Denn nach vier Tagen telefonieren am Stück lägen „die Nerven blank“, der Geräuschpegel, das „in den Bildschirm-Gegucke“. An Heiligabend ist die Bude im zweiten Stock bei der KVB voll. 80 Menschen reden gleichzeitig im Büro mit Kranken und Einsamen. Einfach auflegen? „Das darf ich auf keinen Fall!“ Sie stützt ihren Kopf auf und seufzt. „Auch nicht wenn der Name des Anrufers zum dritten Mal heute erscheint.“ Und eine Fehlentscheidung kann ein Leben kosten.
In kniffligen Fällen entscheidet immer der Arzt. Ihn rufen andere Gedikom-Mitarbeiter an, die einen Stock höher sitzen. Wie Vanessa Görlitz (29), gelernte Arzthelferin, aus Bayreuth. Seit 2008 sitzt sie am Telefon, jetzt in der "Disponie". Sie bearbeitet die Fälle, die von den Telefonistinnen wie Drechsel reinkommen. Vanessa Görlitz klärt Hausbesuch- und Praxisanfragen. Eine rote Liste zeigt ihr die dringenden Fälle. Sie liest sich den kleinen Text durch, den die Telefonistinnen geschrieben haben, damit sie nicht ins Stocken kommt, wenn der Arzt dran ist. Denn der hat auch wenig Zeit. "73-jährige klagt über hohe Temperatur, AZ zu schwach. Ja, gegenüber der Osteria." Arzt: "Da fahr ich hin." AZ steht für Allgemeinzustand.
Im Stockwerk unten läuten die Telefone ununterbrochen weiter. „Bereitschaftsdienst, mein Name ist Drechsel.“ Bei den Ruhigen wird sie hellhörig. Sie sind es, denen es meist am schlechtesten geht, die ihre eigene Situation falsch einschätzen. Ach nein, den Notarzt brauche ich nicht. Die meisten ließen sich aber überzeugen. Vor kurzem starb eine ältere Frau, während sie mit Drechsel telefonierte. Sie hat das Stöhnen gehört, den Sturz gehört, die Stille – und konnte nichts tun. „Solche Sachen gehen an die Nerven“, aber nicht die Leute, die schimpfen, und nicht solche wie der Mann mit der Oma, der noch schnell vor den Feiertagen einen Arzt will, weil er Durchfall hat.
Sie wiederholt langsam mit warmer Stimme die Adresse des Arztes, wo er am Feiertag hingehen kann. Um dann im nächsten Satz den Geschäftston anzuschlagen. Gespräch beendet. Der Computer hat die Bearbeitungszeit gestoppt: drei Minuten, 40 Sekunden. Ein rotes Feld zeigt, wie viele Anrufer in der Warteschleife hängen.
Noch ein paar Stunden, dann ist sie bei ihrem Mann und den zwei Kindern. „Mama, freust du dich auf Weihnachten?“, hat die kleine Tochter gefragt. Eigentlich ist sie nur froh, wenn es vorbei ist. „Bereitschaftsdienst, mein Name ist Drechsel.