Facebook und Twitter spielen in der Katastrophe eine wichtige Rolle Hochwasserhelfer organisieren sich im Netz

Von Katharina Ritzer
Nach der Flut bleibt der Schlamm. In Passau haben Studenten eine Anlaufstelle gegründet, in der die freiwilligen Helfer koordiniert werden. Die Stadt ist dafür dankbar und hat die Initiative zur offiziellen städtischen Anlaufstelle ernannt. Foto: dpa Foto: red

Die sozialen Netzwerke spielen bei der Bewältigung der Flutkatastrophe eine Hauptrolle. Zwei Beispiele aus Passau zeigen, wie die Netzwerke helfen, einen neuen sozialen Zusammenhalt aufzubauen. In der Universitätsstadt, in der es oft auch Konflikte zwischen Einheimischen und Studenten gibt, rücken alle Bewohner in diesen Tagen eng zusammen.

 
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Erst seit vergangenem Sonntag gibt es bei Facebook die „Infoseite Hochwasser 2013 Bayern“, bis gestern hatten fast 135 000 User auf den „Gefällt mir“-Knopf gedrückt – ein gutes Beispiel dafür, wie schnell und unmittelbar Menschen in einem sozialen Netzwerk erreicht werden können. Ebenso schnell und spontan war die Idee für die Seite am Sonntagmorgen geboren worden, schildert Gründer Daniel Wildfeuer dem Kurier: „Bei Facebook mehrten sich die Meldungen über den rasanten Anstieg des Donaupegels und die ersten Überflutungen, aber trotzdem war bei den Regionalzeitungen noch nichts zu lesen.“

Wildfeuer begann, die vielen Bilder und Posts zu der sich anbahnenden Katastrophe zu bündeln – und traf damit einen Nerv: Bereits am Sonntagabend hatte die Seite 50 000 Freunde, am Montagnachmittag wurde die 100 000er-Grenze durchbrochen.

Gelernter Journalist ist der 30-Jährige nicht, aber wie das Netz funktioniert, weiß der Fachinformatiker – nicht nur in technischer Hinsicht: 2003 gründete er eine Internet-Community für Partybilder und Veranstaltungstipps aus dem Passauer Raum. Das Portal wuchs schnell, inzwischen sind dort fast 120 000 User registriert. 2011 stieg Wildfeuer aus und wandte sich mit einer Online-Lokalzeitung dem Nachrichtengeschäft zu. In seinem aktuellen Projekt, der Hochwasser-Seite – die er ehrenamtlich betreibt, wie er betont – kombiniert er quasi das Beste aus beiden Welten. Und lässt damit die alteingesessenen Medien vor Ort ziemlich alt aussehen.

Wie man sich Beobachtungen und Erlebnisse Betroffener zunutze macht, dieses Geschäft beherrscht Wildfeuer. Muss er auch, denn er ist nicht vor Ort, sondern bedient seine Seite von Schönberg aus, einer Gemeinde im Bayerischen Wald, gut 30 Kilometer nördlich von Passau gelegen. „Wir haben uns bewusst gegen eine Berichterstattung vor Ort entschieden da wir denken, dass bereits genügend Journalisten dort sind“, sagt Wildfeuer, der sich inzwischen mit Webentwicklung, Beratung und Social Media selbständig gemacht hat. Die Informationen für die Seite liefern Freunde und Bekannte, aber auch die Facebook-User selbst. „Wir haben in den vergangenen Tagen rund 5000 Zusendungen von Nutzern erhalten, teilweise als Posting bei uns auf der Seite, als Nachricht, aber auch vieles per Email oder telefonisch.“

Alleine konnte der verheiratete Familienvater die Nachrichtenflut nicht mehr bewältigen, seine ehrenamtliche Initiative wuchs sich schnell zum 24-Stunden-Job aus. Er holte sich einen befreundeten freiberuflichen Journalisten mit ins Boot. „Wichtige Meldungen versuchen wir quer zu checken, bevor wir sie veröffentlichen“, erklärt Wildfeuer das Vorgehen. In den meisten Fällen kämen die Informationen jedoch von so vielen verschiedenen Stellen und Nutzern, dass deren Echtheit sichergestellt sei. Darauf setzen inzwischen ja auch etablierte Zeitungen, etwa wenn professionelle Journalisten nicht mehr aus Krisengebieten berichten können. Tweets und Posts haben nicht nur während des Arabischen Frühlings ein recht genaues Bild der Zustände vor Ort gezeichnet, sondern tun dies aktuell auch von den Unruhen in der Türkei.

Ehrenamtlich betreiben Wildfeuer und sein Kompagnon die Seite, „wir bekommen keinen Cent Geld dafür und auch später ist definitiv die Vermarktung oder Verkauf der Seite ausgeschlossen“, betont er. Es ist diese Art von selbstlosem Einsatz, der viele Beobachter beeindruckt. „Die Hilfsbereitschaft ist grandios“, sagte Leonhard Stärk, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes der Nachrichtenagentur dpa. Die Nachbarschaftshilfe habe im Vergleich zu vorherigen Hochwasserkatastrophen enorm zugenommen, beobachtet er.

Die Heftigkeit der Flut und das Ausmaß der Zerstörung, das sie hinterlässt, bewegt die Menschen im Wortsinn: In Passau sind Studenten der örtlichen Universität aktiv geworden, haben am Sonntag die Facebook-Gruppe „Passau räumt auf“ gegründet. In Räumen der Uni richteten sie eine Anlaufstelle ein, um die Hilfe zu koordinieren. Mehr als 1500 freiwillige Helfer haben sich dort inzwischen mit Schaufeln und anderem Räumgerät ausrüsten und an die Einsatzorte weitervermitteln lassen. „Gemeinsam haben wir heute mehr geschafft als 2002 in zwei Wochen“, lobte ein Vertreter der städtischen Einsatzleitung auf der Facebook-Seite. Die Konsequenz: Seit Mittwoch hat die Studenteninitiative den Status einer offiziellen städtischen Anlaufstelle.

„Normalweise werde die Studenten in Passau bekämpft wie eine bösartige Krankheit. Ich bin gespannt, ob die Stadt nun verstehen wird, was sie an den Studenten hat“, kommentierte ein User auf der Facebook-Seite. Dass dieser neue soziale Kitt erhalten bleibt, wenn das Wasser verschwunden und die Schäden beseitigt sind, hofft auch Daniel Wildfeuer: „Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das ist trotz aller Tragik einfach gigantisch. Das sollten wir uns auch nach diesen schweren Tagen erhalten.“

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