Kleine Betriebe besonders betroffen - Aufzeichnungspflicht stellt Arbeitgeber unter Generalverdacht, die Arbeitszeiten nicht einzuhalten Mindestlohn: Arbeitgeber ärgern sich über den Bürokratie-Wahnsinn

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Arbeitgeber, zum Beispiel Metzger und Gaststätten-Betriber, ärgernsich über den "Bürokratie-Wahn" beim neuen Mindestlohngesetz. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Metzger Helmut Parzen hätte gerne seine Frau am Aschermittwoch zum Heringsessen ausgeführt. Daraus wurde nichts. Parzens Frau blieb schweren Herzens zu Hause, um die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu dokumentieren. „Die Bürokratie hat uns mit voller Breitseite getroffen“, schimpft er. Schuld sei das Mindestlohngesetz, das ihm zwingend vorschreibe, jede einzelne geleistete Arbeitsstunde aufzuzeichnen. Und das trotz der Tatsache, dass er Monats- und keine Stundenlöhne zahlt. So wie die Parzens sind viele kleine und mittelständische Arbeitgeber sauer wegen des neuen Gesetzes.

 
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„Die Verärgerung bei vielen Handwerkern ist groß“, sagt Pressesprecher Bernd Sauer von der Handwerkskammer für Oberfranken. Nicht über die Einführung des Mindestlohns, der schon zuvor in allen Branchen bezahlt worden sei. Sondern über den enormen bürokratischen Aufwand, der mit der Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit verbunden sei. Wie im Metzgereibetrieb von Helmut Parzen. Ob Vollzeitmitarbeiter, die 40 Stunden die Woche arbeiten, oder Halbtagsbeschäftigte – jede täglich geleistete Arbeitszeit müsse dokumentiert werden.

"Eine unglaubliche Zumutung"

Das stelle eine enorme Belastung dar, sagt Parzen, „und eine unglaubliche Zumutung“. Denn die Aufzeichnungspflicht stelle ihn als Arbeitgeber unter Generalverdacht. Soll heißen, ihm werde – unbegründet – unterstellt, gegen das Arbeitszeitgesetz zu verstoßen. „Quatsch“, sagt Parzen. Natürlich müsse man manchmal flexibel sein, aber ausgenutzt habe er seine Mitarbeiter nie. „Man kann doch den Kunden im Laden nicht einfach stehen lassen, weil man Feierabend hat!“, schimpft Parzen.

Vor noch größere Probleme als Metzger Parzen stellt das Mindestlohngesetz die Schaustellerin Gudrun Sommerer. „Wir sind ein Saisonbetrieb, in dem es ohne flexible Arbeitszeiten gar nicht geht“, sagt die Vorsitzende der Sektion Bayreuth des Süddeutschen Schaustellerverbandes. Die Arbeitszeit richte sich nun mal nach den Öffnungszeiten der Volksfeste. Wenn sie, wie vom Mindestlohngesetz verlangt, diese wahrheitsgemäß dokumentiere, stehe sie immer mit einem Fuß im Gefängnis. Einzige Lösung wäre ein größeres Team.

Doch weitere als ihre vier Mitarbeiter, für deren Kost und Logis sie noch zusätzlich zum Lohn aufkomme, könne sie nicht einstellen. Weil sie sich ein größeres Team schlichtweg nicht leisten könne. Bliebe als Alternative lediglich, ihre Brezenbäckerei zu schließen. „Es muss eine Lösung her für Saisonbetriebe wie den unseren“, fordert Sommerer. Schließlich könne man Brezen nicht nach der Stoppuhr verkaufen.

Der Hotel- und Gaststättenverband hat richtig große Probleme mit dem Gesetz

Besonders kräftig ins Widerstandshorn gegen das Mindestlohngesetz bläst der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). „Die Dokumentationspflicht ist ein enormer zusätzlicher Aufwand, völlig überzogen und unnötig“, schimpft Ulrich Brandl, Präsident des Dehoga-Bayern. Besonders für die kleineren Betriebe, die zahlenmäßig in der Mehrheit seien, bedeute die Aufzeichnungspflicht ein unnötiger Aufwand. „Die Erfahrung zeigt, dass sich der bürokratischer Aufwand um bis zu 20 Prozent erhöht“, sagt Hotelier Brandl.

Am Stundenlohn von 8.50 Euro hat er nichts zu kritisieren. „Für ordentliche Arbeit soll es auch ordentliche Entlohnung geben“, betont Brandl. Doch der bürokratische Mehraufwand werde für viele, besonders kleinere Betriebe das Ende bedeuten, weil sie die Mehrkosten nicht auf ihre Kunden umlegen könnten. Die größeren Betriebe könnten die Belastung noch eher stemmen. Allerdings nicht ohne Folgen: Am Ende werden die Verbraucher die Mehrkosten zahlen müssen, ist Brandl überzeugt. Was den bayerischen Dehoga-Präsidenten jedoch noch mehr aufwühlt als die Erfassung von Arbeitsbeginn, Pause und Arbeitsende auf einem speziellen Formblatt ist die „Kriminalisierung“ seiner Branche. Man stehe unter dauerndem Generalverdacht, müsse jederzeit mit einem Kontrollbesuch des Zolls rechnen.

Kritik: Die beim Zoll neu geschaffenen Stellen sollte man anders nutzen

„Diese neu geschaffenen 1600 Stellen beim Zoll sollte man sinnvoller für die Verbrechensbekämpfung nutzen“. Brandls Fazit: „Der Bürokratiewahnsinn muss gestoppt werden.“ Spätestens Ende dieses Jahres werde die Dokumentationspflicht wieder abgeschafft, ist Brandl überzeugt. Zu groß seien die Verärgerung und der Widerstand in seiner und anderen Branchen. Bis dahin muss auch Dehoga-Kreisvorsitzender Engin Gülyaprak den erhöhten Bürokratieaufwand stemmen, will er nicht in Gefahr geraten, sich strafbar zu machen. Dass ihm als Wirt jegliche, in der Gastronomie wichtige Flexibilität beim Einsatz seiner Mitarbeiter genommen werde, verärgert ihn besonders.

DGB: Es wird betrogen bei der Dokumentationspflicht hinsichtlich der Arbeitszeiten

Das sieht Mathias Eckardt, Geschäftsführer des DGB in Oberfranken, anders. „Es wird betrogen, auch in der Gastronomiebranche“, sagt Eckardt. Nicht in großem Umfang, aber immerhin. Deshalb sei die Aufzeichnung der Arbeitszeit ein notwendiger Bestandteil des Mindestlohngesetzes. Als Beispiel nennt er einen Pizzaausfahrer, dem der Arbeitgeber das Trinkgeld auf seinen Stundenlohn anrechnet und ihm im Krankheitsfall keinen Lohn bezahlt. „Das ist fast schon kriminell“, sagt Eckardt, aber nur die Spitze des Eisbergs. Auf die Frage, warum gerade in der Gastronomie der Widerstand so groß ist, hat Eckardt eine einfache Antwort: Mit der Aufzeichnungspflicht könnten Arbeitgeber nicht länger gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen.

Noch mal andere Lage in der Taxibranche

Schlicht ums Geld und weniger um die Aufzeichnungspflicht geht es hingegen in der Taxibranche. „Hier wird versucht, den Mindestlohn zu umgehen“, ist Verdi-Sekretärin Tina Krause überzeugt. So würden beispielsweise Bereitschaftsdienste, also Stehzeiten, nicht bezahlt. „Ein eindeutiger Verstoß gegen das Mindestlohngesetz“, sagt Krause. Oder, zweite Möglichkeit: Man kündigt den Fahrern und gibt ihnen neue Arbeitsverträge mit deutlich geringerer Arbeitszeit und damit weniger Einkommen. Die Aufzeichnungspflicht sei doch nur ein  „Scheingefecht“, ist Krause überzeugt. „Wir versuchen alles, um die Kollegen zu halten“, sagt hingegen die Geschäftsführerin des Taxiunternehmens Worschech, Uschi Sieber. Und man würde den 35 Fahrern auch die Stehzeiten bezahlen. Doch sie wolle nicht verhehlen, dass der Mindestlohn die Erlöse schmälert. Deshalb probiere man im Moment rum und  schraube ein bisschen an den Arbeitszeiten. Den Dokumentationswahn bekomme man auch noch in den Griff, möglicherweise durch eine Stempeluhr. Eines sei jedoch klar: Entlassungen seien nicht geplant.

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