Fotos von vor 25 Jahren Bilder einer Idylle dem Vergessen entrissen

In der Ausstellung (von links): Stefan Gomringer, Kerstin Olga Hirschmann mit Papagei Vigolina, Hannes Bessermann und Philipp Charaoui vor Fotografien eier jungen Musikerin in Lichtenberg, des Firmenchefs Chef vor der Alukon Konradsreuth und einer Dame vor einer geschmückten Wirtschaft, wo ist unbekannt. Foto: pr.

Das Antiquariat Wilsbergensis zeigt in Weißenstadt die Neuauflage einer Fotoausstellung von 1998. Fotograf Hannes Bessermann dokumentierte die Region mit Ecken und Kanten.

 
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Ein Mädchen zwischen 17 und 19 Jahren steht mit ihrem Fahrrad auf der Straße und blickt direkt in die Kamera. Es ist vermutlich Nachmittag, denn die Sonne wirft lange Schatten. Hinter dem Mädchen wartet eine S-Klasse an der Tankstelle, die durch ihren 70er-Jahre-Charakter auffällt. Zwei Osterhasen blicken aus dem Schaufenster, ebenfalls in die Kamera. Das Schaufenster spiegelt ein wenig. An der Straße hinter der Tankstelle, schiebt ein Pärchen einen Kinderwagen an einer erhellten Industriefassade mit sägezahnigem Sheddach entlang. Der Fotograf Hannes Bessermann ist lediglich durch seinen Schatten in der linken, unteren Bildhälfte zu erahnen.

Aufnahmen aus Hochfranken

Die Szene wirkt realistisch, wenn auch aus einer vergangenen Zeit. 1997 entstanden die 20 Aufnahmen unter anderem in Selb, Marktredwitz, Rehau, Lichtenberg, Helmbrechts, Bad Steben, in der sogenannten Region Hochfranken also. Diese Fotografien, die nun nach über 20 Jahren wieder gezeigt werden, hängen in der Galerie des Weißenstädter Antiquariats Wilsbergensis am Marktplatz 5.

Sie sind jeweils 76 Zentimeter breit und 32 Zentimeter hoch; ungewöhnlich groß, sind sie auf Alu-Dipond-Platten aufgebrach. Die Initiative Hochfranken hatte sie 1998 in Auftrag gegeben, auf Anregung von Stefan Gomringer.

Ganz neues Format

Man kaufte damals eine besondere Noblex Panoramakamera die im Format 6:12 eine Szene „abfuhr“ und einen maximal-weitwinkligen Eindruck erzeugte. Die Aufnahmen wurden im bayrischen Wirtschaftsministerium ausgestellt, um auf die Region aufmerksam zu machen. „Man muss sich vorstellen, dieses Format, das heute jeder mit dem Smartphone fotografieren kann, gab es damals einfach nicht, es war etwas ganz Neues“, erklärte Gomringer bei der Ausstellungseröffnung.

„Die Art und Weise, wie die Kamera so viel erfasst, und die Tatsache, dass man nicht das direkte Bild überprüfen kann, überlässt den Fotografen einer gewissen Kontrolllosigkeit – Hannes Bessermann war damals der ideale Mann dafür.“

Ungezwungene Kompositionen

Bessermann dokumentierte täglich die Menschen der Region für unsere Zeitung und hatte schon dafür bei mehreren Ausstellungen seinen Blick für ungezwungene Kompositionen unter Beweis gestellt. Die Bilder, auf denen die Region mit allen Ecken und Kanten dargestellt ist, erzählten in München von einer unverfälschten ländlichen Idylle mit eigenem „erdigen“ Charakter und vielen originalen Charakteren. Eine Idylle, bei der immer das wirtschaftliche Profil mitschwingt, mit Fingerzeig auf die Selber Porzellan- und die Helmbrechtser Textilindustrie. Sogar das übrig gebliebene Fundament der Marktredwitzer Chemie-Fabrik ist auf einem Bild zu sehen, deren Abriss einen der größten Umweltskandale hervorrief und an deren Standort später das KEC gebaut wurde.

„Es stellt sich jetzt die Frage, wie sich die Region seither entwickelt hat. Mittlerweile nehmen die Fotografien einen Sepia-Ton an; und wie die Region ihre Narben hat, so ist die Zeit auch an den Bildern nicht spurlos vorübergegangen.“, so Bessermann. Er ist froh, dass sie nun doch ausgestellt werden konnten.

Wertigkeit erkannt

Philipp Charaoui und Olga Hirschmann vom Antiquariat erzählen: „Die Fotografien hätten tatsächlich entsorgt werden sollen, denn die Initiative Hochfranken wollte Platz schaffen – vielleicht für Neues. Da trifft es sich, dass wir im Antiquariat Wilsbergensis Anlaufstelle sind für Dinge, deren Wertigkeit aufgrund ihres Alters oft verkannt wird. Gerade die Spuren, die Veränderung und das Unperfekte sind doch genau das, was authentisch ist.“

Die Ausstellung hängt noch bis zum 19. August und kann zu den Öffnungszeiten mittwochs und samstags von 14 bis 20 Uhr besichtigt werden. Wer selbst ein Stück Hochfranken haben möchte, kann die Bilder auch käuflich erwerben; der Erlös geht an den Fotografen und ans Projekt Wilsbergensis.

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