Hintergrund: Flüchtlinge aus dem Kosovo

Flüchtlinge aus dem Kosovo in dieserm Woche auf ihrem Weg in ihre Notunterkunft in der Turnhalle des Gymnasiums in Raubling im Landkreis Rosenheim. Foto: dpa Foto: red
 
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Unter den Jugendlichen sind 60 Prozent ohne Job - eine Zeitbombe. Dabei sind zwei Drittel der knapp zwei Millionen Einwohner des Kosovos jünger als 35 Jahre. Ihnen bleibt oft nichts anderes übrig als eine kriminelle Karriere. Das Kosovo, am 17. Februar vor sieben Jahren von Serbien abgefallen und seitdem selbstständig, gilt als Europas Drehscheibe für Drogen- und Waffenhandel, für Schmuggel aller Art, für Menschenschleuser und Prostituiertenschinder.

Viele Kosovo-Albaner haben bisher ihr Heil in der Auswanderung gesucht. Die meisten leben legal in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Skandinavien. Ihre Überweisungen lindern die allergrößte Not ihrer zurückgebliebenen Großfamilien. Nach Schätzungen kommt bis zu ein Viertel aller Haushalte im Kosovo in den Genuss solcher Zuwendungen.

Die Industrie liegt am Boden. Teils sind dafür ungeklärte Eigentumsfragen nach dem Ende des Kommunismus verantwortlich. Teils wird mit Serbien gestritten, wem die früheren Staatsbetriebe heute gehören. Kriminelle Privatisierungen haben der ohnehin labilen Wirtschaft den Rest gegeben. Heute gibt es keinerlei Programm, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Stattdessen werden Autobahnen als nationale Prestigeobjekt gebaut - zum Beispiel ins benachbarte Albanien oder jetzt nach Mazedonien. Der wirtschaftliche Nutzen ist umstritten.

Auf der anderen Seite steht das Heizkraftwerk Obilic, das auch international als Dreckschleuder erster Güte verpönt ist. Obwohl die EU und die USA in der gemeinsamen Rechtsstaatsmission Eulex in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten im Kosovo das Sagen hatten, waren sie nicht in der Lage, die maroden Blöcke durch ein modernes Kraftwerk zu ersetzen.

Verschiedene Anläufe waren - wie auch die Privatisierungen anderer Großbetriebe - in einem Dickicht von Korruption und Nepotismus auf der Strecke geblieben. Denn die Korruption im Armenhaus Europas übertrifft selbst die schlimmsten Balkanstandards. «Wir gehen, weil wir nicht zuschauen wollen, wie sich die Politiker alles unter den Nagel reißen, sich bereichern und uns mit absolut Nichts zurücklassen», schimpft der Friseur Gazmend in Pristina.

Autobahnfahnder können kaum auf die Flüchtlingswelle reagieren. Im Februar 2014 wurden 10 bis 15 Flüchtlinge aus dem Kosovo aufgegriffen - für Februar 2015 liegt die Prognose bei mehr als 440 Flüchtlingen.

Erschreckend ist vor allem die kriminelle Energie und der Einfallsreichtum der Schleuser. Oftmals müssen die Flüchtlinge ihr gesamtes Hab und Gut verkaufen, um einen Transit nach Deutschland zu bezahlen. Die Schleuser schicken häufig Köderfahrzeuge vorweg, in der Hoffnung, dass die Polizei diese kontrolliert. Dann ist der Weg frei für die eigentliche «Fuhre». Die Kontrollpunkte der Polizei sind den Kriminellen wohlbekannt, wissen die Fahnder. Das Schleusergeschäft ist lukrativer als der Drogenhandel.

Situation in Bayern

Das bayerische Sozialministerium verzeichnet einen leichten Rückgang bei den Flüchtlingszahlen aus dem Kosovo. «Es ist aber noch zu früh, dies zu bewerten», sagte Ministeriumssprecher Philipp Späth in München. Wegen drastisch steigender Asylbewerberzahlen aus dem Kosovo hatte Sozialministerin Emilia Müller (CSU) vor einer Woche den Winter-Notfallplan des Freistaats zur Unterbringung von Flüchtlingen in Kraft gesetzt.

Die sieben Bezirksregierungen können seitdem auf Notquartiere in allen 71 Landkreisen und 25 kreisfreien Städte zurückgreifen. Wie viele der 20 000 dafür geschaffenen Plätze inzwischen tatsächlich belegt sind, wird aber nicht zentral erfasst. Allerdings scheinen durch den leicht rückläufigen Trend bei den Flüchtlingszahlen aus dem Kosovo längst nicht alle Quartiere benötigt zu werden, die zur Verfügung stehen. «Die Situation ändert sich beinahe stündlich», sagte Späth.

Die Zahl der Asylbewerber aus dem Kosovo hatte bereits in den ersten fünf Wochen dieses Jahres die Gesamtzahl von 2014 übertroffen. Bayern will erreichen, dass die Menschen aus dem seit sieben Jahren von Serbien unabhängigen Land durch verstärkte Kontrollen an der ungarischen Grenze schon an der Einreise gehindert werden. Zudem sollen abgelehnte Asylbewerber vor allem aus dem Kosovo schneller abgeschoben werden können. Dazu will der Freistaat über den Bundesrat durchsetzen, dass der Kosovo und Albanien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden.

Bayern drängt auf schnellere Abschiebung

Nur wenige Tage nach der Ankündigung hat Bayern die ersten abgelehnten Asylbewerber aus dem Kosovo in ihr Heimatland abgeschoben. Am Flughafen München startete am Dienstag eine Maschine mit 30 Kosovaren nach Pristina. Der Exodus aus dem Kosovo und der Missbrauch des deutschen Asylrechts müsse umgehend und wirksam gestoppt werden, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU). «Die Menschen im Kosovo müssen erkennen, dass sie in Deutschland kein Asylrecht erhalten.» Er forderte, dass Deutschland und die EU die Menschen im Kosovo wirtschaftlich unterstützen.

Die abgelehnten Asylbewerber aus dem seit sieben Jahren von Serbien unabhängigen, wirtschaftlich darniederliegenden Balkanstaat waren am Morgen bayernweit aus ihren Unterkünften zum Flughafen gebracht und dort in ein Charterflugzeug gesetzt worden. Herrmann ließ keinen Zweifel daran, dass weitere Abschiebungen folgten.

Die vier Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen hatten vergangenen Freitag beschlossen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei ihnen die Asylverfahren für Kosovaren vorrangig und innerhalb von zwei Wochen abarbeitet. Abgelehnte Asylbewerber haben danach eine Woche Gelegenheit, einstweiligen Rechtsschutz gegen die sofort vollziehbaren Ablehnungsbescheide einzulegen. Darüber entscheiden die Gerichte in der Regel binnen einer weiteren Woche. Asylanträge aus dem Kosovo haben eine Anerkennungsquote von unter einem Prozent.

Zahl der Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo ist seit vergangenem Herbst stark gestiegen

Die Zahl der Asylanträge von Menschen aus dem Kosovo ist seit vergangenem Herbst stark gestiegen. Im Dezember 2014 stand der Kosovo bereits an dritter Stelle der Hauptherkunftsländer. Allein im Januar 2015 reisten mehr als 10.200 Kosovaren nach Deutschland, davon etwas mehr als 2000 nach Bayern. In den ersten Februartagen 2015 kamen sogar mehr als 3400 Kosovaren nach Deutschland, knapp 800 nach Bayern.

Bayerns Landkreise sind indessen über die stark gestiegene Zahl von Flüchtlingen im Kinder- und Jugendalter alarmiert. Die Betreuung der inzwischen mehr als 4000 unbegleiteten Flüchtlingskinder im Freistaat sei zu einer enormen Belastung für die Kreisverwaltungen geworden, sagte der Sozialreferent beim Bayerischen Landkreistag, Klaus Schulenburg, der Deutschen Presse-Agentur.

dpa/red

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