Hart und kalt wie ein Diamant

Von Frank Piontek
Catherine Gordeladze. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Makellose Brillanz im Klavierspiel - gibt es das überhaupt? Und was ist die Folge, wenn man ihr sehr nahe kommt? Unser Rezensent war nicht unbedingt sehr begeistert von einem sehr brillanten Abend mit Catherine Gordeladze.

 
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Ursprünglich stammt das Wort aus dem Altindischen, wo es die Farbe Tiefblau bezeichnet. Über griechische und lateinische Zwischenformen wie „beryllus“ (mit dem ein meergrüner Edelstein, später unsere „Brille“ bezeichnet wurde), kam es in das Mittelalter, in dem es als Oberbegriff für alle klaren Kristalle gebraucht wurde. „Brillanz“ ist also etwas Klares, Strahlendes – und Hartes wie Kaltes. Wenn Catherine Gordeladze in Steingraebers Kammermusiksaal am extrem hart eingestellten Flügel sitzt, erfahren wir, was das Wort im Extremfall meint.

Die Georgierin, die heute an der Musikhochschule Frankfurt lehrt, hat Stil: einen einfachen. Brillant spielen kann sie, zweifellos; ihr Spiel ist, rein technisch betrachtet, fast makellos wie ein kalter Diamant. Wo andere Klavierspieler Notentexte ernstnehmen, ignoriert sie erstaunlich systematisch die Vortragsbezeichungen: im Dienste einer Brillanz, die das Publikum zu Begeisterungsstürmen animiert. An diesem Abend kann sie nur Eines: sehr laut, sehr staccato. Sie setzt Chopin einem kristallinen Härtetest aus, den er nicht überlebt. Die Berceuse, also das Wiegenlied Des-Dur op. 57 ist knochentrocken (man sieht das arme Kind in der Wiege ruckeln), der e-Moll-Walzer op. posth. rasend wie eine Etüde, beim Grande Valse Brillante es-Dur op. 18 sieht man kein „Grazioso“, sondern die blutigen Hacken der beiseite getretenen Tänzer – und man hört technokratische Reihen von Hammerschlägen, als habe Chopin auch dieses Werk aus dem Geist der kühlen, entromantisierten Gegenwart für Disneys „Skeleton Dance“ komponiert: ohne Charme, ohne Geheimnis, ohne Erotik. Catherine Gordeladze spielt die Walzer, als habe Schostakowitsch (nichts gegen Schostakowitsch!) die Stücke überarbeitet. Sie bringt die „Valses brutal“ wie seinerzeit Igor Kalaschnikow im berühmten Geburtstagskonzert für Josef Stalin.

Kam Stalin nicht aus Georgien? Leitete er etwa auch eine Klavierschule?

Natürlich ist auch Carl Czernys Schubert-Walzer-Variation unter den Händen der Percussionistin eine Toccata, exekutiert für taube Zuhörer, dynamisch brutal, artikulatorisch meist einschichtig. Dass Louis Moreau Gottschalks „Traum einer Sommernacht“ fast annähernd okay ist, markiert eine Ausnahme von der Regel des Staccato-Mechanismus, der die Anweisung „singend“ souverän überblättert. Catherine Gordeladze ist eine Meisterin: eine Meisterin des Manierismus. Gershwins „Rhapsody in blue“ ist schließlich nur noch „cool“ wie ein Edelstein, dessen blendendes Licht aus den Tasten herausgemeißelt wird. Nur beim Schlusspresto von Muzio Clementis klingklangelnder fis-Moll-Sonate op. 25/5 kommt die Härte zu ihrem Recht; der Satz ist pures vorbeethovensches Drama – aber vermutlich war zu Beginn der Attacken der Hörer noch nicht abgestumpft genug.

Ein „brillantes“ Konzert – sehr „perfekt“, sehr kalt, sehr hart, letzten Endes ermüdend.