Gerd Schönfelder spart nicht mit Kritik am Gastgeberland Russland „Putin fehlt der Respekt vor den Paralympics"

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Gerd Schönfelder (rechts) ist erstmals seit 1992 nicht als Aktiver bei Winter-Paralympics dabei. Der 16-fache Goldmedaillengewinner hat seine Karriere beendet und berichtet nun an der Seite von ARD-Moderator Markus Othmer (links) als TV-Experte über die Spiele. Zum Experten-Team gehört auch die frühere Biathletin und jetzige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Verena Bentele (Mitte). Foto:dpa Foto: red

Der Machtkampf auf der Krim stürzt Europa in eine seiner größten Krisen seit dem Mauerfall. Russland vertritt mit gesteigerter Militärpräsenz sein Interesse in der Ukraine. Doch gleichzeitig ist Russland ab Freitag auch Gastgeber der Paralympics. Eine Situation, die auch der Skirennfahrer Gerd Schönfelder (43) aus Kulmain stark kritisiert. Der erfolgreichste Sportler in der Geschichte der Paralympics wird als TV-Experte der ARD in Sotschi sein – und er reist mit einem mulmigen Gefühl nach Russland.

 
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Kann Russland unter den aktuellen Umständen ein würdiger Gastgeber der Paralympics sein?

Gerd Schönfelder: Schwierige Frage. Grundsätzlich passt es nicht, dass ein internationales sportliches Großereignis in einem Land stattfindet, das sich in einem kriegsähnlichen Zustand befindet. Mich würde interessieren, wie sich Putin im Krim-Konflikt verhalten hätte, wenn jetzt die Olympischen Spiele stattfinden würden. Er hätte sich wohl zurückgehalten. Putin gibt sich immer als Sportfan, aber an der aktuellen Situation sieht man, welchen Stellenwert die Paralympics bei ihm haben. Da fehlt der Respekt. Aber das ist nicht der einzige Kritikpunkt, den ich am Austragungsort Sotschi habe.

Was sind die anderen?

Schönfelder: Es wurden Olympische Spiele ohne große Rücksicht in eine Region gepflanzt und riesige Sportstätten aus dem Boden gestampft. Teilweise ohne die Bevölkerung einzubeziehen, das hat für mich Züge einer Diktatur. Und bei allem fehlt auch die Nachhaltigkeit. Da ist in Zukunft das Internationale Olympische Komitee gefragt. Es darf nicht versucht werden, immer noch eins drauf zu setzen. Nicht immer ist noch größer auch noch besser. Warum nicht ein wenig kleiner planen? Die Olympischen Spiele müssen sich dem Austragungsland anpassen und nicht umgekehrt. Was nützen die tollsten Sportanlagen, wenn sie später nicht mehr genutzt werden und verrotten?

Erwarten Sie in Bezug auf die Paralympics eine Nachhaltigkeit in Russland?

Schönfelder: Das wird man erst im Nachhinein beurteilen können. Es wäre wünschenswert, wenn die Paralympics dazu beitragen, dass behinderte Menschen die nötige Förderung und Anerkennung bekommen. Aber ich erwarte mir nicht viel – diese Spiele werden wohl hauptsächlich den Show-Zweck erfüllen.

Wie geht Russland überhaupt mit Behinderten um? Wie das Beispiel Homosexualität zeigt, hat die russische Regierung mit Randgruppen ja ein Problem.

Schönfelder: Seit der Vergabe der Olympischen Spiele nach Sotschi wurden auch russische Behindertensportler mit viel Geld unterstützt. Die bekommen alles, was sie brauchen. Das Gastgeberland will sich ja sportlich gut präsentieren. So trainierten die Alpin-Sportler in St. Moritz, das ja nicht gerade den Ruf eines billigen Skigebiets hat. Aber das sind Elitesportler, wie die russische Regierung dagegen allgemein mit behinderten Menschen umgeht, steht auf einem anderen Blatt. So wie andere Randgruppen behandelt werden, lässt sich da nicht das Beste vermuten. Aber ich will meine Zeit in Sotschi dazu nutzen, um mir davon persönlich ein Bild zu machen. Im Gespräch mit russischen Behindertensportlern – die ich als sehr angenehme Menschen kennengelernt habe – , ist da nie etwas durchgeklungen.

Mit welchen Gefühlen fahren Sie nach Russland? Schwingt da angesichts der Krim-Krise nicht auch Angst mit?

Schönfelder: Angst habe ich nicht, wohl aber Respekt vor der aktuellen Situation. Ich habe schon ein mulmiges Gefühl. Mir ist auch schon die Frage durch den Kopf gegangen, wie komme ich wieder nach Hause, wenn die Lage auf der Krim eskaliert. Das Schlimmste wäre, wenn die Sicherheit nicht mehr gewährleistet wäre. Sollte wirklich ein Krieg ausbrechen, wird das Internationale Paralympische Komitee sicherlich nicht sagen, dass die Spiele völlig normal weitergehen. Ich hoffe aber, dass die Politik einlenkt und bei den Paralympics der Sport im Vordergrund stehen kann. Solche Ereignisse im Vorfeld von Paralympics habe ich auch noch nie erlebt.

Und es sind die ersten Winter-Paralympics seit 1992, an denen Sie nicht als Aktiver teilnehmen. Schwingt etwas Wehmut mit?

Schönfelder: Nein, überhaupt nicht. Ich habe meine Karriere lange genug ausgereizt. Und wenn beim Alter mal die Vier vorne steht, ist es an der Zeit aufzuhören. Das Einzige, was ich als Sportler noch gerne miterlebt hätte, ist das aktuelle Medieninteresse. In Sotschi stehen etwa 600 Sportlern um die 2200 Medienschaffende gegenüber. Zu meiner Anfangsphase waren es 800 Sportler und 80 Journalisten. Aber ich habe lange dafür gekämpft, dass der Behindertensport diese Aufmerksamkeit bekommt und genauso wie Martin Braxenthaler und Verena Bentele mit meinen Erfolgen dazu beigetragen. Hoffentlich entwickelt es sich alles so weiter.

Das öffentliche Interesse ist immer stark von Erfolgen abhängig. Wer sind Ihre potenziellen Nachfolger als Medaillensammler im deutschen Alpin-Team?

Schönfelder: Definitiv Anna Schaffelhuber. Sie hat sehr gute Voraussetzungen, hat sich im vergangenen Jahr enorm entwickelt und kann sich zudem in der Öffentlichkeit super verkaufen. Bei den Rollstuhlfahrern haben auch Georg Kreiter im Riesenslalom, Thomas Nolte im Slalom und Franz Hanfstingl in den Speed-Disziplinen gute Medaillenchancen. Auch Andrea Rothfuß hat das Zeug fürs Podium. Etwas schade ist, dass in der stehenden Klasse, in der ich aktiv war, kein Deutscher am Start ist. Hier bin ich gespannt auf das Paralympics-Debüt von Matthias Lanzinger. Der Österreicher war ja bis zu seinem schweren Sturz 2008 und seiner folgenden Unterschenkelamputation bei den Nicht-Behinderten vorn dabei und ist jetzt reif für seine erste Medaille bei Paralympics.

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