Da sind zum Beispiel einige aus dem Unterstützerkreis, der sich „Gerechtigkeit für Ulvi Kulac“ nennt. In diesem Kreis gilt Knobloch vielen bis heute nicht als Opfer, sondern als Täterin. Die Vorwürfe, im Internet nachzulesen, wollen nicht enden: Sie habe ihre Tochter vernachlässigt ist dabei noch der harmloseste Vorwurf. Es kam noch härter: Sie soll Peggy für kinderpornografische Zwecke vermarktet haben, sie sogar in einem Kinderbordell angeboten haben. Und natürlich müsse sie etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun haben.

Und wie hatte sich Ulvi Kulacs Rechtsanwalt Michael Euler (33) „gefreut“ auf die Zeugin Susanne Knobloch. Wegen ihrer „Lügen“ sollte ein Tsunami über sie hereinbrechen. Aber noch nicht mal ein laues Windchen kam auf, als er die seit Jahren vom Unterstützerkreis in die Öffentlichkeit getragenen Vorwürfe vorbrachte und zu einer Verschwörung aufbauschte.

Jene SMS zum Beispiel, die Knobloch sieben Monate nach Peggys Verschwinden von ihrem ehemaligem türkischen Lebensgefährten Erhan Ü. (39) erhielt. Darin droht er seiner „Schatzi Susanne“ mit „Konsequenzen“, sie ließe ihm keine andere Wahl. „Die wirst du schon sehen. Verlass Dich drauf. Hast noch wenig Zeit. Überlege es Dir ganz gut solange es noch geht. Mit 50 000 Mark kann man viel machen ...“ Ist das wirklich „Schweigegeld“? Wusste Knobloch, wie Euler sagt, „mehr als sie sagt“? Es sei „Kopfgeld“ gewesen, vermutet Knobloch. Der Verlassene verkraftete die Trennung nicht, schrieb viele SMS und lauerte ihr sogar im Keller ihrer Wohnung auf. Einer Journalistin erzählt er von einer Pistole, die er sich besorgt haben will. „Wenn ich dich nicht kriege, soll dich kein anderer haben.“ In dieser aufgeheizten Stimmung erklärt sich Knobloch die SMS als eine pure Drohung. Der verlassene Ü. habe jemanden beauftragen wollen, sie umzubringen.

Tatsächlich gibt es in den inzwischen gut 90 000 Seiten Akten über den Fall Peggy einiges, was nicht geklärt ist. Auch diese SMS wurde nicht geklärt. „Es bleiben Fragen offen“, sagte Staatsanwältin Sandra Staade, was in den vergangenen Jahren immer wieder für Gerüchte sorgte. Deshalb war die Aussage von Knobloch von vielen mit Spannung erwartet worden.

Und ausgerechnet am 7. Mai musste sie aussagen: Auf den Tag genau vor 13 Jahren verschwand ihre damals neunjährige Tochter Peggy in Lichtenberg. Bis heute fehlt jede Spur von dem Mädchen, das sie immer noch „Schnecke“ nennt. Rechtlich geht es in dem Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Bayreuth um die Frage, ob die Beweise gegen Ulvi, der 2004 wegen Mordes an Peggy lebenslänglich bekam, ausreichen oder ob er freigesprochen werden muss. Für Susanne Knobloch dagegen geht es um eine ganz andere Frage: Was ist mit ihrer Tochter passiert?

Dabei ist für die Mutter die Tochter nicht an jenem kalten Montag im Mai 2001 gestorben. Es ist nicht nur dieser „kleine Rest Hoffnung“, den Knobloch hegt. „Es könnte ja sein ...“ Schon längst hätte sie Peggy für tot erklären lassen können. Aber so bekommt sie noch heute Post vom Wahlamt, von der Schule und von der Krankenkasse, die unbedingt Informationen braucht wegen der Versichertenkarte. „An Frau Peggy Knobloch …“ Ihre Klassenkameraden aus der Grundschule in Lichtenberg sagten vor Gericht als Zeugen aus. Sie alle wollen Peggy noch gesehen haben, nachdem sie den Ermittlungen zufolge schon tot oder verschwunden sein müssen. Sie sind sich ganz ganz sicher.

Einer ist Student, ein anderer ist Mechaniker geworden, feste Stimme, Muskeln wie ein Ringkämpfer. Längst keine Kinder mehr, die wie Peggy auf den Straßen von Lichtenberg unterwegs waren. Und sie fragt sich: „Was wär’ aus ihr geworden?“ Vielleicht was mit Tieren, da ist sie sich sicher. Wenn sie die Zeugen jetzt sieht, sagt Susanne Knobloch, „seh’ ich die Peggy vor mir.“

Die Puppe, die Ulvi durch den Wald zieht und an einem Abhang ablegt, soll Peggy darstellen. Er schnauft und schwitzt, weil es bergauf geht, die Leiche Peggys im Schlepptau. Das Gericht muss sich das Video ansehen, gedreht wurde es, kurz nachdem Ulvi gestanden hatte, Peggy ermordet zu haben. Das Video lief nur wenige Minuten, als Susanne Knobloch aus dem Saal ging. Sie konnte es nicht mehr ertragen, „es war einfach zu viel“, sagte sie, kreidebleich.

Wie geht eine Mutter damit um, wenn der Anwalt des Angeklagten den Missbrauch seines Mandanten an der kleinen Peggy als „Hoppe hoppe Reiter“ verniedlicht? Wie geht sie damit um, wenn er wegen der Größe von Ulvis Geschlechtsteil an einem „richtigen“ Missbrauch zweifelt? Wie, wenn viele Zeugen darüber jammern, dass sie nach Peggys Verschwinden stundenlang verhört worden seien? Sie bleibt leise, schüttelt ihren Kopf. „Unsensibel“ sei das, es gehe doch um ein Kind.

Zeuge, 53, Textilarbeiter: „Zuhause hing ein Stoffbeutel mit einer Terrine drin an der Tür.“

Richter: „Was war denn in dem Topf drin?“

Zeuge: „Was zu essen war drin, ein Überraschungsei war’s ned.“

Lachen im Publikum. Auch Richter Michael Eckstein (60) lacht: „Manche Zeugen fragen sich halt, was wir hier so alles wissen wollen.“ Staatsanwältin Sandra Staade: Heute ist der Jahrestag des Verschwindens von Peggy, da tu’ ich mich etwas schwer, wenn im Publikum Heiterkeit aufkommt.“

Richter Eckstein: „Sie haben Recht, da hab ich nicht dran gedacht.“ Dann entschuldigt er sich.

Montag, 7. Mai 2001. „Der Tag war Scheiße“, sagt Susanne Knobloch am Mittwoch, 7. Mai 2014. Auch sie entschuldigt sich, wegen ihrer umgangssprachlichen Ausdrucksweise vor Gericht. Es sei kalt, trist, diesig und neblig gewesen. „Peggy wollte nicht in die Schule, ich hab’ sie trotzdem geschickt.“ Dann hat sie Peggys Schwester Yasmin in den Kindergarten gebracht, sie selbst ist zur Arbeit. Immer wieder „kommt alles hoch“, auch solche Dinge, die sie „erfolgreich verdrängt“ hatte. Wie die Drohungen ihres damaligen türkischen Lebenspartners Ü. „Es hat bei uns die Luft gebrannt, es war nichts in Ordnung.“ Ü. hatte heimlich einen Vaterschaftstest machen lassen und so erfahren, dass Peggys Schwester nicht sein Kind ist. Seit Monaten schon suchte Ü. im Internet nach einer neuen Frau. Als Peggy verschwand, eskalierte die Situation. Bis zu jener SMS mit der Drohung und den 50 000 Mark. „Das kommt jetzt alles wieder hoch“, sagt Knobloch.

2004 verließ sie den Gerichtssaal mit einer grausamen, aber greifbaren Gewissheit: Der Mann, der ihre Tochter missbraucht und ermordet hat, war gerade verurteilt worden. Wenn das Urteil in Bayreuth fällt und Ulvi aus Mangel an Beweisen freigesprochen wird, was sich andeutet, wird sie außer einer großen Ungewissheit gar nichts mehr haben. „Dann steh ich mit leeren Händen da.“ Dann werden vielleicht die Schreiben der Behörden das einzig greifbare sein. Selbst Peggys Katze Toni ist vor zwei Jahren gestorben.

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