Gutachter korrigiert sich überraschend: Ulvi Kulac kann Tat in der Fantasie „entworfen“ haben Falsches Geständnis möglich

Von Manfred Scherer
Gutachter Hans Ludwig Kröber am 6. Mai 2014 auf dem Weg ins Gericht. Foto: Wittek Foto: red

Im Wiederaufnahmeverfahren im Fall Peggy ist die Tür zu einem möglichen Freispruch für Ulvi Kulac offen: In seinem Gutachten zur Glaubwürdigkeit von Kulacs umstrittenen Geständnis, die seit genau 13 Jahren verschwundene Peggy Knobloch getötet zu haben, erklärte der Berliner Gerichtspsychiater Hans-Ludwig Kröber überraschend: Er könne nicht mehr ausschließen, dass dieses Geständnis falsch war.

 
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Es war Punkt 16.11 Uhr, als Kröber den vielleicht entscheidenden Satz des spektakulären Wiederaufnahmeverfahrens sagte: „Diese Denkmöglichkeit ist nicht mehr ausschließbar.“ Kröber erklärte, es sei eine, wenn auch geringe Möglichkeit, dass der Angeklagte die entscheidende Passage seines Geständnisses über die Tötung von Peggy durch ständiges Nachfragen bei den Vernehmungen „In seiner regen Fantasie entworfen“ haben kann. Kröber bezeichnete diese Korrektur seines Gutachtens als „Ergänzung“. Er betonte, dass es vor allem Vorhalte des Gerichts gewesen seien, die ihn dazu gebracht hätten, seine ursprüngliche Haltung – Kröber hatte das Kulac-Geständnis bislang stets als glaubwürdig bezeichnet – zu überdenken. Kröber sagte wörtlich: „Dass das Geständnis glaubhaft ist, ist für mich nach wie vor die schlüssigste Erklärung für seine Schilderungen. Meine Botschaft heute ist: Es gibt auch eine andere Erklärungsmöglichkeit.“

Kröbers ursprüngliche Einschätzung, Ulvi Kulacs Geständnis sei ohne Zweifel glaubhaft und auf eigenem Erleben des Angeklagten begründet, war am 30. April 2004 für das Landgericht in Hof die Basis für den Schuldspruch gegen den heute 36-jährigen Gastwirtssohn aus Lichtenberg. Kulac wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Davon saß er keinen Tag ab. Zurzeit ist er im Bezirkskrankenhaus untergebracht. Kulac hatte im Prozess in Hof eine ganze Reihe von schweren Sexualstraftaten an Kindern in Lichtenberg gestanden. Bei diesen Taten war er aber nicht schuldfähig und konnte dafür nicht verurteilt werden. Als gemeingefährlich wurde er in der Bezirksklinik in Bayreuth untergebracht, wo er sich heute noch befindet.

Der Hofer Schuldspruch stand seither in der Kritik. Einer der Gründe: Das zumindest bemerkenswerte Zustandekommen von Kulacs Geständnis am 2. Juli 2002: Nach einer langen Vernehmung in Anwesenheit des damaligen Verteidigers Wolfgang Schwemmer wurde die Befragung offiziell abgebrochen. Kaum war Schwemmer zehn Minuten außer Haus, bekam er einen Anruf, dass Kulac nun gestehe – ohne Tonband und nur im vertraulichen Zweiergespräch mit einem ihm bekannten Polizisten aus Lichtenberg.

Schwemmer trat am Dienstag in den Zeugenstand und warf den Ermittlern vor: „Man hat gewartet, bis ich weg bin.“ Schwemmer betonte, er sei nie überzeugt gewesen, dass sein Mandant der Mörder von Peggy Knobloch sei: „Für mich ist Ulvi Kulac ein Märchenerzähler. Ich wusste, er erzählt so viele Varianten, dass am Schluss jeder merken musste, dass er Märchen erzählt.“ Schwemmer bezeichnete den Schuldspruch in Hof als „falsch“: „Für mich ist dieser Fall eine Katastrophe, ein Drama. Für mich ist dieser Fall nicht geklärt.“

Wie mehrfach berichtet, hatte das Bayreuther Landgericht seinen Beschluss zur Wiederaufnahme im Wesentlichen mit einer Tathergangshypothese begründet, die Experten der Operativen Fallanlyse erstellt hatten und die dem Gutachter im ersten Prozess nicht vorgelegen habe. Gutachter Kröber bestätigte dies. Er habe den „Dreizeiler“ der Profiler nicht in den Akten gesehen. Er sagte aber auch, dass der Inhalt der Tathergangshypothese für ihn nicht wichtig sei: „Solche Annahmen traue ich auch ohne Operative Fallanalyse jedem bayerischen Kriminalbeamten zu.“

Die Profiler der Operativen Fallananalyse hatten angenommen ein möglicher Mörder von Peggy Knobloch habe als Motiv die Verdeckung einer Sexualstraftat an dem Kind. Tatsächlich stellte sich heraus, dass Ulvi Kulac die neunjährige Peggy wenige Tage vor ihrem Verschwinden sexuell schwer missbraucht hatte.

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