Der verzweifelte König: Die Gefühle seiner Bühnenfiguren ergründet Georg Zeppenfeld im Studierzimmer "Tristan": Ein ganz neuer Marke

Von Eva Kröner

Er hat die Rolle, die ihn eingeladen hat: So empfindet Georg Zeppenfeld den Part des König Marke in „Tristan und Isolde“. Mit dem „Kurier“ sprach er kurz vor der Premiere über überwältigende Gefühle, einen wirklich fiesen Kaspar und paranoide Könige.

 
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Marke, der betrogene König. Wie geht es Ihnen mit Ihrer neuen Rolle in Bayreuth, Herr Zeppenfeld?
Georg Zeppenfeld: Marke beschäftigt mich schon seit dem Studium, er ist eine faszinierende Figur. Was in ihm vorgeht, ist immer nachvollziehbar, alle Sänger fühlen sich ihm nahe. Im zweiten Akt durchläuft er ein wahnsinniges Spektrum an extremen Empfindungen. Da hat man die Möglichkeiten, sich zu probieren, neue Farben und Facetten in sich zu entdecken. Er ist eine Einladung für einen Sänger.

Welche Empfindungen sind das?
Zeppenfeld: Er ist erst bis ins Mark erschrocken, dann fassungslos, dann vorwurfsvoll. Das steigert sich, er wird wütend und geht mehr und mehr aus der Form. Weil er so gar nichts zurückbekommt von diesem Tristan, der ja mit Isolde in einer anderen Welt ist. Am Ende schreit Marke seine Verzweiflung raus und ist dann völlig erschöpft.

Und im dritten Akt?
Zeppenfeld: Nachdem er erfahren hat, dass Tristans Betrug auf Medikamentenmissbrauch zurückzuführen ist, ist er erleichtert. Und er verhält sich irrational, wenn er seine eigene Braut dem Freund zum Heiraten hinterher bringt. Das ist sein verzweifelter Versuch, die in Scherben gegangene Welt zu kitten. Wobei er gar nicht begriffen hat, auf welcher Wellenlänge Tristan und Isolde mittlerweile funken. Dass die ihr Heil auf der Nachtseite, im Tod suchen. Aber das macht ihn auch wieder so sympathisch.

Medikamentenmissbrauch? Halb so schlimm

Es macht ihn sympathisch, dass er nichts begreift?
Zeppenfeld: Ich finde, ja. Mir macht es den König sympathisch, dass er in seinen menschlichen Grenzen lebt. Was zwischen Tristan und Isolde vor sich geht, ist ja Wirkung einer magischen Ursache. Das ist ein schwacher Punkt im Libretto, finde ich, dass Wagner bei dieser Liebe nicht ohne Magie auskommt.

Der Liebestrank war halt schon drin im Tristan-Stoff, den Wagner sich vorgenommen hat.
Zeppenfeld: Von vielem anderen hat sich Wagner auch getrennt, er ist durchaus frei mit mittelalterlichen Stoffen umgegangen. Aber gut, so hat es ihn interessiert und so ist es okay. Und wenn es tatsächlich um Treuebruch gegangen wäre, hätte man wohl auch mehr Schwierigkeiten, Tristan und Isolde sympathisch zu finden.

Marke haben Sie schon auf verschiedenen Bühnen gesungen, jetzt in der Neuinszenierung von Katharina Wagner. Was für ein König erwartet uns da?
Zeppenfeld: Dazu sage ich natürlich noch nichts, aus Loyalitätsgründen. Die Lesart der Figur ist eine andere, als man gewohnt ist. Und auch anders als meine eigene Lesart. Aber sie ist auf ihre Weise plausibel. Am musikalischen Ausdruck muss ich nicht viel ändern, man kann das alles schon so verstehen, wie es im neuen Kontext gemeint ist. Einen szenischen Ausdruck musste ich aber erst dafür finden.

"Ich grabe mich rein"

Wie schwer war das?
Zeppenfeld: Es gibt Stimmungen, bei denen ich Schwierigkeiten habe, sie zusammenzubringen. Aber das ist immer so. Wenn man zu einer Figur einen so starken Draht hat wie ich zu Marke, dann hat man bei jeder Regie Punkte, wo man nicht der gleichen Meinung ist. Damit kann ich gut umgehen.

Macht es traurig, in einer traurigen Oper zu singen?
Zeppenfeld: Nein. Wenn ich Emotionen nachvollziehen und mit der gegebenen Musik überzeugend darstellen kann, dann macht es mich sogar glücklich. Ich habe den Charakter getroffen und bekomme dadurch etwas zurück: indem ich über eine Figur neue Farben in mir finde, neue Möglichkeiten, die mir noch nicht klar waren.

Aber im Moment selbst, auf der Bühne: Müssen Sie da ein Gefühl tatsächlich fühlen, um es glaubwürdig spielen zu können?
Zeppenfeld: Nein, das mache ich im Studierzimmer. Dort mache ich mich auf die Suche nach der Figur, grabe mich rein, lasse mich stimmungsmäßig erfassen. Wenn ich ihre Gefühle gefunden habe, distanziere ich mich wieder von ihnen. Ich konserviere sie und mache sie abrufbar. Das ist der professionelle Weg, das ist das Handwerk. Ich kann mich nicht abhängig machen von der momentanen Stimmung, in der ich mich im Augenblick der Vorstellung befinde.

Können Sie das wieder abschütteln, wenn Sie das Studierzimmer verlassen? Oder schleppen Sie diese Gefühle dann mit sich herum?
Zeppenfeld: Da müsste ich meine Umgebung mal befragen. Nein, ich glaube nicht. Nach dem Studierzimmer bin ich einfach nur müde. Und wer zum Beispiel Aggressionen spielt, ist wahrscheinlich im Privatleben sogar besonders friedlich.

Welche Gefühle sind schwer zu finden, welche leicht?
Zeppenfeld: Mir fällt negative Energie schwer. Ich habe gerade einen ziemlich fiesen Kaspar im "Freischütz" gesungen. Das funktioniert auch, aber es ist wahnsinnig anstrengend. Diese ätzende, negative Energie zu mobilisieren, die mir persönlich so fern liegt. Aber dem muss ich mich unterziehen, ich kann ja nicht kalten Kaffee abliefern. Kaspar muss den Zuschauer so packen, dass der eine Gänsehaut kriegt, da muss man sich ziemlich reinschmeißen.

Sind Sie schon mal auf der Bühne von Gefühlen überwältigt worden?
Zeppenfeld: Einmal, durch die Wirkung der Musik. Als Gurnemanz im Parsifal. Wenn man diese langen, gedrückten, mit einem depressiven Hauch versehenen Passagen im dritten Akt gesungen hat und hört dann die Erlösungsmusik am Schluss: das empfinde ich unter Umständen wirklich als zum Heulen schön. Aber so was merke ich dann und fange es wieder ein. Es gibt keinen Grund, sich gehen zu lassen.

Was würde das heißen, sich gehen zu lassen?
Zeppenfeld: Dass ich mich als Darsteller in der Figur genieße. Daran ist der Zuschauer nicht interessiert. Er will nicht uns dabei zuzusehen, wie wir ein Gefühl haben, er will das Gefühl selbst haben. Wir sind auf der Bühne, um Empfindungen im Publikum wecken. Dafür müssen wir in der Illusion bleiben, immer in der Figur, immer spielen, auch wenn wir gerade nichts zu tun haben.

"Ich sollte die Figur unterlaufen"

Und Sie, als Bass, spielen immer die alten Männer.
Zeppenfeld: Das war für mich nie ein Problem, höchstens für die Kollegen von der Maske. Ich musste lernen, das Alter zu spielen, das gehört zum Fach dazu. Meine erste Partie in Münster war Titurel, der älteste Mann auf der Bühne überhaupt. Mein Spielleiter Peter Beat Wyrsch hat mit das Tattern beigebracht, ich durfte siech und hinfällig auftreten, gestützt auf zwei Statisten. Das war klasse.

Und diese vielen Könige, die Sie im Repertoire haben? Marke, Heinrich, Philipp: Wie geht es Ihnen mit denen?
Zeppenfeld: Die Könige erlebe ich entweder als nachvollziehbar oder als uninteressant. Der Heinrich im ‚Lohengrin’ zum Beispiel, den ich in Chicago gesungen habe, war ganz traditionell angelegt. Da war ich in meiner Sänfte geparkt. Zum Gebet durfte ich aufstehen und mit wichtiger Miene in die Mitte treten, und dann wieder: husch, husch ins Körbchen. Das war nicht so wahnsinnig interessant.

Mit König Heinrich haben Sie in Bayreuth Ihren Einstand gegeben, 2010 in der Inszenierung von Hans Neuenfels.
Zeppenfeld: Das war anders. Neuenfels einzige Anweisung war: Der König ist total paranoid. Aha, dachte ich, so habe ich das noch nicht gesehen. Und war natürlich verzweifelt, so einen Auftrag zu kriegen. Es war konträr zu dem, was musikalisch passiert, ich sollte die Figur unterlaufen und dachte, ich hätte keine Chance, das gut zu machen. Aber irgendwann habe ich verstanden, dass es für mich vorteilhaft ist, mir alles selbst nach dieser Vorgabe zusammenzusuchen. Neuenfels hat, trotz wiederholten Nachfragens, nie erklärt, warum er einen paranoiden König haben wollte. Ich glaube, er wollte keine ordnende Autorität. Alle sollten hinter Lohengrin herlaufen und sonst hinter niemandem. Da hat ihn der König gestört und er hat mir gesagt: Spiel einen Spinner.

Sie wohnen mit Ihrer Familie in Dresden, die Semperoper ist Ihre künstlerische Basisstation.
Zeppenfeld: Ich habe dort einen Residenzvertrag und singe in Dresden etwa die Hälfte meiner Abende. Für die andere Hälfte gastiere ich an anderen Häusern. Es ist ein Kompromiss zwischen Karriere und normalem Leben und ein großer Glücksfall, wenn man diese Chance hat. Die meisten Kollegen, die erfolgreich arbeiten und Angebote aus aller Welt kriegen, leiden darunter, ständig unterwegs zu sein. Manche sehen ihr Zuhause nur sechs Wochen pro Jahr, und irgendwann haben sie dann eine Familie gehabt, weil die es nicht ausgehalten hat auf Dauer. Ich hoffe, dass mir das erspart bleibt.

Grottenmüde Touristen

Neben Ihren Opernrollen singen Sie auch gerne Konzerte.
Zeppenfeld: Ich würde gerne noch mehr singen. Der Kontakt zum Publikum ist unmittelbarer. Ich kann meine Geschichte spielen mit eingeschränkten Mitteln, sie so erzählen, dass sie bei den Leuten ankommt. Dass ich sehe, dass sie mir an den Lippen hängen. Das finde ich sehr reizvoll.

Haben Sie umgekehrt auch schon mal gemerkt, dass Ihnen die Zuhörer wegschlafen?
Zeppenfeld: Nein, im Konzert nicht. Aber in der Oper passiert das manchmal. In Dresden haben wir viele Touristen im Publikum, die sind einfach grottenmüde. Sie sind im Bus gesessen, durch die Stadt gejagt worden und dann geht es abends noch in die Semperoper. Da haben wir manchmal das Gefühl, wir gehören einfach zum Inventar dieser schönen Immobilie und werden besichtigt. Und das, was wir da machen, steht irgendwo auf Seite drei.

Wie ist das in Bayreuth?
Zeppenfeld: Da sind die Enthusiasten, die die Stücke genau kennen und eine bestimmte Erwartung haben. So ein Publikum ist Futter für uns, es lässt sich begeistern. Das haben wir in Dresden auch, zum Premierenabonnement. Da sitzen die Einheimischen mit Fachkenntnis und Hörerfahrung, die seit Jahrzehnten die Semperoper besuchen.

Was machen Sie, wenn Sie nicht singen?
Zeppenfeld: Dann genieße ich es, bei meiner Familie zu sein. Mich mit Haus und Garten zu befassen. Dinge zu tun, die nichts mit Kunst zu tun haben. Mal so einen Rasen zu mähen, eine Hecke zu schneiden. Oder das Kaminholz für den nächsten Winter zu hacken. Das ist herrlich.