Kritik an milder Strafe für Pistorius

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Glimpflich davongekommen, könnte man sagen: Der Paralympics-Star Oscar Pistorius erschoss seine Freundin, dafür muss er auch ins Gefängnis. Doch die Richterin verhängt zum Ärger vieler ein mildes Strafmaß.

 
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Sechs Jahre. Das sind 72 Monate. Über 300 Wochen. Fast 2200 Tage. Das klingt nach einer langen Zeit - und so fühlt es sich wahrscheinlich auch an. Trotzdem ist Oscar Pistorius mit sechs Jahren Gefängnis noch glimpflich weggekommen.

Der ehemalige Spitzensportler erschoss vor über drei Jahren seine damalige Freundin durch die Toilettentür in seiner Villa, am Valentinstag. Er habe Einbrecher hinter der Tür vermutet, beteuert der 29-jährige Südafrikaner. Nach einem Prozessmarathon drohten ihm nun mindestens 15 Jahre Gefängnis für die Tat - sechs sind es geworden.

„Die mildernden Umstände wiegen schwerer als die belastenden Faktoren“, urteilt die zuständige Richterin Thokozile Masipa am Mittwoch in Pretoria. Sie verurteilte den unterhalb der Knie amputierten Sportler schon einmal - zu fünf Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung. Die Staatsanwaltschaft ging in Berufung und erzielte Ende 2015 eine Verurteilung wegen „Mordes“, was im deutschen Rechtssystem dem Totschlag entspricht.

Nun musste Masipa erneut entscheiden, wie lange der in Südafrika einst als Volksheld gefeierte Pistorius ins Gefängnis muss. Sie lässt Milde walten. „Er ist ein gefallener Held, er hat seine Karriere verloren, er ist finanziell ruiniert“, erklärt sie. Er sei ein Ersttäter und Reue habe er auch glaubhaft gezeigt. Experten rechneten mit mindestens zehn Jahren Gefängnis - Masipa überrascht sie.

Pistorius hört den Ausführungen der Richterin regungslos zu, legt oft den Kopf in die Hände, schaut nach unten. Am Ende umarmt er Familie und Freunde, sichtlich erleichtert. Hilflos sei er in der Tatnacht gewesen, ohne seine Prothesen im Dunkeln, argumentierte die Verteidigung während des Prozesses. Er habe aus Angst um sein Leben geschossen. Zur Demonstration lief der Paralympics-Star bei der Anhörung über das Strafmaß im Juni auf seinen Beinstümpfen durch den Gerichtssaal und weinte dabei.

Die Richterin folgt mit ihrer Entscheidung nun dieser Version der Ereignisse. Die Staatsanwaltschaft argumentierte stets, Pistorius habe Reeva Steenkamp nach einem Streit kaltblütig erschossen. In dem kleinen Badezimmer habe sie sich nirgends vor den tödlichen Schüssen verstecken können. Richterin Masipa hingegen befindet, Pistorius hätte sofort versucht, das Model zu retten, wenn auch ohne Erfolg.

Der gesamte Prozess wurde im südafrikanischen Fernsehen live übertragen. Auch um zu zeigen, dass ein reicher Weißer von der Justiz nicht besser behandelt wird, als ein armer Schwarzer. Für Aufruhr sorgte aber bereits die Tatsache, dass Pistorius' erste Strafe nach einem Jahr Gefängnis in Hausarrest umgewandelt wurde. Den verbrachte er in der luxuriösen Villa seines Onkels.

Dass das neue Strafmaß nun erneut milde ausfällt, macht viele wütend. Es sei eine „Beleidigung für Frauen und die Steenkamp-Familie“ sagt Jackie Mofokeng, Sprecherin der Frauenorganisation der südafrikanischen Regierungspartei ANC. Die Organisation geht davon aus, dass es sich bei dem Tod von Steenkamp um einen Fall von Gewalt gegen Frauen handelt. Richterin Masipa hingegen kommt zu den Schluss, dass Steenkamp und Pistorius keine gewalttätige Beziehung führten.

Auch andere Südafrikaner empören sich über Masipas mildes Urteil. „Es ist schrecklich. Reevas Leben war mehr wert als das“, sagt etwa Estelle, eine Lehrerin aus Johannesburg. „Sie war sehr nachsichtig“, bewertet der südafrikanische Strafrechtler Llewellyn Curlewis die Entscheidung Masipas.

Verteidigung und Staatsanwaltschaft können innerhalb von zwei Wochen Berufung gegen das Urteil einlegen. Die Verteidigung will jedoch nicht gegen die Entscheidung vorgehen, kaum überraschend. Pistorius kann nach Verbüßung eines Teils der Haftstrafe einen Bewährungsantrag stellen.

Sollte die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Strafmaß beantragen, muss erneut Richterin Masipa über diesen Antrag entscheiden, wie Curlewis erklärte. Sollte sie zustimmen, müsse das oberste Berufungsgericht über ein neues Strafmaß befinden. Die Justiz-Saga um den Spitzensportler könnte also weitergehen.

dpa

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