Zu viele bürokratische Auflagen und umfangreiche Berichtspflichten waren neben hohen Energiepreisen von Wirtschaftsverbänden zuletzt besonders häufig als Belastung genannt worden. Die von der Bundesregierung 2023 vorgeschlagenen Entlastungen, zu denen etwa kürzere Aufbewahrungspflichten für steuerlich relevante Belege zählen sowie die Möglichkeit, manches per E-Mail anstatt per Brief mit Unterschrift zu regeln, wurden zwar von ihnen begrüßt, insgesamt jedoch als nicht ausreichend kritisiert. Das von Justizminister Marco Buschmann kürzlich vorgelegte Bürokratie-Entlastungsgesetz dürfte im März vom Kabinett beschlossen werden.
Grünen wird Hang zu überkomplexen Regelungen nachgesagt
Nach der seit 2015 geltenden One-in-One-Out-Regel muss zwar für jede gesetzlich eingeführte Belastung der Wirtschaft spätestens bis zum Ende der Legislaturperiode eine mindestens gleich hohe Entlastung herbeigeführt werden. Da es hier aber Ausnahmen gibt - etwa für Auswirkungen aufgrund von EU-Recht und bei einem zeitlich begrenzten Erfüllungsaufwand - wächst der Aufwand dennoch.
Die Umstellung vom Schriftform-Erfordernis auf die Textform sei beispielsweise nicht in jedem Fall wünschenswert, sagt SPD-Rechtspolitikerin Eichwede. Bei der Kündigung eines Wohnungsmietvertrags sei eine E-Mail beispielsweise nicht ausreichend. Sie meint: "Bei einem Gewerbemietvertrag beispielsweise mag das anders sein, denn da könnte man davon ausgehen, dass kontinuierlich jemanden in die Mailbox schaut."
Vor allem den Grünen wird oft ein Hang zu überkomplexen Regelungen im Dienste der Einzelfallgerechtigkeit nachgesagt. Getrieben von dem Wunsch, möglichst keine Fallkonstellation außer Acht zu lassen, entstehen so manchmal Regelwerke, die für juristische Laien kaum noch zu durchdringen sind.
Der Wunsch nach möglichst leicht verständlichen Gesetzen, die einen gewissen Spielraum lassen, sei nachvollziehbar, sagt Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU). Dem stünden leider zwei "wahrscheinlich urdeutsche Anliegen entgegen": Der große Wunsch danach, jeden Einzelfall möglichst exakt im Gesetz geregelt zu wissen - wobei "die Frage ist, ob das wirklich Gerechtigkeit darstellt". Außerdem das Streben nach möglichst großer Sicherheit. "Und wenn ich schon die Sicherheit nicht gewährleisten kann, dann aber zumindest die Haftung von jemandem, der dafür verantwortlich sein muss, dass am hinteren Ende etwas nicht sicher ist."
Sich von dieser Vollkasko-Mentalität zu lösen, fiele womöglich nicht nur manchen Bürgerinnen und Bürgern schwer, sondern auch den Menschen, die in der öffentlichen Verwaltung arbeiten. Gentges würde sich jedenfalls über einen Kulturwandel und eine neue Führungskultur in der Verwaltung freuen. Die CDU-Politikerin sagt: "Über die Jahrzehnte haben wir Verwaltungen doch eher dahin erzogen, von Ermessen nicht möglichst breit Gebrauch zu machen, sondern den Weg zu beschreiten, der am wenigsten Risiko birgt."
Buschmann will "bei Kleinigkeiten mal fünfe gerade sein lassen"
Justizminister Buschmann sieht das ähnlich. Im vergangenen Dezember hat er in einem Interview gesagt: "Viele Bürger und Betriebe nervt ja nicht nur, was im Gesetz steht, sondern auch die Art und Weise, wie die Gesetze von den Behörden vollzogen werden." Dort müsse mehr Tempo aufgenommen werden, und "dass wir vielleicht auch bei Kleinigkeiten mal fünfe gerade sein lassen".
Wenn die Anweisung von ganz oben komme, so wie etwa bei den auf Drängen der Bundesregierung beschleunigten Genehmigungsverfahren für den Bau von Flüssiggas-Terminals, sei Tempo ausnahmsweise auch in Deutschland möglich, sagt Rechtsanwalt Jan Thiele, der sich in einer Kanzlei in Potsdam unter anderem mit der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen beschäftigt. Im Alltag wehe in den Behörden jedoch ein ganz anderer Geist. "Der Mut zur Entscheidung fehlt." Dabei ist der Anwalt überzeugt, dass der öffentlichen Verwaltung aufgrund des Personalmangels ohne eine Reduzierung der Genehmigungspflichten und ohne einfachere, digitalere Verfahren ohnehin langfristig der Kollaps droht.