Grafing: Täter ist psychisch krank

Foto: dpa Foto: red

Eine große Blutlache ist in der geöffneten S-Bahn zu sehen, viele mit Blut gezeichnete Fußabdrücke führen von dort über den Bahnsteig des Grafinger Bahnhofs weg. Wenige Meter vom Bahnhofsgebäude entfernt liegt ein Fahrrad mitten auf der Straße. Spuren einer Tat, die die kleine oberbayerische Gemeinde am Dienstag in einen Schockzustand versetzt - die aber entgegen erster Vermutungen keinen islamistischen Hintergrund hat.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der Ausruf "Allahu akbar" (Allah ist groß), und weitere Ausrufe des mutmaßlichen Täters brachten die Ermittler zunächst auf die Islamismusspur. Unter anderem soll der 27-jährige aus dem Raum Gießen auch gebrüllt haben, Ungläubige sollten sterben.

"Der Täter hat Äußerungen am Tatort getätigt, die auf eine politische Motivation schließen lassen", sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft München II, Ken Heidenreich, kurz nach dem Angriff. Diese Äußerungen seien "wohl mit islamistischem Hintergrund", weshalb auch das für Terrorismusbekämpfung zuständige Landeskriminalamt die Ermittlungen übernahm.

Doch nach wenigen Stunden drehte sich dieses Bild. "Das ist ein durchgeknallter Psychopath", sagte ein Ermittler hinter vorgehaltener Hand nach den ersten Vernehmungen. Den Islamismus habe er als Deckmantel seiner Tat benutzt.

Für die am frühen Morgen von der im Osten Münchens gelegenen Kleinstadt in Richtung München aufbrechenden Pendler bedeutete diese Tat den puren Horror. In der abfahrtsbereit wartenden S-Bahn soll der wegen Blasen an den Füßen barfuß laufende Mann aus dem hessischen Gießen sein Messer gezückt haben. Einen 56 Jahre alten Mann aus Wasserburg soll er niedergestochen habe. Er starb wenig später im Krankenhaus.

Vor der S-Bahn soll er dann einen weiteren Mann niedergestochen haben, der ebenfalls schwerste Verletzungen erlitt. Schließlich soll er noch zwei Fahrradfahrer am Bahnhof attackiert haben, bevor er schließlich auch durch den Einsatz von Bahnmitarbeitern überwältigt werden konnte.

Dass dieser Angriff nun wohl als der Amoklauf eines psychisch kranken Mannes und nicht als ein islamistisches Attentat eingeordnet werden kann, ändert nichts am Entsetzen in Grafing. Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) zeigte sich "schockiert, weil wir uns immer so in Sicherheit wähnen hier in Grafing". "Wir sind ein idyllischer Ort, es funktioniert das Sozialleben, man kennt sich", ergänzte sie.

Warum es ausgerechnet das unscheinbare Grafing traf, konnten die Ermittler bislang nicht aufklären. Es sei weder eine Beziehung des aus dem Gießener Raum stammenden Manns zu Bayern noch zu München oder zu Grafing feststellbar gewesen. Auch aus der Vernehmung des Manns habe sich dazu nichts ergeben.

Die Gespräche mit dem Mann waren für die Polizisten wohl schwierig. Der Festgenommene sei "wirr" gewesen. Die Polizei weiß nur, dass der Mann zwei Tage vor der Tat bereits in Gießen auffiel. Strafrechtlich sei er nicht zu belangen gewesen. Die Polizei dort habe ihm zu einem Arztbesuch geraten, den er auch wahrgenommen habe.

Warum er sich dann am Montag in den Zug nach München setzte und warum er bei seiner Tat die islamistisch klingenden Rufe wählte, ist unklar. Den Ermittlern ist jedenfalls die Feststellung wichtig, dass der womöglich auch drogenkranke Mann keinen Kontakt zu islamistischen Netzwerken pflegte.

Ob die Tat des seit zwei Jahren von Sozialhilfe lebenden, arbeitslosen Schreiners überhaupt strafrechtlich geahndet werden kann, erscheint äußerst fraglich. Oberstaatsanwalt Heidenreich sagte bereits, die Ermittlungen lauteten zwar auf den Vorwurf des Mords und des dreifachen versuchten Mords. Doch es gebe wegen der wirren Aussagen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Manns - womöglich werde statt eines Haftbefehls die Unterbringung in der Psychiatrie beantragt.

afp

Autor

Bilder