Der spanische Kollege Carlos Sainz junior, am vorigen Wochenende Fünfter, macht sich nichts vor: „Als das Rennen sich zwischendurch normalisiert hatte, waren wir im Nirgendwo.“ Nirgendwo, das ist die neue Heimat von Charles Leclerc. Neun Pole-Positionen 2022 stehen nur zwei in dieser Saison gegenüber, dreimal schon ist er ausgefallen, ein zweiter Platz in Österreich war das beste Ergebnis. Vasseur muss sich nicht nur gegenüber den desillusionierten italienischen Medien rechtfertigen, für die Ferrari immer auch ein patriotisches Thema ist – sondern auch gegenüber den Fahrern. Leclerc bringt es nach 13 Rennen auf 99 Punkte, der etwas glücklichere Sainz auf 102. Platz sechs und Rang fünf in der Fahrerwertung, das klingt besser als es ist.
Audi sucht Personal, Aston Martin auch
Die Fahrer sind in einer Zwickmühle – darauf bauen, dass alles besser wird, oder auf den Ferrari-Ruhm verzichten und anderswo anheuern? Audi sucht für 2026 Personal mit Potenzial, Aston Martin auch. Es ist ein Poker, den momentan nur Ferrari beenden könnte – mit großzügig dotierten Vertragsverlängerungen. Die ewiggleiche Argumentation der Scuderia an der Rennstrecke greift auch hier: sie reden sich ein, besser zu sein als die Resultate.
Auch Fernando Alonso und Sebastian Vettel brachten ihre Weltmeister-Gene mit nach Italien und scheiterten dann an den Gegebenheiten. Ferrari leidet bis heute unter Problemen aus den Zehnerjahren. Vasseur braucht Geduld, um den Laden aufzuräumen und wieder aufzubauen. Wichtige Leute sind weg, einige wurden geschasst und es dauert, bis frisches Blut nachkommt. So lange muss sich der Capo gedulden, kein leichtes Unterfangen in der stets aufgeregten Formel 1.
Sonnyboy sein allein reicht nicht
Leclercs offenkundige Verunsicherung, die immer wieder zu Fahrfehlern und Streit führt, lässt ihn nicht zu der Führungsfigur reifen, die ein kriselndes Team dringend braucht. Sonnyboy sein allein reicht nicht. Aber Leclerc hat die schützende Hand seines Talentförderers über sich wie auch die seines Freundes John Elkann, der die Ferrari-Geschicke für den Agnelli-Clan führt.
Momentan ist nur der Stolz eine feste Größe, vage die Hoffnung, es im Autodromo Nazionale vielleicht doch aufs Podium zu schaffen. Fred Vasseur bleibt stur: „Wir müssen uns darauf konzentrieren, das Beste aus dem herauszuholen, was wir haben.“ Der 55-Jährige will nichts von seinen Ankündigungen zurücknehmen („Platz zwei ist nicht gut genug“). Er träumt davon, in den verbleibenden neun Rennen von Rang vier in der Konstrukteurs-WM doch noch auf den zweiten Platz hinter Red Bull Racing zu kommen, es fehlen mehr als 50 Punkte: „Ich möchte kein Ziel aufschieben, denn das wären die falsche Botschaft und die falsche Motivation.“