Der Patchwork-"Ring" in Wien

Von Hermann Grampp
Vorsichtig modernistisch wird am Theater an der Wien Richard Wagners „Ring“ in drei Teilen gezeigt: Szene mit Ingela Brimberg als Brünnhilde und Aris Argiris als Wotan. Foto: Herwig Prammer Foto: red

Wie so oft in Wien, wussten es die Experten schon vorher besser: Richard Wagners vierteiliges Monumentalwerk „Der Ring des Nibelungen“ zu zerhacken und in einer Trilogie neu zusammenzufügen, das kann nichts werden. Als sich der Vorhang im Theater an der Wien aber über den dritten Teil „Brünnhilde“ senkte, waren die meisten jedoch eines besseren belehrt: Es ist ein Gewinn, Wagners Riesenwerk aufzuspalten und in drei Erzählsträngen neu zu stückeln.

 
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Was aus der Not geboren war, wurde am Ende zu einem hochinteressanten Projekt: Das kleinste der drei Wiener Opernhäuser, das Theater an der Wien, veranlasste eine reduzierte Orchesterfassung, die vom Dirigenten Constantin Trinks, der Regisseurin Tatjana Gübraca und der Dramaturgin Bettina Auer erstellt wurde. Die Handlung wird entlang der Biographien dreier Protagonisten erzählt, aus vier Teilen werden drei, und die Musik reduziert sich von durchschnittlichen 14,5 auf knapp neun Stunden.

Gebrochenen Sicht auf drei Figuren

Der Mehrwert des Projekts liegt eindeutig in der gebrochenen, neuen Sicht auf drei zentrale Figuren des „Rings“: Hagen, Siegfried, Brünnhilde. Grundsätzlich beginnt die Regisseurin Tatjana Gürbaca jeden Abend mit einer stummen Pantomime der Ermordung Siegfrieds durch Hagen, von wo ausgehend die Vitae der drei Figuren im Flashback nacherzählt werden.

Diese Technik erscheint beim ersten Teil „Hagen“ am schlüssigsten: Sobald das dunkel-erhabene Vorspiel aus dem zweiten Aufzug der „Götterdämmerung“ ertönt, raunt Alberich: „Schläfst Du, Hagen, mein Sohn?“ Er erinnert ihn an eine zentrale Aufgabe des Ring-Erwerbs und erzählt die Vorgeschichte ein weiteres Mal (sie wurde bereits mehrfach wiedererzählt, nur noch nicht von jedem). Ein Klein-Hagen erscheint, der an Alberichs Hand die erste Zeitreise unternimmt: Wir gelangen nach kurzem Verschwimmen des Bildes zum Anfang aller Dinge und befinden uns in der Es-Dur-Ursuppe des Rheins, erleben mit dem kleinen Hagen die böse Abfuhr seines Vaters bei den Rheinmädchen, den Diebstahl des Goldes und den brachialen Raub von Gold, Tarnhelm und Ring durch Loge und Wotan.

Motiv der Rache

Es ist verblüffend, wie Alberichs Motive der Rache in dieser scharfen, konzentrierten Kontur verständlicher, gar nachvollziehbar werden. All das wird getragen von der überragenden Interpretation durch Martin Winkler, einem stimmgewaltigen und rührenden Nibelungen-Alb. Das gleiche Prinzip des Zeit-Zooms wird auch für den erwachsenen Hagen verwandt (mit erstaunlicher Entwicklung zur strahlenden Schwärze: Samuel Youn), in Szenen aus dem 1. und 2. Aufzug „Götterdämmerung“. Dies wird in den beiden weiteren Abenden „Siegfried“ und „Brünnhilde“ fortgesetzt und gelingt dort weniger gut, da die Zerstückelung dieser gleichsam omnipräsenten Figuren reduktiv wirken muss. Alles kulminiert im letzten Teil, „Brünnhilde“, mit der kompletten Wiedergabe des dritten Aufzugs von Wagners „Götterdämmerung“, wenn die drei Protagonisten in finaler Klimax frontal aufeinanderstoßen.

Klassisch in der Erzählsprache, stringent in der Gesamtschau

Tatjana Gürbaca unterstützt diese Zeitreisen durch kluge Verwendung regietechnischer Leitmotive und vor allem durch eine Fülle an klug herausgearbeiteten Details, die tiefe Einsichten bergen, etwa die eklatante Zivilisationsdifferenz zwischen Siegmund, der seine Suppe wie ein wildes Tier frisst, und Sieglinde, die trotz allem in einem Haus von Stand sozialisiert wurde. Das Ganze ist vorsichtig modernisierend, klassisch in der Erzählsprache, stringent in der Gesamtschau. Unter den Sängern stechen Marcel Beekman als heller, idealer Mime, der Glockensopran Mirella Hagens als Woglinde und Waldvogel sowie Liene Kinca hervor, die als glühend-warme Sieglinde noch mehr überzeugt als in der Rolle der Gutrune. Erstaunlich der kräftige und lyrisch geführte Bariton des erst 24-jährigen Kristján Jóhannesson als Gunther. Daniel Brennas Siegfried beeindruckt durch schlank geführte schiere Ausdauer, während Ingela Brimberg als Brünnhilde insbesondere im Schlussgesang den Raum strahlend ausfüllt.

Funkelnder Wagnerklang

Constantin Trinks, inzwischen einer der führenden Wagnerdirigenten, leitet das wagnerunerfahrene ORF Radio-Symphonieorchester Wien mit Kompetenz und Größe. Es überzeugt der volle, funkelnde Wagnerklang: das Orchester als Bauch und Eingeweide des Dramas. Ein Meister des Übergangs, strahlt und leuchtet es nur so in allen Farben aus dem Graben, dass es eine wahre Pracht ist. Bislang hat Trinks in Bayreuth nur in der Oberfrankenhalle dirigiert: „Das Liebesverbot“, im Rahmen des 200-jährigen Richard-Wagner-Jubiläums. Es wird Zeit, dass er auf den Grünen Hügel gerufen wird: Er ist ein Fall fürs Festspielhaus.