- Wenn ich mir morgens die Zähne putze, mir die Anti-Faltencreme ins Gesicht schmiere - die Hoffnung stirbt zuletzt -, an einem Päckchen Soja-Milch nuckle oder die quietschenden Scharniere einer Tür öle, denke ich künftig an die Algen-Farmer von Lembongan und Ceningan. Für ein paar lausige Kröten schuften sich die Menschen auf den balinesischen Inseln den Buckel krumm, damit wir in unserer Konsumgesellschaft auf nichts verzichten müssen. Denn die Algen, die die Seaweed-Farmer in Schwerstarbeit aus dem Meer fischen, landen als Gelier- und Verdickungsmittel in schier unglaublich vielen Konsumgütern. Wenn sich das Wasser zurückzieht, waten die Farmer zwischen den abgesteckten Feldern im Meer, um ihre Hände dann tief in den Grund zu graben und die reifen Algen zu ernten. In großen, geflochtenen Körben, die beiderseits an hölzernen Stangen hängen, die die Arbeiter auf den Schultern balancieren, wird die grüne, fischig riechende Ernte eingeholt. Um dann am Straßenrand entlang der ganzen Insel auf weiten Flächen ausgebreitet in der Hitze der Sonne zu trocknen. Nicht mehr als 4,70 bis maximal sieben Euro täglich - und das sind keine Acht-Stunden-Tage - verdienen die Bewohner der Inseln für diesen Knochenjob.

Vulkan kommt nicht nur Ruhe

Ich habe es trotz Asche-Wolke nach Bali geschafft. Glücklicherweise ist Jetstar genau an meinem Flugtag von Brisbane abgehoben. Zwei Tage später ist der Flughafen in Denpasar allerdings schon wieder dicht. Und jetzt, drei Wochen danach, hat sich die Lage noch immer nicht beruhigt. Der Vulkan auf Java spuckt nach wie vor Lava und mächtige Asche-Wolken empor, so dass die Fluggesellschaften - die asiatischen fliegen - vor allem auf Sicherheit setzen. Virgin Australia hat gerade wieder sämtliche Flüge von und nach Down Under gestrichen. Mir bleiben noch zwei Tage, ehe ich wieder zurück fliege, diesmal nach Perth. Bis dahin zerbreche ich mir also nicht den Kopf über Dinge, die ich ohnehin nicht ändern kann, und genieße weiterhin meine Auszeit in dieser so vielfältigen, mystischen Inselwelt.
Bei meiner Ankunft in Bali greift außer den übermächtigen und prächtigen Figuren auf dem Flughafen allerdings wenig Mystisches. Dutzende dunkelhäutiger Männer stehen und winken mit Schildern, auf denen Namen aus aller Herren Länder prangen. Irgendwann entdecke ich meinen. Ich gebe dem Typen ein Zeichen und muss mich erstmal durch den Duty-Free-Shop durch bugsieren, ehe ich in Denpasar richtig ankomme. Laut, hektisch, Menschenmassen. Vor allem aus Australien, nachdem jetzt die Flüge wieder gehen. Der Weg zum Hotel ist zwar kurz, aber dennoch lang, zumal der Verkehr hier mehr steht als fährt. Fortwährendes Hupkonzert begleitet mich, während mir noch die Brühe den Körper hinunterrennt. Endlich wieder! Nach der Kälte in Australiens Winter. Hinein ins pralle Leben. Kurz das Gepäck ins Zimmer geworfen und dann raus ins Chaos. Das erste eiskalte Bintang (balinesisches Bier) mag gar nicht erst unten ankommen, verdunstet schier auf dem Weg in meinen gierigen Schlund. Auf dem Rückweg folgt das Wohlfühl-Programm: Massage, Pediküre, Maniküre. Das gibt es neben Pubs und Restaurants hier fast in jedem zweiten Haus. Und dazu das allgegenwärtige Lächeln, wenn man die Balinesen mit Selamat Pagi, Selamat Siang oder Selamat Malam - Guten Morgen, Guten Tag und Guten Abend - begrüßt. Vergessen sind da der Ärger mit meiner Bank, die meine Visa-Card gerade zum dritten Mal gesperrt hat - wegen zu vieler Überweisungen von zu vielen Flügen, aber das passiert nun mal auf Reisen -, und der mit der Fluggesellschaft von Jetstar, die mir nur 15 Kilogramm Gepäck gestattet. Glücklicherweise habe ich ein Gewichts-Upgrade noch vor dem Abflug von Brisbane per Internet gebucht, das mich für fünf Kilo 30 Dollar kostet. Am Schalter hätte ich 25 Dollar pro Kilo abgedrückt. Tief durchatmen ist jetzt angesagt, den Duft der Räucherstäbchen einsaugen, die alle paar Meter kräuselnd ihre kleinen Fähnchen neben den Opfergaben für die Götter absetzen zwischen all den Abgasen, die Autos, Busse und vor allem Mopeds absondern.

Wiedersehen mit Mark von Cocos Keeling Islands

Am Tag nach meiner Auskunft hole ich Mark, den Australier, in dessen Bus ich auf den Cocos Keeling Islands gewohnt habe, aus dem dichten Gedränge des Flughafens ab. Wir wollen die nächsten dreieinhalb Wochen gemeinsam durch Bali reisen, er vor allem surfen. Also wieder rein in dieses unglaubliche Getümmel. Der ehemalige Profi-Rugby-Spieler kommt mit seiner riesigen Surfboard-Tasche an - wie so viele andere Australier auch. Bali zählt zu den Hotspots der Surfer-Szene, vor allem, weil es hier wesentlich preiswerter ist als anderswo auf der Welt. Wir feiern unser Wiedersehen bei ein paar Bierchen und Live-Musik in einer der vielen lauten Kneipen zwischen Kuta und Denpasar. Das Hupkonzert dröhnt durch die Nacht. Es wird Zeit, dieses lärmende Zentrum zu verlassen.
Das tun wir bereits am nächsten Tag, als wir das Schnellboot nach Lembongan besteigen. In einer halben Stunde sind wir auf der Bali vorgelagerten Insel, auf der alles wesentlich gemächlicher zugeht. Schon unsere Bleibe irgendwo im Nirgendwo im "Garden Cottages" ist eine Oase zum Erholen. Zwei Schritte von der Veranda bis in den Pool. Lässt man die lautstarken Chinesen einmal außer Acht, die schon morgens gegen sechs Uhr zum Fitness-und-Stimmen-Übertrumpfen-Training im Pool blasen, ist es ein perfekter Platz zum Erholen. In Windeseile organisieren wir ein Moped - neben den Mini-Bussen das einzige Fortbewegungsmittel auf der Insel -, um die Umgebung ein wenig auszukundschaften. Vom "Panorama Point" aus, an dem wir die nächsten elf Tage wenigstens einmal täglich vorbei knattern, hat man einen unglaublichen Blick über die Küste, die sich entlang des Jungutbatu Village erstreckt, wo die Surfer-Wellen gischtend an den weißen Strand rollen.

Gebrochene Rippen und Platzwunde am Kopf

Am nächsten Morgen bekommen wir einen zweiten Roller, zumal der erste keine Halterung für das Surfbord hat. Prima, denke ich mir, bin zwar schon lange nicht mehr gefahren, aber allemal besser, als hinten drauf zu hocken. Die Begeisterung hält nicht lange an. Die Straßen, die hier nur selten jenen Namen auch verdienen, sind verkommen zu löchrigen Schotterpisten, auf denen es zuweilen recht eng zugeht. Nun ja, die Kurve ist noch ein wenig enger, der Gegenverkehr mit Mopeds kaum überschaubar und irgendwie drücke ich impulsiv statt mit Gefühl genau jene rechte Handbremse, die mir Mark empfohlen hat, eben nicht zu drücken. Dann geht alles ganz rasch: Ich mache einen äußerst ungalanten Abgang. Mit meinem neuen weißen Kleid schlittere ich den staubigen, mit Steinen und Steinchen übersäten Boden entlang, den Rucksack gottseidank auf dem Buckel, der einiges abmildert. Nichtsdestotrotz trage ich keinen Helm, schlage mit dem Kopf auf irgendetwas Hartes, und mit der rechten Körperhälfte rutsche ich durch Sand und Schotter. Mark scheint das Knirschen und Knacken gehört zu haben, denn schnell ist er zur Stelle. Ich fasse mir unter Schock an den Kopf. Meine Hand ist blutig. Das hat mir gerade noch gefehlt. Das Blut stammt vom Kopf, nicht von der Hand. "Irgendwas am Kopf!", schießt es mir durch selbigen. Ein hilfreicher Balinese packt mich auf den Sozius seines Rollers und fährt mich zum Arzt, der um die Ecke praktiziert. Welch ein Glück! Mark folgt, nachdem er mein Moped - glücklicherweise ist es nicht kaputt gegangen - in Sicherheit gebracht hat.
In der spartanischen Mini-Klinik geht der Doc nicht gerade zimperlich mit mir um. Rüde, aber lachend, wischt er mir mit alkoholgetränkten Tüchlein den Dreck aus einer tieferen Wunde am Fuß, einer ordentlichen Schnittwunde an der großen Zehe, an der Wade, an meinem Unterarm, am Kopf, an der ganzen rechten Seite meines Oberkörpers. Schlitterspuren überall. Die Platzwunde am Kopf muss genäht werden. Ich beiße die Zähne zusammen. Mark ermahnt mich, er hätte mir gestern schon geraten, einen Helm aufzusetzen. Niemand auf den Inseln fährt mit Helm. Wieso also ich? "Deswegen", meint Mark. Ich bleibe stur und setze auch künftig als Sozia keinen Helm auf. Denn das bin ich seit meinem Unfall: Wieder verbannt auf den Rücksitz. Nicht nur, dass ich die nächsten Tage nicht ins Meer oder den wunderbaren Pool springen darf. Da wären dann noch drei gebrochene Rippen, die mich in den Tagen und Wochen darauf bei jedem Hüsteln, extremen Bewegungen und vor allem beim Niesen an den bedauerlichen Zwischenfall auf Lembongan erinnern. Die Prozedur des Heilens zieht sich ewig hin, während die Fäden von meinem Kopf schon drei Tage später gezogen werden können.
Als der Doktor die noch offenen Schürfwunden an Marks Schienbein sieht, die sich dieser beim Tauchen nach Langusten vor seiner Abreise in Cocos zugezogen hat, verdonnert er ihm ebenfalls einen Verband und spricht ein Wasser-Verbot aus. Irgendwie erleichtert mich das, dass ich meine Stillhalte-Zeit nicht allein verbringen muss, auch wenn es nicht wirklich kameradschaftlich ist! Wir beschließen, das Ganze dann mit einigen Tagen des Biertrinkens zu verdrängen, was angesichts einer Antibiotika-Verordnung ebenfalls scheitert. Drei Tage Alkoholverbot. Schaden kann das sicherlich auch nicht!

Über die "Golden Gate Bridge" ins Surfer-Paradies

Somit rollen wir die nächsten Tage über die Inseln Lembongan und Ceningan (wegen Wasser-Verbots zunächst ohne Surfbrett), um diese näher unter die Lupe zu nehmen. Ceningan ist über die "Golden Gate Bridge", eine lange, mit Holzbrettern versehene Hängebrücke erreichbar, auf der nur Fußgänger und Mopeds - breiter ist sie nicht als ein Moped, wenn es ein Surfboard geladen hat - passieren können. Wer die zum Teil exklusiven Hotels im Surfer-Paradies Ceningan anstrebt, wird mit dem Minibus bis zur Brücke gebracht, um dort zu Fuß weiter zu marschieren. Fleißige Helferlein schultern Koffer, Rucksäcke oder mächtige Surfer-Taschen, um sie ebenfalls zu Fuß von hüben nach drüben zu transportieren. Dort wartet dann der nächste Minibus, um Passagiere nebst Gepäck wieder aufzunehmen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Die Auswahl der Lokale, die wir besuchen, wird auf beiden Inseln allmählich eng, denn auf den beiden Inseln gibt es für die unglaublich vielen Urlauber nur einen einzigen Geldautomaten, der seit Tagen nicht einen müden Schein ausspuckt. Also müssen wir jene Restaurants aufsuchen, die etwas teurer sind, zumal man hier mit Kreditkarte bezahlen kann. Mit mürrischen Gesichtern fahren all die Rucksack-Touristen wieder von der Geld-Zapfsäule ab.

Der lebende Körper - eine Hülle für geraume Zeit

Etliche Gräber säumen die Mini-Sträßchen und Schotterpisten auf Lembongan und Ceningan. Fast ein jedes Steingrab ist geschützt von einem Regen-, in diesem Fall wohl eher Sonnenschirm. Auf den Gräbern sieht es zum Teil aus wie auf einer Müllhalde, doch bei näherem Hinsehen entpuppen sich die Berge der Hinterlassenschaften als Opfergaben. Jogurt- und Wasserbecher mischen sich mit kleinen, aus Bast geflochtenen Körbchen, in denen Reste von angetrockenetem Reis liegen, den die Vögel, Katzen oder Hunde liegen lassen haben. Bonbons oder Schoko-Riegel liegen ebenfalls da, so, als müsste der Tote mal eben mit der Hand aus der Gruft danach greifen, um sich zu stärken. Geldscheine, silberne Alu-Münzen, Zigaretten, Kekse, kleine, bunte Blüten - auf ihrer Reise in eine andere Welt scheint alles ebenso wichtig und notwendig wie zu Lebzeiten. Anders als in deutschen Gefilden, leben die Menschen hier mit ihren Lieben, die im Jenseits sind. Auch wenn wir auf viele Gräber stoßen, so werden doch mehr Menschen verbrannt und ihre Asche verstreut denn begraben.
Nach der Vorstellung des Hinduismus dient der Körper Mensch und Tier nur als Hülle für geraume Zeit. Der tote Körper wird gereinigt und so von seinen Bindungen gelöst und befreit. Feuer und Wasser spielen dabei eine entscheidende Rolle. Durch die Verbrennung des toten Körpers wird die Seele befreit. Ohne Trauer verabschiedet sich die ganze Gemeinde bei der Verbrennungszeremonie, nach der die Asche dem Meer oder einem Fluss übergeben wird. Danach kann sich der Tote in den Kreislauf der Wiedergeburten einreihen. Ich finde, dieser Glaube ist ein schöner Glaube. Viel schöner als der, der mir einst in die Wiege gelegt worden ist und dem ich längst abgeschworen habe. All das Geschwafel von Sünde, das die Menschen nur einschüchtert! Manchmal sehe ich meinen geliebten Chap in anderer Gestalt auf meiner langen Reise. Zumindest bilde ich mir das hin und wieder ein. Auf Bali haben wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub verbracht.

Die Götter bei Laune halten

In uralter hinduistisch-indonesischer Tradition huldigen die Balinesen täglich mehrmals den Göttern. Denn die müssen bei Laune gehalten werden, zumal die Insulaner des Glaubens sind, die Götter beherrschten die Naturkräfte. So kommt es nicht selten zu Vulkanausbrüchen in der Region - wie gerade ganz aktuell im benachbarten Java, dessen Auswirkungen ich seit drei Wochen miterlebe. Zumindest daran, dass gerade wieder etliche Touristen in der Sportsbar sitzen, deren Flug storniert worden ist. Und ob ich meinen erwische, steht in den Sternen. Ich habe noch einen Zeitpuffer, muss allerdings spätestens am 15. August im australischen Perth sein, um meine nächste große Reise antreten zu können. Doch dazu irgendwann später. Zurück zu den Göttern, die gnädig gestimmt werden müssen, zumal in Bali auch Erdbeben recht häufig vorkommen, die zuweilen ganze Dörfer dem Erdboden gleichmachen. Vor jedem Haus, selbst vor jedem Laden mit Touristen-Souvenirs und alle paar Meter frühmorgens am Strand, duften daher Räucherstäbchen in Körbchen, geflochten aus Blättern und Blüten. Sie sollen den feindlichen Mächten, die das Leben und Schaffen der Balinesen bedrohen, ihre Kraft rauben. Jedes Haus hat zudem seinen eigenen Tempel. Die Größe richtet sich nach Armut oder Reichtum der Menschen. Doch der Glaube eint sie alle.

Rohstoff geht in alle Welt

Nusa Lembongan, die Insel südöstlich von Bali in Indonesien, ist Teil der Kleinen Sundainseln. Von Bali aus ist es ein beliebter Ausflugsort für einen Tag, ich indes habe mich für elf Tage hier einquartiert, zumal ich den ruhigen Trott der Inseln dem hektischen Treiben auf Bali vorziehe. Nusa Lembongan ist ungefähr acht Quadratkilometer groß und zählt nicht mehr als 5000 Einwohner. Die Insel ist von Korallenriffen umgeben und hat weiße Sandstrände sowie kleine Kalkstein-Kliffs. Von der viel kleineren Insel Nusa Cenignan ist Lembongan durch einen flachen Kanal getrennt, der bei Niedrigwasser schwierig zu navigieren ist. Und hier grenzt eine Seetang-Farm an die nächste. Während unserer täglichen Fahrten mit dem Moped erlebe ich die Ernte der Algen hautnah. Ausgebreitet auf Plastikplanen trocknet das Seegras am Straßenrand. Wenn sämtlicher Saft aus den anfänglich glänzend grünen Algen gewichen ist, wird die Ernte an einen Mittelsmann verkauft. Der sorgt dafür, dass das Geliermittel aus dem Meer gebündelt weiterverkauft wird an internationale Rohstoff-Händler, die die getrockneten Algen zur Weiterverarbeitung in alle Welt schicken.
Und somit landet dann das Seaweed aus Lembongan oder Ceningan möglicherweise in der Zahnpasta-Tube, die wir morgens und abends gedankenlos aufschrauben. In Zukunft vielleicht nicht mehr ganz so gedankenlos!