Hochbetrieb bei der Firma Gedikom in Bayreuth über die Weihnachtsfesttage Wer den Ärzte-Bereitschaftsdienst braucht, landet bei Bayreuther Firma

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Wer an den Feiertagen einen Arzt braucht und beim Bereitschaftsdienst anruft, landet mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit bei der Firma Gedikom in Bayreuth. Bis zu 14.000 Anrufe kommen hier pro Tag rein, das sind 21 Gespräche pro Stunde je Mitarbeiter. Höchstleistung für die Telefonisten. Denn bei Gedikom rufen Menschen aus ganz Bayern und halb Deutschland an. Manche wollen jedoch auch einfach nur reden.

 
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Bereitschaftsdienst, mein Name ist Drechsel.“ Wie oft sie diesen Satz schon gesagt hat. Seit 16 Jahren sitzt Petra Drechsel (43) am Telefon. Am anderen Ende der Leitung sind Kranke, Verzweifelte, Ruhige und Laute. Oder Einsame, die reden möchten. „Bereitschaftsdienst, mein Name ist Drechsel.“ "Ja hallo, mir geht es heute nicht gut." Der Mann will noch schnell zum Arzt, weil er zu seiner Oma fährt. „Ich suche Ihnen gern den diensthabenden Arzt raus. Wie alt sind Sie?“ Das bringt die Anrufer runter, die Frage nach dem Normalen. Dem Alter, der Adresse und den Angaben zur Krankheit. „Und um was geht es bei Ihnen“? Bauchschmerzen, Durchfall, tut arg weh.

Der Mann am anderen Ende der Leitung ruft von irgendwo aus Bayern an. Gewählt hat er die 116117, die bundesweite Rufnummer für den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Verbunden wurde er mit Gedicom, einem Unternehmen aus Bayreuth, das rund um die Uhr den Telefondienst für die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) erledigt. Eine Art Call-Center, aber den Begriff hört Geschäftsführer Christian Hess (40) gar nicht gern. Er bevorzugt Service-Center. „Wir sind kein Klischee-Call-Center, die einem was aufschwatzen, bei uns rufen Leute an, die Hilfe brauchen.“ Es gibt keine verkaufsfördernden Gespräche, sondern Hilfe. Nach Bayreuth werden Gespräche aus ganz Bayern und halb Deutschland durchgestellt. Die andere Hälfte landet bei einem Unternehmen in Halle.

„Bereitschaftsdienst, mein Name ist Drechsel.“ Wenn sie spricht, wirkt sie wie in einem Tunnel. Die Fragen präzise, die Augen auf dem Bildschirm, ein warmer Unterton, die Antennen auf höfliche Distanz geschaltet. „Es sind viele Psycho-Sachen dabei“, sagt sie, gerade an Feiertagen. Dann rufen die einsamen Menschen an, „schwierige Anrufe“. Die Leute sind gereizt, es gibt Streit in der Familie. Und die Erwartungshaltung an den Feiertagen ist hoch. Wie bei jenem Mann, der schnell noch einen Arzt vor den Feiertagen braucht, weil er die Oma besuchen will.

Jeder der 214 Mitarbeiter, meist sind es Frauen, hat eine medizinische Ausbildung. „Ausbildung, keine Zusatzqualifikation“, sagt Geschäftsführer Hess. Die meisten sind Arzthelferinnen, ein paar Krankenschwestern, Leute aus dem Rettungsdienst. „Entscheidend ist, dass sie einen echten Notfall von einer medizinischen Hilfestellung unterscheiden können“, sagt Hess. Ein Anrufer kann seine Situation falsch einschätzen. Dann muss die Frau am Telefon entscheiden, ob das ein Fall für den Arzt oder für den Rettungsdienst ist. Und die gelernte Kinderkrankenschwester Drechsel weiß: Wer von Selbstmord spricht, ist ein Notfall. Der Mann, der zur Oma will, ist ein anderer Fall. „Manchmal ist es nötig, die Zeit auszublenden und zuzuhören“, sagt Drechsel. Dann wechselt die Stimmlage, wird etwas wärmer und tiefer. Der Mann will erzählen.

Jetzt geht es darum, „den Mittelweg zu finden“, trotzdem „verantwortungsvoll zu sein“. Und jetzt legt sie zum ersten Mal die Stirn in Falten. „Nach sechs Stunden ohne Punkt und Komma, lassen Konzentration und Geduld nach.“ Jetzt spricht einmal auch sie, von Freundlichkeit und Dankbarkeit. Ihre Kopfhörer hat sie abgenommen, sie hängen um den Hals. „Was mir guttut, wenn die Patienten mal was Nettes sagen.“ Das sei relativ selten – und jetzt leuchten ihre Augen: „Aber das tut gut.“

Denn nach vier Tagen telefonieren am Stück lägen „die Nerven blank“, der Geräuschpegel, das „in den Bildschirm-Gegucke“. An Heiligabend ist die Bude im zweiten Stock bei der KVB voll. 80 Menschen reden gleichzeitig im Büro mit Kranken und Einsamen. Einfach auflegen? „Das darf ich auf keinen Fall!“ Sie stützt ihren Kopf auf und seufzt. „Auch nicht wenn der Name des Anrufers zum dritten Mal heute erscheint.“ Und eine Fehlentscheidung kann ein Leben kosten.

In kniffligen Fällen entscheidet immer der Arzt. Ihn rufen andere Gedikom-Mitarbeiter an, die einen Stock höher sitzen. Wie Vanessa Görlitz (29), gelernte Arzthelferin, aus Bayreuth. Seit 2008 sitzt sie am Telefon, jetzt in der "Disponie". Sie bearbeitet die Fälle, die von den Telefonistinnen wie Drechsel reinkommen. Vanessa Görlitz klärt Hausbesuch- und Praxisanfragen. Eine rote Liste zeigt ihr die dringenden Fälle. Sie liest sich den kleinen Text durch, den die Telefonistinnen geschrieben haben, damit sie nicht ins Stocken kommt, wenn der Arzt dran ist. Denn der hat auch wenig Zeit. "73-jährige klagt über hohe Temperatur, AZ zu schwach. Ja, gegenüber der Osteria." Arzt:  "Da fahr ich hin." AZ steht für Allgemeinzustand.

Im Stockwerk unten läuten die Telefone ununterbrochen weiter. „Bereitschaftsdienst, mein Name ist Drechsel.“ Bei den Ruhigen wird sie hellhörig. Sie sind es, denen es meist am schlechtesten geht, die ihre eigene Situation falsch einschätzen. Ach nein, den Notarzt brauche ich nicht. Die meisten ließen sich aber überzeugen. Vor kurzem starb eine ältere Frau, während sie mit Drechsel telefonierte. Sie hat das Stöhnen gehört, den Sturz gehört, die Stille – und konnte nichts tun. „Solche Sachen gehen an die Nerven“, aber nicht die Leute, die schimpfen, und nicht solche wie der Mann mit der Oma, der noch schnell vor den Feiertagen einen Arzt will, weil er Durchfall hat.

Sie wiederholt langsam mit warmer Stimme die Adresse des Arztes, wo er am Feiertag hingehen kann. Um dann im nächsten Satz den Geschäftston anzuschlagen. Gespräch beendet. Der Computer hat die Bearbeitungszeit gestoppt: drei Minuten, 40 Sekunden. Ein rotes Feld zeigt, wie viele Anrufer in der Warteschleife hängen.

Noch ein paar Stunden, dann ist sie bei ihrem Mann und den zwei Kindern. „Mama, freust du dich auf Weihnachten?“, hat die kleine Tochter gefragt. Eigentlich ist sie nur froh, wenn es vorbei ist. „Bereitschaftsdienst, mein Name ist Drechsel.

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