Kinopianistin: Im Rausch des Rhythmus

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Eunice Martins im Kino Arsenal in Berlin. Foto: Marian Stefanowski Foto: red

Wenn Sie Klavier spielt, sind ihre Augen auf der Leinwand. Am Freitag um 19.30 Uhr vertont die Kinopianistin Eunice Martins bei Steingraeber den Stummfilm „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“. Wie sie das macht, verrät die Musikerin im Interview.

 
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Frau Martins, Hauspianistin in einem Kino zu sein – das klingt nach einem Traumjob ...

Eunice Martins: Ja, ist es. Das Kino Arsenal – Institut für Film- und Videokunst in Berlin, wo ich als Hauspianistin arbeite, hat die ständig laufende Reihe „Imagical History Tour“, in der verschiedene Stummfilme der Filmgeschichte gezeigt werden. Das sind pro Monat zwischen zwei und sechs Vorstellungen. Ich bin diejenige, die sich zumeist damit befasst.

Wieviele Kinopianisten gibt es noch in Deutschland?

Martins: Es gibt jetzt wieder mehr, die das so wie ich regelmäßig machen – vielleicht ein halbes Dutzend. Darüber hinaus gibt es aber auch immer besondere Gelegenheiten, etwa auf diversen kleinen Festivals, wo Ensembles oder Orchester spielen. Das ist wieder etwas mehr geworden.

In Bayreuth spielen Sie am Klavier zu Walter Ruttmanns Stummfilm „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“ aus dem Jahr 1927. Wie haben Sie sich die Musik erarbeitet?

Martins: Mein Vorgehen ist so, dass ich mir erstmal den Film anschaue und die Bilder, den Schnittrhythmus und die Fotografie eines Films auf mich wirken lasse. Mir geht es beim ersten Sehen einfach darum, den Film aufmerksam anzuschauen. Im zweiten Schritt gucke ich, ob in einem Zitat auf ein damals aktuelles Stück Bezug genommen wird oder ein Schlager zitiert wird. Das muss ich dann herausfinden. Dann überlege ich mir: Was ist die Kernaussage des Films? Welche inneren Konflikte gibt es? Welche Absicht des Regisseurs steckt dahinter? Dann entwickle ich dazu Ideen.

Welche Rolle spielt dabei das Verdoppeln der Szene durch die Musik, also das Mickey-Mousing?

Martins: Mickey-Mousing mache ich manchmal, um dem Affen Zucker zu geben. Das sind ja auch Hörerwartungen beim Publikum. An manchen Stellen befriedige ich die durchaus. Gerade bei dem Film „Berlin. Sinfonie der Großstadt“ ist der Rausch des Rhythmus und der Geschwindigkeit von Ruttman beabsichtigt. Da arbeite ich nicht dagegen an. An bestimmten Stellen gehe ich aber auch ein bisschen raus. Ich arbeite nicht prinzipiell mit Mickey-Mousing. Die „Sinfonie der Großstadt“ ist kein narrativer Film. Man kann aber die Aufmerksamkeit auf bestimmte Charaktere oder Konflikte legen durch das, was man mit der Musik macht.

Orientieren Sie sich mit Ihrem Musikstil am Entstehungsjahr des Films 1927?

Martins: In „Sinfonie der Großstadt“ ist für mich total wichtig, damalige Berliner Schlager zu zitieren, auch diese Klangwelt. Aber ich gehe auch mit einer modernen, zeitgenössischen Tonalität heran. Ich versuche nicht, eine historisch korrekte Musik aufzuführen, weil das sowieso nicht geht. Bei einigen Filmen gibt es zwar Partituren, die man umsetzen kann, aber man weiß trotzdem nicht, wie sie damals geklungen haben, weil man nicht weiß, wie sie interpretiert wurden.

Inwiefern spielt denn bei Ihren Auftritten das Improvisieren noch eine Rolle?

Martins: Es gibt festgelegte Elemente und bestimmte Dinge, die immer wieder dabei sind. Aber ich reagiere auch auf das Publikum der Aufführung. Ich habe keine Noten dastehen. Die festgelegten Dinge sind im Kopf, denn ich schätze es sehr, mit den Augen auf der Leinwand zu sein. Ich sehe mich als Vermittlerin zwischen dem Film, der ja fast 100 Jahre alt ist, und dem Publikum.

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