Dresscode Wenn Knigge-Lady auf Wagnerianer trifft

Kommentar von Linda Kaiser
Angela Merkels Festspiel-Garderobe von 2016 bis 2019. Fotos: dpa Quelle: Unbekannt

KOMMENTAR. Entweder liegt es an mangelnder Wertschätzung oder an falsch verstandenem Respekt, dass anlässlich der Wagner-Festspiele in Bayreuth niemand auf die Farbe der Abendgarderobe von Bundeskanzlerin Angela Merkel wettet.

 
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Der Schnitt ist stets sehr ähnlich zum Vorjahr, die Farbe indes variiert. Vielleicht haben die Deutschen auch einfach nur weniger sportlichen Humor als die Briten, die regelmäßig auf die Hutfarbe der Queen wetten, wenn man sich zum Rennen in Ascot trifft.

Humor zeigte allerdings der Festivalbesucher, der im Anzug mit Flamingodruck auf dem grünen Hügel auftrat. Konsequent umgesetzt und mit Klasse getragen verdiente er sich mit seiner Wahl die Aufmerksamkeit und das Ansehen der anderen Gäste.

Ein weiteres Kompliment sei den Herren ausgesprochen, die trotz 38,5 Grad Innen- und Außentemperatur mit gebundener Schleife, langärmeligem Smokinghemd unter der passenden Jacke, mit Socken und Lackschuhen bis in den späten Abend ausgehalten haben. Allen anderen sei gesagt, dass die Einhaltung eines Dresscodes auch unter erschwerten Bedingungen machbar ist, man muss es nur wollen.

Die Damen hatten es da nicht einfacher, waren aber trotzdem sehr kreativ in der Umsetzung. Mag die Abendrobe auch schulterfrei und die Seidenstrumpfhose zu Hause gut aufgehoben sein, wirkt es dennoch befremdlich auf den Betrachter, wenn flipflopartige Strandsandalen zu bauschigen Tüllkleidern kombiniert und unter leichtesten Trägerkleidern die Unterwäsche sichtbar fehlt. Das kann frau doch besser. Haltung unterstützen eingenähte Corsagen, aber die wahre kniggegemäße Haltung kommt von Innen.

Und das Innere stimmt am heißesten Tag des Jahres. Die Festspielgesellschaft ist fröhlich und weltoffen, kommunikativ und mitteilsam. Da wird ebenso gefachsimpelt wie geklatscht.

Small Talk beherrschen die Gäste auf dem Grünen Hügel und beim Staatsempfang mit Bravour und jeder ist herzlich eingeladen, Teil des großen Ganzen zu sein. Im Mikrokosmos Bayreuth klappt es mit der Weltoffenheit – vielleicht auch, weil die verschiedenen Kulturen einen gemeinsamen kulturellen Ankerpunkt gefunden haben. Großes kann eben doch über den kleinsten gemeinsamen Nenner entstehen.

Die Premierenaufführung war übrigens grandios. Das Saalpersonal aufmerksam und freundlich. Das Publikum diszipliniert. Nur diejenigen, die beim Durchdrängeln durch eine volle Sitzreihe sich wiederholt mit dem Rücken zu den bereits platzierten Zuschauern zuwandten, müssen wohl noch einmal üben.


Info: Linda Kaiser ist stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Knigge-Gesellschaft und Trainerin für Business-Etikette.