Kramme: Die Union muss sich noch bewegen

Von Peter Rauscher
Die Union muss sich in Koalitionsverhandlungen noch noch bewegen, damit sie die SPD als Partner gewinnt, sagt die Bayreutherin Anette Kramme, SPD-Bezirkschefin und Parlamentarische Staatssekretärin. Foto: Peter Kolb Foto: red

Hochspannung vor dem SPD-Parteitag an diesem Sonntag: Ob die Delegierten die Sondierungsergebnisse von Unions- und SPD-Spitzen billigen und damit den Weg für Koalitionsverhandlungen frei machen werden, gilt als offen. Anette Kramme, oberfränkische SPD-Chefin und Parlamentarische Staatssekretärin, arbeitete  bei den Sondierungen im Hintergrund mit. Im Kurier-Interview sagt sie, warum sie das Verhandlungsergebnis gar nicht so schlecht findet.

 
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Besser nicht regieren als schlecht regieren. Stimmen Sie dem Satz zu?                                                 

Anette Kramme: Mit diesem Satz haben es sich Christian Lindner und die FDP zu einfach gemacht. Es ist unredlich, die Brocken hinzuwerfen, nur weil nicht alle Weihnachtswünsche erfüllt worden sind. Der Kompromiss ist die tägliche - manchmal allerdings unangenehme - Gegebenheit der Demokratie.

 

Christian Lindner wurde in seiner Partei gefeiert, weil er Jamaika platzen ließ. Dem SPD-Sondierungsteam werfen die Jusos vor, es habe sich von der Union vorführen lassen. Finden Sie das ungerecht?

Kramme: Was blieb der FDP denn anderes übrig, als dieses unwürdige Schauspiel als vermeintlichen Erfolg zu verkaufen? Ich persönlich bin mit dem Sondierungsergebnis nicht zu 100 Prozent glücklich, auch wenn einige gute Ansätze drinstehen. Jetzt sind wir an einem Punkt angekommen, an dem wir diese groben Überschriften mit konkreten Inhalten füllen müssen. Erst dann kann meiner Meinung nach überhaupt abschließend beurteilt werden, was geht und was nicht.

Keine Steuererhöhung, kein Klimaziel für 2025, dafür Flüchtlingsobergrenze und Soli-Senkung. Ärgert es Sie, wenn Satiriker nach Sondierungsende der FDP gratuliert haben?

Kramme: Sie erwähnen richtigerweise die Abschaffung des Solis bis zu einer Freigrenze von 60.000 Euro Jahresverdienst. Das bedeutet eine Steuerentlastung für viele. Es gibt eine Milliarde zusätzlich für die mehrjährige Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, eine Grundrente oberhalb der Grundsicherung auch für Bestandsrentner, eine Beibehaltung des Rentenniveaus bei 48 Prozent zunächst bis 2025, Parität in der Krankenversicherung, einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder, eine Mindestausbildungsvergütung für Azubis, mehr Kindergeld, mehr Bafög, enorme Investitionen in die Schulen und zusätzliches Geld für den Wohnungsbau.

Für Satiriker waren die Jamaika-Verhandlungen in jeder Hinsicht ein gefundenes Fressen. Sie waren eine Blaupause dafür, wie man Gespräche auf keinen Fall führt. Allerdings hätte die FDP für ihre schauspielerischen Fähigkeiten eher den Oscar verdient als politische Anerkennung.

Auch hochrangige SPD-Politiker fordern Nachverhandlungen. Die Union lehnt das ab. Geht da noch was?

Kramme: Die Unionsparteien werden sich noch weiterbewegen müssen, wenn sie die SPD als Partner gewinnen wollen. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Koalitionsverhandlungen gehen weit über eine Sondierung hinaus.

 

Alexander Dobrindt sprach von "Zwergenaufstand“. Kann die SPD mit solchen Leuten wirklich koalieren?

Kramme: Ich rate Herrn Dobrindt zu einem gerüttelten Maß an Demut. Als gescheiterter Verkehrsminister sollte er sich zurücknehmen und erst einmal seine eigene schmale Leistung der vergangenen Legislaturperiode überdenken. Das Problem ist, dass Politiker wie Herr Dobrindt Politik zuallererst für sich selbst machen. Das ist gefährlich für die Demokratie und auch keine gute Basis für eine fruchtbare Zusammenarbeit.

 

Warum hat die SPD eigentlich nicht darauf bestanden, nach der Halbzeit der Legislaturperiode den Kanzler selber zu stellen?

Kramme: Das hätte man tun können, dann wären die Gespräche nach 20 Minuten beendet gewesen. Ich sehe nicht, warum sich die stärkste Partei auf solch einen Deal einlassen sollte. Wir hätten es in der Position der CDU sicherlich auch nicht gemacht.

 

Nach jeder der beiden großen Koalitionen unter Merkel ist die SPD schwächer geworden. Warum sollte es diesmal anders werden?

Kramme: Opposition ist auch keine Garantie für den Erfolg. Das weiß die bayerische SPD aus leidvoller Erfahrung. Die SPD braucht unstreitig inhaltliche und organisatorische Veränderungen. Das gilt losgelöst von der Frage, ob wir mitregieren oder ob wir in der Opposition sein werden. Ich erwarte vom Parteivorsitzenden, dass er sich dieser Frage in den nächsten Jahren ganz vorrangig widmet.

 Bestandteil dieser Arbeit muss die Entwicklung großer Leitlinien der Politik für die nächsten 20 Jahre sein, um aus dem „Kleinklein“ herauszukommen. Dazu gehört auch die Aufarbeitung der Zeit der Agenda 2010. Dazu gehört weiter, der Basis neue Möglichkeiten der Beteiligung an politischen Prozessen zu geben, beispielsweise über Chats etc.  Es muss diskutiert werden, wie Nichtwähler und Protestwähler wieder erreicht werden können.

 

Möchten Sie in der neuen großen Koalition ihren Posten als Parlamentarische Staatssekretärin behalten?

Kramme: Die Partei ringt im Moment in größter Ernsthaftigkeit um die Frage, ob sie sich an einer Koalition beteiligen soll oder nicht und welche Folgen das für sie hat. Deshalb liegt es mir fern, an solche Dinge wie meine persönlichen Ambitionen zu denken. Es ist vollkommen offen, ob es überhaupt zu einer neuen Koalition unter Beteiligung der SPD kommt. Und ob dann die SPD wieder die Leitung des Arbeitsministeriums übernimmt, steht auch in den Sternen. Im Übrigen muss ein Minister oder eine Ministerin auch persönlich mit seinen oder ihren Staatssekretären klarkommen.