Kritik: "Walküre"

Von Florian Zinnecker
Foto: Festspiele Bayreuth Foto: red

Fast die komplette „Walküre“-Besetzung wird nach diesem Sommer ausgetauscht, die aktuelle ist dieses Jahr - endlich - in Bestform. Das bedeutet: Wer dieses Jahr Karten hat, hat einen guten Moment erwischt. 

 
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Die Fahne hängt tief auf dem Festspielhausdach, von der Seite könnte man meinen, sie wehe auf Halbmast. Ist was passiert? Ein kurzer Anruf im Pressebüro: „Wir sind alle quicklebendig“, vielleicht sei der Wind schuld. Der Wind. Er sorgt auch in Frank Castorfs „Walküre“-Inszenierung für Unruhe, streicht um die Ecken der Ölfarm in Aserbaidschan und weht die Revolution heran.

Castorf hat kaum etwas verändert an der Inszenierung, die den Gegenpol bildet zum „Rheingold“ am Vorabend: Da passiert schon laut Libretto viel, und Castorf packt die doppelte Portion Action dazu. In der „Walküre“ halbiert er sie. Er entschleunigt alles, reduziert, bremst ab - und zeigt wieder, dass es ihm gar nicht so sehr darum gegangen sein kann, die Musik zu entkräften und kaputt zu bügeln.

Tatsächlich verlässt er sich voll auf sie, seine kleine Geschichte der Sowjetrevolution, die er auf ihren Rücken gebunden hat, würde sofort in sich zusammenfallen, die spektakuläre Bilder bietet, in der viertelstundenweise aber einfach gar nichts passiert. Außer Stehtheater, Rampensingen. Was sofort dazu führt, dass im Parkett Programmhefte krachend auf den Boden fallen, weil ihre Besitzer eingeschlafen sind; hin und wieder wird leise geschnarcht.

Castorf - konventioneller als man wollen kann

Das ist sie, die raffinierte Brechung der Erwartungshaltung: Castorf steckt das Spielfeld ab - und ist dann konventioneller, als man es eigentlich wollen kann. Und es ist rührend, dass der alte Theaterzyniker Frank Castorf ein Schlussbild hinstellt, das nicht nur schön, sondern auch ziemlich kitschig ist und bewirkt, dass man beim Zuschauen fast sentimental wird: ein brennendes Ölfass vor dem Scheunentor, darüber Nebel und Lichterketten, dahinter eine Ölförderpumpe, die nach der Arbeit ruht wie ein großes, müdes Tier. Das kann man toll finden, faszinierend, heimelig. Auch wenn man vorher großer Gefühle für die Wurzeln des Kommunismus eher unverdächtig war.

Aber das ist natürlich reines Kalkül, es ist ja nicht so, dass ein erprobter Hoffnungsgegner nichts ausrichten könnte gegen das optimistische, vorfreudige Ende der „Walküre“. Nur eine Waffe taugt: Nostalgie. Castorf erzeugt einfach eine Idylle und schraubt die Fallhöhe nach oben. Damit alles im „Siegfried“ noch krachender auf dem Boden zerschlägt.

Den Sängern nützt Castorfs Zurückhaltung natürlich sehr. Anja Kampe und Johan Botha sind - zum letzten Mal - ein strahlendes, fantastisches Wälsungenpaar, das sich klug die Kräfte einteilt und sich immer und immer weiter steigert, bis zum jeweiligen Ende.

Wotans Monologe: wahnsinnig gut

Wolfgang Koch und Claudia Mahnke haben sich im „Rheingold“ am Vorabend auf Betriebstemperatur gebracht, Mahnke war als Fricka schon letztes Jahr toll, diesen Sommer kommt auch Wolfgang Koch aus der Reserve. Auf einmal ist sie da, die Stimme, das Volumen, die Wotan-Farbe, die Monologe im zweiten und dritten Aufzug sind jetzt nicht einfach nur unter Kontrolle, sondern: wahnsinnig gut.

Im nächsten Jahr singt jemand anders den Walküre-Wotan, wer dieses Jahr „Ring“-Karten hat, hat einen sehr guten Moment erwischt. Denn auch Catherine Foster als Brünnhilde zeigt diesmal noch mehr Selbstbewusstsein als in den Vorjahren, ihre Brünnhilde ist jetzt voll da, und: Sie bleibt, fast als einzige, der Produktion erhalten.

Auch Kwangchul Youn, der tolle Hunding, hört hier nach diesem Sommer auf. Die Umbesetzungen werden damit fast zum typischen Castorf-Moment: Ist ja schön, ist ja gut. Aber seid euch mal nicht zu sicher.

Und Kirill Petrenko strickt weiter an seinem persönlichen Bayreuth-Mythos, von den flackernden Streicher im Vorspiel über den „Nothung“-Trompetenruf, der im Forte beginnt, aber im Piano endet, bis hin zum stolzen, affirmativen Breitband-Finale, ungebrochen, das eigentlich überhaupt nicht nach Petrenko klingt, aber der ist einfach klug genug, nicht zum eigenen Klischee zu werden.

Es sind wirklich alle quicklebendig an diesem Abend.