Datenschutz: Streitgespräch ohne Streit

Von Wolfgang Karl
Der Netzaktivist Daniel Domscheit-Berg (links) und der stellvertretende Bild-Chefredakteur Nikolaus Blome diskutierten bei den Bayreuther Dialogen. Archivfotos: dpa Foto: red

In Bayreuth wird einmal mehr kräftig diskutiert. Nein: Nicht über die Graserschule, das neue Sparkassengebäude oder die ständigen Baustellen, sondern über die große Politik, Wirtschaft und Philosophie. Die Bayreuther Dialoge an der Uni verstehen sich als Zukunftsforum. Es sollen „Interessante mit Interessierten“ ins Gespräch kommen – so steht es auf der Website. Zum Thema Datensicherheit versprach das Aufeinandertreffen des prominenten Netzaktivisten Daniel Domscheit-Berg mit dem stellvertretenden Bild-Chef Nikolaus Blome ein spannendes zu werden. Aber es kam anders.

 
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Einige hundert Interessierte sitzen bei der zentralen Podiumsdiskussion, die an der Uni stattfindet. Am Samstagnachmittag erwarten sie Erhellendes zu einem Thema, dass immer noch einigermaßen unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung fliegt: Big Data – Chance oder Risiko? Die Interessanten, das sind Unisprecherin Anja Maria Meister (Moderation), Vera Schmitt (Studentin), Daniel Domscheit-Berg (Netzaktivist), Nikolaus Blome (Stellvertretender Chefredakteur der Bildzeitung) und Denny Vorbrücken (Kriminalpolizist).

Ein TÜV für Software

Welche Daten werden von wem zu zu welchem Zweck erhoben? Was wird dann damit gemacht? Mit Daniel Domscheit-Berg haben wir dazu einen ausgemachten Experten auf dem Podium sitzen. Einer, der weiß, welche Spuren man im Internet hinterlässt – und wer diesen Spuren so folgt.

Er kommt im Laufe der Debatte zu einer interessanten These: Die digitale Marktwirtschaft bräuchte einen TÜV für Software. Welche Apps sind sicher und spionieren mich am Ende nicht aus? „Bei der Autoreparatur können sie ja auch nicht das Auto auseinanderbauen, um zu sehen, ob der Mechaniker gute Arbeit geleistet hat. Es muss jemand anderen geben, der das für Sie sicherstellt.“ Ein digitaler Verbraucherschutz sei aber nicht in Sicht. Dabei könne inzwischen niemand mehr überblicken, was auf seinem Handy vor sich geht. Transparenz? Fehlanzeige.

Datensicherheit - der Bevölkerung einfach nicht wichtig

Eine erschreckende Vorstellung, über die viele wohl lieber gar nicht erst nachdenken. Nikolaus Blome stellt fest, dass Datensicherheit der Bevölkerung nicht wichtig sei. Der Bundestagswahlkampf habe das gezeigt. Blome sollte es wissen: Schließlich sei die Datensicherheit noch nie ein wichtiges Thema seiner Zeitung gewesen, wie aus dem Publikum angemahnt wird.

Von Denny Vorbrücken will Moderatorin Anja Maria Meister vor allem eines wissen: Welche Daten erhebt der Staat von uns – und geht er verantwortungsvoll damit um? Vorbrücken arbeitet für das Bundeskriminalamt und ist Geschäftsführer des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Einer vom Fach – und jemand, der auch mal für einen launigen Spruch sorgt. Sorgen über Datenverlust bei der Behörde brauche man sich keine machen, „schließlich senden wir die meisten unserer Akten immer noch auf Papier mit der Post.“

Schlechte Kommunikation zwischen den Landeskriminalämtern

Haben die Behörden deswegen den Fall Amri nicht im Vorfeld verhindern können? Hier fällt Vorbrücken ein vernichtendes Urteil: „Wir haben in Deutschland 16 Bundesländer mit 16 verschiedenen Datensystemen, und die alle reden nicht miteinander.“

Solle man da nicht mehr in den Aufbau der Systeme investieren, damit diese lernen, mit den vorhandenen Daten umzugehen – bevor man beim Gesetzgeber nach mehr Daten verlangt, derer man ja doch nicht Herr werden könne? Die Frage kommt von Daniel Domscheit-Berg. Auf diesen Einwurf reagiert Vorbrücken souverän resigniert: Die Polizei sei da auf einem richtig guten Weg – seit einigen Monaten.

Den Datenströmen fehlt die Transparenz

Als Akademiker könne man das Thema staatlicher Datensammlung ohnehin entspannt sehen, sagt Vorbrücken: „Mit höherem Akademisierungsgrad geht die Wahrscheinlichkeit, Gegenstand polizeilicher Maßnahmen zu werden, immer weiter gegen Null, so die Statistik.“

Die vierte Disputantin im Bunde ist Vera Schmitt, eine Studentin, die sozialen Organisationen dabei hilft, ihre Datenanalysefähigkeiten zu verbessern. Sie sagt, fehlende Transparenz in unseren Datenströmen sei das größte Problem – eine These die grundsätzlich von allen geteilt wird. Schließlich streift die Debatte noch das Thema Privatsphäre, was für einen Moment der Ratlosigkeit sorgt: Ja, die Privatsphäre sei wichtig, ein Grundrecht. Privatsphäre – das macht einen Menschen doch erst zum Individuum. Aber warum geben die Leute heutzutage freiwillig so viel von sich preis? Darauf kann keiner so recht eine Antwort geben.

Nur wer alles von sich postet, wird wahrgenommen

Nikolaus Blome, der mitunter spricht als sei jeder Satz eine Schlagzeile, komprimiert das Dilemma zwischen dem Recht auf Privatsphäre und dem digitalen Exhibitionismus unserer Zeit gekonnt: „Früher brauchte man den Schutz der Privatsphäre, um sich als Individuum verwirklichen zu können. Heute denkt jeder: Nur, wenn ich alles preisgebe, werde ich als Individuum wahrgenommen.“ Dieser gelungenen Analyse setzt Blome allerdings noch einen Satz in der Tradition seines Arbeitgebers hinzu: „Wenn jemand ständig sein Essen fotografiert und online stellt, braucht sich nicht wundern wenn einer sagt: ‚Jetzt weiß ich, warum du so fett bist.‘“

Die Debatte – sie bleibt am Ende etwas hinter den Erwartungen zurück, wurde es doch ein Streitgespräch ohne Streit.

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