Den Kastraten auf den Leib geschrieben

Von
Privatdozentin Saskia Maria Woyke vor dem Markgräflichen Opernhaus. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Passend zur Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses hat das Forschungsinstitut für Musiktheater (Fimt) der Uni Bayreuth ein internationales Symposion zu Johann Adolph Hasses Musiktheater organisiert. Von Freitag bis Sonntag dreht sich im Iwalewahaus und im Schloss Thurnau alles um den Komponisten der Oper „Artaserse“. Im Kurier-Interview spricht Privatdozentin Saskia Maria Woyke über Countertenöre, den Bayreuther Hof und ein weltweites Hasse-Revival.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Frau Woyke, zur Zeit der Markgräfin Wilhelmine galt Johann Adolf Hasse als Superstar unter den Komponisten. Was sagt das über den Rang des Bayreuther Hofes aus, dem es gelungen ist, Hasse nach Bayreuth zu locken?

Saskia Maria Woyke: Das zeigt einen wichtigen Geltungsanspruch an. Man wusste, wer an den größten Höfen Europas – insbesondere in Wien und Berlin – der gefragteste Komponist war und wer in Italien die Spielpläne beherrschte. Wobei man aber sagen muss: So ganz hat es nicht funktioniert, denn Hasse und seine Frau, die eine der berühmtesten Sängerinnen Europas war, haben lediglich am Hof gesungen und gespielt. Sie brachten persönlich keine Oper im Markgräflichen Opernhaus zur Aufführung. Ob dies am Finanziellen nach dem Bau des Hauses scheiterte oder an der Tatsache, dass Hasse sehr viel beschäftigt war, kann man zur Zeit nicht ganz genau sagen.

 

Was ist über den Aufenthalt von Hasse in Bayreuth bekannt?

Woyke: Hasse und seine Frau, die berühmte Sängerin Faustina Bordoni, waren nachweisbar zweimal in Bayreuth, wie Sabine Henze-Döhring in ihrem aufschlussreichen Buch zu Wilhelmines Hofmusik zeigt. Das erste Mal logierten sie ab dem 6. Juli 1746 im Hotel Goldene Trauben und dürften die Kontakte zum Hof bekräftigt haben; das zweite Mal komponierte Hasse im Juni 1748 einige Arien für die Opern „Ezio“ und vielleicht auch für „Artaserse“, die zur Fürstenhochzeit in Bayreuth aufgeführt wurden. Wilhelmine berichtete außerdem ihrem Bruder Friedrich II am 13. Juni 1748, sie habe Faustina gehört, deren Stimme sie „stärker denn je“ gefunden habe.

 

Im 18. Jahrhundert war Hasse einer der gefragtesten Komponisten. Doch danach geriet er in Vergessenheit. Was war der Grund dafür?

Woyke: Das liegt daran, dass er wie kein anderer Komponist ein Spiegelbild seiner Epoche war und sich mit großer Fähigkeit im höfischen Umfeld und der Zivilisation dieser Zeit – wir reden über den Zeitraum von 1721 bis 1771 – zu bewegen wusste. Diese Epoche wich einer anderen und damit einer anderen Gesellschaft. Es handelt sich um die Glanzzeit der Kastraten, aber auch sehr befähigter Sängerinnen. Einer der Gründe, warum man Hasse danach kaum mehr gespielt hat, ist, dass die Kastraten spätestens mit Napoleons Verbot an Bedeutung verloren. Eine Mozart-, Verdi- oder Wagnersängerin, wie sie etwa im 20. Jahrhundert an Theatern beschäftigt waren, konnten die Partien Hasses nicht ohne große Mühe oder Änderungen bewältigen. Hasse kannte ja die Stimmen von jedem einzelnen Kastraten und jeder einzelnen Sängerin. Er schrieb ihnen entsprechend deren Fähigkeiten die Partien auf die Stimmen.

 

Hasse hat also den Sängern die Partien auf den Leib geschrieben.

Woyke: Er hat gesagt: Er hat die Stimmen eingekleidet. Damals unterschieden sich die Stimmen der Sängerinnen und Sänger untereinander viel mehr als heute, weil jeder Sänger entsprechend seiner Anlagen individuell gefördert wurde und eine eigene, in vielen Jahren der Ausbildung erworbene Verzierungstechnik hatte, die er im Moment der Aufführung anbrachte, so dass auch jeder Abend anders war und ein besonderes „Event“ darstellte. Die Sängerinnen und Sänger waren deshalb auch sehr mitbeteiligt an der Aufführung einer Oper – viel mehr als heute.

 

Das Beherrschen der Verzierungstechniken ist ja in der Zeit von Wagner und Verdi verloren gegangen.

Woyke: Gar nicht so sehr wie wir denken. Da gibt es auch noch sehr viel zu entdecken: Auch die Opern von Wagner und Verdi wurden sicherlich seitens der Sängerpersönlichkeiten sehr individuell und auch mit Zusätzen, die im letzten Jahrhundert wenig Aufmerksamkeit gefunden haben, musiziert. Aber im Vergleich zum 18. Jahrhundert wurden der Komponist und somit der Notentext in der Tat immer wichtiger und somit „nobilitiert“. Das ist auch eine Schwierigkeit bei der Aufführung von „Artaserse“. Die Musik von Hasse, die wir haben, ist nur ein ganz kleiner Teil dessen, was eigentlich erklungen ist, weil die Sänger genau wussten, was sie da noch alles hinzufügen konnten, durften und wollten.

 

Wie erklären Sie sich, dass Hasse seit einigen Jahren doch so etwas wie eine Renaissance erlebt?

Woyke: Nicht nur die Kirchenmusik, sondern auch die Opern Hasses werden mittlerweile in ganz Europa und weltweit gespielt. Gerade in den letzten Jahren hat es da eine große Entwicklung gegeben. Es gibt jetzt wieder viele gut ausgebildete Countertenöre – zwar keine Kastraten, aber doch Männer mit hohen Stimmen, die vor allem die Partien Hasses hervorragend beherrschen. Ein weiterer Grund dürfte sein: Vor einigen Jahren wurde die Johann Adolf Hasse-Stiftung gegründet, die neben der Hasse-Gesellschaft München und zahlreichen „Hasse-treuen“ privaten Mäzenen viel fördern kann. Hauptsächlich aber wird Hasse auch ohne Geldgeber gespielt – einfach, weil es sich um gute Musik, die vom Publikum geschätzt wird, handelt.

 

Worum geht es bei dem Symposion an diesem Wochenende?

Woyke: Am Freitag liegt der Schwerpunkt auf „Artaserse“, mit einer Podiumsdiskussion mit Mitgliedern des Produktionsteams der Oper von der Theaterakademie August Everding. Am Samstag man wird man sich unter anderem der Frage widmen, wie das Erklingen von Hasses Musik die Forschung weiter voranbringen kann – Stichwort „Künstlerische Forschung“ – und es werden künftige und kürzliche Hasse-Aufführungen analysiert.

 

Ein Vortrag beschäftigt sich ja mit dem Thema „Hasse hören, aufführen, verstehen: Perspektiven des Komponisten im neuen Jahrhundert“...

Woyke: Der Einführungsvortrag des wohl bekanntesten Hasse-Experten Raffaele Mellace informiert darüber, wie präsent Hasse zur Zeit in Aufführungen, aber auch im Netz – etwa auf Youtube – oder in Einspielungen ist und deutet Chancen und Probleme der aktuellen Hasse-Rezeption wie Hasse-Forschung an. Sie können etwa eine Aufführung von „Artaserse“, die kürzlich in Italien gegeben wurde, abrufen und zahlreiche Opernarien genießen – versuchen Sie es einmal mit Einspielungen der Mezzosopranistin Vivica Genaux.


Info: Am Sonntag, 15. April, gibt es um 11 Uhr im Schloss Thurnau ein Konzert der Accademia di Monaco: Musikalische Metamorphosen eines Arientextes aus Metastasios Artaserse in Vertonungen von J. A. Hasse, N. Jommelli, W. A. Mozart, L. Vinci und anderen.

Autor