Für die Politik steckt darin eine leidlich gute Nachricht. Wer dem Heimat-Slogan verfällt, ist nicht unbedingt Nationalist. Er bleibt für gute Politik erreichbar. Interessant, wie die Parteien darauf reagieren. In der CDU / CSU gewinnt gerade eine sehr pragmatische Sicht an Boden. Unions-Fraktionchef Volker Kauder will die Förderung ländlicher Räume zum Thema der Koalitionsverhandlungen machen: "Gerade in den ländlichen Gebieten – auch im Westen – herrscht verbreitet das Gefühl, mehr und mehr abgehängt zu werden. Wenn
erst die Schule schließt, dann Postamt und Sparkassen, haben die Menschen den
Eindruck, dass sich niemand um sie kümmert."
Die Chefs der Unionsfraktionen in den Ländern hatten sich schon im März dafür ausgesprochen, ein Bundes-Heimatministerium einzurichten. Aufgabe wäre, "gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gewährleisten". In Bayern gibt es das schon. Die neue, CDU-geführte NRW-Landesregierung hat nachgezogen.
Das linke Spektrum hat einen anderen Heimatbegriff – oder sucht danach. Heimat an Boden und Scholle zu knüpfen, ist dort verdächtiger, weil man darin Nachklänge an die Nazi-Ideologie erkennt. Besonders in der Linkspartei ist Heimattümelei eigentlich tabu. Was man auch ein bisschen ironisch finden kann, denn tatsächlich war die PDS zunächst eine reine Ostpartei, die sich mit ihrem Kümmerer-Anspruch intensiv darum bemühte, die bedrohte Ost-Mentalität liebevoll zu pflegen. Die Partei wird aber durchaus nicht mehr als natürlicher Sachwalter ostdeutscher Interessen verstanden, wie die Wahlergebnisse zeigen. Da hat ihr die AfD vielerorts den Rang abgelaufen.
Kein Wunder, dass auch die Linkspartei Orientierungsdebatten führt, in denen es auch um den Umgang mit dem Heimat-Thema geht. Der Berliner Staatssekretär Alexander Fischer und der thüringische Staatskanzlei-Chef Benjamin-Immanuel Hoff haben ein Strategiepapier verfasst. Darin sprechen sie von einer Heimatdebatte, die klug genutzt "diesmal weder deutschtümelnd noch abgrenzend" sein müsse. Den Heimatbegriff "pauschal abzulehnen, wäre ein Fehler", heißt es in dem Konzept. Sie geben als neue Leitidee aus: "Links ist da, wo Menschen eine sichere Heimat (auch in der Fremde) und damit Zukunft und Möglichkeitsräume haben." Die Linke dürfe jedenfalls "den Wunsch nach Beheimatung nicht als ewiggestrig abtun".
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede am Tag der deutschen Einheit ein der Zukunft zugewandtes Modell gezeichnet. Die Sehnsucht nach Heimat dürfe man nicht denen überlassen, "die Heimat konstruieren als ein Wir gegen Die, als Blödsinn von Blut und Boden, die eine deutsche Vergangenheit beschwören, die es so nie gegeben hat." Steinmeier sieht im Heimatbegriff, durchaus in einer langen Tradition linken Denkens verhaftet, etwas, das in die Zukunft weist. "Heimat", sagt er, "ist der Ort, den wir als Gesellschaft erst schaffen". Ein Ort des Verstehens und des Miteinanders. Der Reiz daran: Diese Heimat ist offen für Neuankommende. Sie will errungen werden. Sie ist kein fester Ort, sondern ein künftiger Zustand. Eigentlich ist sie also Utopie.
Ernst Bloch wirkt da heimlich, aber mächtig nach. Am Ende seines Werkes "Prinzip Hoffnung" bringt er es auf die berühmte Formel: "Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat."