Eine Katastrophe, die das Bewusstsein veränderte: Seit Orkan Wiebke im Jahre 1990 glauben wir an den Klimawandel Der Winter der Stürme

Von Michael Weiser

Ein nachhaltiges Naturereignis: Vor 25 Jahren, in der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März, raste Orkan Wiebke durch Europa und traf Oberfranken schwer. Ein Sturm, der nicht nur Wälder verwüstete, sondern auch das Denken der Menschen veränderte. Seitdem redet jeder von Nachhaltigkeit - und vom Klimawandel. 

 
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Die Aufnahme erinnert den Betrachter an den „Wanderer über dem Nebelmeer“, jenem berühmten Gemälde von von Caspar David Friedrich. Nur, dass der Mann auf dem Foto nicht auf eine romantische Waldlandschaft hinunterschaut, aus der Dampf emporwallt. Dieter Fuchs blickt vielmehr aufs schiere Chaos. Gesplitterte Stämme, Bäume, wie Streichhölzer geknickt oder durcheinandergeschichtet wie Mikadostäbchen.

So sah es im Spätwinter 1990 in Oberfrankens Wäldern aus, und so sah es aus in weiten Teilen Deutschlands und Europas: Schneisen der Verwüstung, wo sich „Wiebke“ sich durch die Landschaft gefräst hatte. Am Ende eines Winters, der den Menschen im Gedächtnis bleiben sollte. Nicht nur wegen der Freilassung von Nelson Mandela oder wegen der fortschreitenden Vereinigung von Ostdeutschland und Westdeutschland. Oder des Zerbröselns der Sowjetunion. Sondern auch wegen seiner Wetter-Extreme.

Der Winter von 1989 auf 1990 war der Winter der Stürme. Wie es auch der Nordbayerische Kurier am 2. März vor 25 Jahren zusammenfasste: „Ungewöhnliche und gefährliche Kapriolen und Eskapaden könnte man die verrückten Sprünge nennen, die das Wetter in letzter Zeit macht.“ Die „Eskapaden“: Sie trugen damals noch ausschließlich Frauennamen. Erst kamen Daria, Herta, Judith, Nana, Ottilie, Polly und Vivian, Stürme, die teilweise schon Orkanstärke erreichten.

Dann, in der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1990, kam Wiebke. Und traf Bayern mit voller Wucht. Mit manchmal über 200 Kilometern pro Stunde raste der Sturm durch das Land und warf um, was sich ihm in den Weg stellte. Polizei und Feuerwehr waren mit vollem Aufgebot im Einsatz, die ganze Nacht hindurch, und konnten doch kaum verhindern, dass der Verkehr zusammenbrach, weil umgestürzte Bäume Straßen und Schienen blockierten. Manche Ortschaften waren abgeschnitten. Andererseits: Menschen kamen in Oberfranken kaum zu Schaden, überwiegend Leichtverletzte wurden registriert. Tage nach dem Sturm zog sich allerdings ein Waldbauer tödliche Verletzungen zu, als der Wipfel eines beschädigten Baumes auf ihn stürzte. Andere Gegenden traf es ungleich schlimmer. Der Sturm selbst hatte in ganz Europa über 30 Todesopfer gefordert.

Immens waren die Sachschäden. In Deutschland betrugen die Schäden – nach heutiger Rechnung – 1,5 Milliarden Euro. In Bayreuth traf es vor allem den Studentenwald schwer, das Tribünendach des städtischen Stadions, des heutigen Hans-Walter-Wild-Stadions, wurde schwer beschädigt, als der Sturm ein Segment des Daches anhob und dann auf die Tribüne fegte. Allein in Oberfranken fegte Wiebke eineinhalb Millionen Festmeter Holz auf den Boden – man stelle sich einen Würfel aus massiven Holz vor, mit etwas mehr als hundert Meter Seitenlänge. Der Schaden in Bayern insgesamt: Vermutlich rund 15 Millionen Festmeter.

„Die Preise für Holz fielen in den Keller“, erinnert sich Gerhard Potzel, Geschäftsführer der Waldbauernvereinigung BAyreuth. Vom Ruin bedroht waren damals allerdings die allerwenigsten Waldbauern. Auch weil, wie Potzel sagt, der Freistaat prompt half. „Und die meisten sind eh im Nebenerwerb Waldbauern.“

Aber auch abseits der bloßen finanziellen Folgen traf der Sturm die Oberfranken ins Mark. „Man ist ausgeliefert. Man könnte weinen“, sagt Potzel. „Da wird in kürzester Zeit die Arbeit von 20, 30 oder mehr Jahren zerstört, die teilweise schon von den Eltern begonnen worden war.“ Nach dem Wind kamen die Borkenkäfer, für sie war das Chaos in den Wäldern ein „gefundenes Fressen“, sagt Dirk Schmechel von der Landesanstalt Wald- und Forstwirtschaft. „Und sie griffen angeschlagene Bäume an, die sich nicht wehren konnten“, sagt Potzel.

Nun ist Klimawandel ein Thema

Jahre später erst waren die Wunden im Wald vernarbt. In manchen Privatwäldern sieht man die Spuren bis heute. Wiebke schnitt aber auch tief ein ins Bewusstsein der Menschen. Zum ersten Mal war „Klimawandel“ ein Begriff nicht nur für Ökofanatiker und Fachleute. „Das Bewusstsein hat sich geändert, und die Stürme haben etwas dazu beigetragen“, sagt Potzel. „Wiebke hat die Denkweise geändert“, sagt auch Schmechel.

Ein besonderes Interesse für Wetterphänomene entwickelten seitdem die Versicherungen. Ein Unternehmen, das Risiken für Versicherer berechnet, ist Aon. „1990 war eigentlich der Höhepunkt der Sturmaktivität“, sagt Aon-Sprecher Parwiz Behboud. Allerdings: „Was Sommerereignisse angeht, also Gewitter und Hagel, so gibt es Hinweise, dass diese in den letzten Jahren tatsächlich zugenommen haben.“ Der neue Weltklimabericht bestätigt die Studien der Risiko-Analytiker: In der nördlichen Halbkugel sei die Periode zwischen 1983 und 2012 wahrscheinlich die wärmste 30-Jahresperiode der vergangenen 1 400 Jahre gewesen, heißt es im neuen Weltklimabericht.

Seit Wiebke sind die Wälder in Bayern ein Stück weit besser auf die Erderwärmung vorbereitet. Wo der Sturm die Wälder niederlegte, musste neu aufgeforstet werden. Dabei vermieden die Waldbauern Fehler der Vergangenheit. „Man setzt nun viel stärker auf Risikostreuung“, sagt Potzel. Auch wenn Laubbäume viel mehr Zeit benötigten, „hat man nun nicht mehr nur Nadel-, sondern auch Laubbäume“. Vor allem Eichen findet man seit den 90er Jahren wieder verstärkt in Bayerns Wäldern. Anteile verloren hat hingegen die Fichte, eigentlich der „Brotbaum“ der Forstwirtschaft. Denn sie hat es schwer auf trockenen Böden.

„Die Sensibilität für Umweltprobleme, aber auch nachhaltiges Wirtschaften ist gewaltigen gestiegen“, sagt Potzel. Das klingt gut. Besser jedenfalls als seine weiteren Beobachtungen. „Wir haben steigende Durchschnittstemperaturen, wir haben in der Summe sinkende Niederschlagsmengen“, sagt Potzel. „Extremereignisse nehmen zu.“

Dazu gehören offenbar auch Stürme wie 2007 der Orkan Kyrill, dazu gehören mehr noch Hochwasser wie das von 2013, das unter anderem den Deggendorfer Stadtteil Fischerdorf überschwemmte. Kurier-Leser spendeten damals 300 000 Euro. Eine Solidarität, die von den Deutschen künftig wohl öfter verlangt sein wird – wie man sich seit Wiebke ausrechnen kann.

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