pläne erinnert, gemeinsam die Welt zu erobern. Innerlich heule ich, äußerlich lasse ich mir nichts anmerken. Als nächstes steuert das Paar samt Sohn, der per Fernunterricht lernt, San Blas in Panama an. Da ich auf diesem Weg ja nach Kolumbien gekommen bin, kann ich nur sagen: Allen Respekt! Denn mit einem kleinen Segelboot dorthin zu fahren, ist mit Sicherheit eine enorme Herausforderung. Jeder darf nur sechs Stunden schlafen, um den anderen dann für drei Stunden als Steuer- und Wachmann (oder -frau) abzulösen.

Beim Tanken müssen alle raus

Eine viertel Stunde, nachdem wir losgefahren sind, steuert unser Jeepfahrer eine Tankstelle an. Es ist erstaunlich, wie viele Fahrzeuge hier auf Gas umgerüstet sind. Allerdings müssen alle Passagiere aussteigen während des Tankvorgangs. Wie wohltuend, dass hinter uns gleich ein mächtiger Sattelschlepper mit hochexplosivem Gemisch steht. Scheinbar gibt es auch hier Gesetze, die keiner so recht nachvollziehen kann. Denn würde die ganze Sache hochgehen, wären wir auch die fünf Meter weiter garantiert mit von der Partie. Apropos Gesetze: Auch in Kolumbien gibt es viele Straßen, die nur über eine Maut befahrbar sind. Vermutlich gibt es nirgendwo auf der Welt so ein Theater wie in Deutschland, wenn es um eine Straßennutzungsgebühr geht.

Nach 45 Minuten über äußerst holprige Straßen - dafür zahlt logischerweise keiner - erreichen wir Minca. Es ist ein winziger Ort. Aber dafür steht eine ganze Armada von Mopedfahrern bereit, um die ankommenden Touristen zum Wasserfall oder zur Kaffeeplantage zu fahren. Da obsiegt wieder mein Ehrgeiz. Ich geh' zu Fuß. Im Gegensatz zur "Verlorenen Stadt" ist das der reinste Spaziergang. Auf dem Weg zum Wasserfall stocke ich vorsichtshalber meinen Wasservorrat auf. Viel trinken - und damit meine ich nicht Alkohol! - ist wichtig bei solch einem Klima. Der witzige Opa mit Cowboy-Hut hinter seinem Tresen, wo auf offenem Feuer in verkohlten Töpfen irgendwelche Dinge vor sich hin köcheln, bringt mir aus der Eistruhe einen eisigen Totschlägern. Die 600-Milliliter-Plastiktüte - es gibt leider keine Flaschen - ist gefroren. Er lacht sich schier kaputt, als ich mit dem gefrorenen Wasser auf die Tischplatte haue. Zur Strafe muss er für ein Foto posieren. Irgendwann wird sich das Teil während meiner Wanderung hoffentlich verflüssigen.

Menschenmassen tummeln sich in den Kaskaden

Als ich endlich die Kaskaden erreiche, bin ich so schockiert, dass ich nach ein paar Fotos den Rückzug antrete. Es ist Sonntag. Und Sonntag ist Familientag. Nicht nur ein paar versprengte Touristen, sondern Horden von Kolumbianern strömen in die Pools des Wasserfalls. Nein danke! Dafür habe ich kurz zuvor an einem Abzweig den Wegweiser zu einem Öko-Lokal im Dschungel gelesen. Dass der Weg wieder einmal ziemlich steil, wenn auch nur kurz, nach oben führt, kann mich nach der Tour in die Ciudad Perdida nicht weiter umhauen. Es ist ein so wunderbarer, ruhiger Rückzugsort. Ganz nach meinem Geschmack. Der freundliche Chef weist mir über kleine Terrassen einen Weg zu einem Vogel-Beobachtungspunkt. Leo und ich finden Gefallen daran. Und erst am Lulo, oder der Lulo? Das ist ein so köstliches Getränk aus einer speziellen Frucht, die ich noch näher erörtern muss. Du schmeckst förmlich, wie die Vitamine deinen Körper erobern. Und dabei sehen die Kolibris und andere farbenprächtige Vögel zu. Chap wäre begeistert gewesen. Er war ein Vogelbeobachter durch und durch. Er hätte mich auf dieser Reise sicherlich mehrmals gescholten, weil ich das Fernglas wieder mal vergessen habe. Mit ihm wäre das nie passiert. Wie ich solche Kleinig- und Spitzfindigkeiten vermisse!



Mit Opa auf dem Moped zur Kaffeeplantage

Zurück zur "Hauptstraße". Die besteht mehr aus Löchern denn Asphalt. Zuweilen nur aus Sand. Ich arbeite mich weiter bergaufwärts - hört auch nie auf -, um zu der Kaffeeplantage zu gelangen. Die Aussagen der Befragten bewegen sich zwischen 45 Minuten und eineinhalb Stunden. Ich denk mir, die nächste Kurve noch. Und dann. Kehr ich um, oder was? Es kommen schon lange keine Motorrad-Taxis mehr. Da ist guter Rat teuer. Denn die Zeit rennt. Und der letzte Jeep in Minca fährt um 5.30 p.m. nach Santa Marta. Da kommt mir der Opa - er ist wirklich einer und sieht altersmäßig entsprechend aus - auf dem Moped gerade recht. Ich winke ihn heran und frage ihn, ober er mich zu der Kaffeeplantage bringen kann. Er wiegelt ab. 5000. Nein, 3000, entgegne ich. 4000, ich drücke runter auf 3500. Was eigentlich völlig belanglos ist, weil es sich nur um Cent-Beträge handelt. Aber Spiel ist Spiel. Also für 4000 lädt der ältere Herr - ich schätze ihn auf gut 70 - seine Kiste, die er mühsam mit Schnüren festgezurrt hat, ab, um sie ein klein wenig versteckt am Wegesrand zurück zu lassen. Ich nehme als Sozia Platz. Und es ist die richtige Entscheidung. Es ist noch ein ziemlicher Weg bis zur Kaffee-Fabrik.

Maschinen aus Deutschland

Der Seniore lädt mich vor der kleinen Factory ab. Und ich stoße gerade zu einer kleinen Gruppe, die eine Führung in Englisch kriegt. 70 Prozent des besten Kaffees aus Kolumbien werden demnach exportiert. Die zweite und dritte Wahl bleibt wohl im Lande und wird zuweilen gemischt mit den Bohnen des Welt-Exporteurs Nummer 1: Brasilien. Aus dem Fruchtfleisch entsteht nach eineinviertel Jahren ein wertvoller Kompost, der ausschließlich auf den Kaffeeplantagen ausgebracht wird. Was mich äußerst überrascht, ist, dass der Kaffee hier nicht geröstet wird. Das wäre laut unserer Führerin zu teuer. Die Maschinen dafür kosteten ein Vermögen. Somit trägt ein Kaffee, der beispielsweise nach Italien geliefert worden ist, die Handschrift Italiens und nicht die Kolumbiens, zumal er dort und nicht da geröstet worden ist.

Die Maschinen, die hier für den täglichen Betrieb sorgen - geerntet wird nur zwischen Dezember und März -, sind uralt. Und entweder aus den USA oder aus Deutschland. So die eigene Energie-Maschine aus Amerika, die 127 Jahre alt ist und noch tadellos funktioniert, und ein Telefon an der Wand, das laut Führerin noch heute funktioniert und vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland geliefert worden ist. In 40-Kilo-Säcken wird der ungeröstete Kaffee abgefüllt und heute für 340.000 Pesos verkauft. "Der Preis variiert allerdings jeden Tag", verdeutlicht die junge Kolumbianerin.

Nach einer feinen Kostprobe will ich mich auf den Rückweg machen. Doch leider steht hier niemand parat außer jenen, die die Kaffee-Interessierten bereits mit Jeeps oder Mopeds hierher gebracht haben. Ich quatsche einen der Fahrer an, ob er vielleicht unterwegs einen Kumpel schicken könnte. Aber Jorge lüftet sein Visier und versichert, dass er nach der Tour zurückkommt. Es ist, glaube ich, bereits der dritte Jorge, den ich persönlich kennenlerne. Und jedes Mal sehe ich Heidi Klums männliches Top-Model auf mindestens 20 Zentimeter hohen Hacken vor meinem geistigen Auge. Nun, dieser Jorge ist ebenso wenig jener, wie all die anderen. Und er kommt tatsächlich zurück. Bis ich ihm begegne, habe ich allerdings auch das härteste Stück des Wegs - wie immer nur bergauf - bewältigt.

Zusammengequetscht mit sechs Touris aus aller Welt auf zwei winzigen Sitzbänken und zwei weiteren auf dem Vordersitz neben dem Fahrer rumpeln wir talabwärts bis Santa Marta. Da werden gerade die letzten Spuren des Marktes beseitigt. Die tierischen Gerüche indes dümpeln noch in trägen Glocken vor sich hin.

Hüllen fallen vor Millionen-Publikum

Über Fernsehen auf Reisen habe ich bislang gar nicht berichtet. Darauf kann ich allerdings getrost verzichten. Doch manchmal ist es ganz witzig, einmal reinzuklicken, sofern man den Luxus eines TV in seinem Zimmer hat. In Santa Marta habe ich diesen. Während mein Apparat - schon ein fortschrittlicher Flat-Bildschirm, aber das war es dann auch - anfangs noch ansatzweise funktioniert hat, habe ich derzeit nur noch ein Programm, auf dem es obendrein fürchterlich schneit. Doch als ich noch ein bisschen sehen konnte, hat mich eine Sendung ziemlich in ihren Bann gezogen. Man kennt ja diese schrecklichen Diskussionsrunden, wo betrogene Ehefrauen über ihre üblen Typen herfallen oder wo einstmals beste Freundinnen sich vor einem Millionen-Publikum am liebsten die Augen auskratzen würden. Oder wo von der Bahn abgekommene Drogenabhängige schwören, sich nie mehr einen Schuss zu setzen, um dies dann gleich auf der nächstgelegenen Toilette zu tun.

Das gibt es hier natürlich auch, aber der Renner in Kolumbien sind - natürlich neben den täglichen Seifenopern - die Talkshows, in denen Frauen und Männer ihre Unvollkommenheit ungeniert zur Schau stellen. Bei Talkmasterin Marta Susana fallen - fast - alle Hüllen: Eine Frau mit sehr hübschem Gesicht präsentiert ihren wabbeligen Bauch, den sie seit der Geburt ihres Kindes nicht mehr zu zähmen weiß. Eine andere Frau tritt mit gesenktem Kopf auf die Showbühne. Ihr fliehendes Kinn und die extrem lange und huckelige Nase entsprechen in der Tat keinem Schönheitsideal. Ihr Mann, der im Publikum sitzt, lässt sich gar zu der Aussage hinreißen, sie sehe aus wie eine Schildkröte. Es ist schier unglaublich. Wieso hat der Typ sie eigentlich geheiratet? Die Flachbrüstige möchte mehr Busen, die Vollbusige einen dralleren Hintern.

Selbstverständlich kann bei allen Problemen Abhilfe geschaffen werden. Die Sendung wird im Zeitraffer gedreht. Also einige Wochen später: Die Flachbrüstige stolziert mit vier BH-Größen mehr herein, die "Schildkröte" hat plötzlich weiche Konturen und ein Kinn, der Schwabbelbauch ist Vergangenheit. Dank der Ärzte, die in der ersten Reihe sitzen. Jeder Einzelne hat sich eines persönlichen Schicksals angenommen. Natürlich völlig kostenfrei. Und das Publikum ist begeistert. Eine billigere Werbung könnten die Schnippel-Doktoren gar nicht kriegen. Das Business mit der Schönheit in Kolumbien boomt wie kaum eine andere Branche. Da könnte bestenfalls noch das Drogengeschäft mithalten.

Noch einmal auf die Brüste der Damen zurückzukommen. Jeder präsentiert hier voller Stolz, was er vor sich herschiebt, am besten noch mit mächtig aufgepolsterten Pushup-BHs. Transparente Blusen oder Shirts betonen den Sexappeal. Wird jedoch eine nackte Brust - wie eben vor der OP mit den angezeichneten Strichen, wo das Skalpell angesetzt wird - präsentiert, werden im Fernsehen sofort die Brustwarzen schwarz abgedeckt. Es ist auch absolut verpönt, hier ohne BH unter den Klamotten aus dem Haus zu gehen. Manche Dinge muss man halt nicht unbedingt verstehen.

Nun heißt es Rucksack packen. Die Reise geht weiter in den Süden Kolumbiens.