Das Ukraine-Tagebuch „Die Damm-Sprengung konnte man schon vor Monaten voraussehen“

Thomas Simmler Foto: privat

Thomas Simmler erlebt in der Ukraine, wie verheerend die Folgen des zerstörten Kachowka-Staudamm wirklich sind: Nicht nur der Wassermangel, auch die Angst vor einem Atom-Gau treibt die Menschen umher.

 
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Die Menschen außerhalb der Ukraine haben das Ausmaß noch nicht verstanden. Im Süden bei Nowa Kachowka wird alles überflutet. Das aufgestaute Wasser des Flusses Dnipro aus dem Kachowka-Stausee ist eine ökologische Lebensader der Ukraine. Mein Haus steht 200 Kilometer flussaufwärts entfernt: Die ersten Erdbeeren, Wassermelonen, Kartoffeln der Saison werden mit diesem Wasser versorgt.

Bis diese Wasserversorgung wieder aufgebaut wird, vergehen Jahre. Die Landwirte und Gärtner in der Steppenregion zwischen Cherson und Melitopol verlieren ihre Lebensgrundlage. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat schon einen Krisenstab einberufen, weil die ganze Region von einem Wassermangel bedroht ist.

Der Stauseespiegel ist bereits unter die kritische Marke gesunken. Experten vermuten, er könnte auf drei Meter heruntersinken. Es gibt jetzt schon Probleme mit der Trinkwasserversorgung in Städten wie Krywyj Rih, Marganez und Nikopol. Und dann haben wir das nächste Problem: das Atomkraftwerk Saporischschja weiter nördlich. Die internationalen Atomenergiebehörden sehen noch keinen Grund zur Sorge, aber sobald der Stauseepegel zu niedrig ist, kann das Wasser nicht mehr zum Kraftwerk gepumpt werden. Und es somit nicht mehr kühlen!

Die Ukrainer tragen das mit Fassung, sie sind nicht schockiert. Die Sprengung des Staudamms konnte man schon vor Monaten voraussehen – so wichtig, wie er für die Wirtschaft des Landes und das AKW ist. Der Weltsicherheitsrat, in dem ja auch Russland vertreten ist, hätte eingreifen können, aber jetzt ist es zu spät. So sieht man, was passieren kann, wenn man nicht handelt. Jetzt wissen wir wieder nicht, was in den nächsten Wochen auf uns zukommt.

Hans-Thomas Simmler aus Mainleus hält sich seit mehr als einem Jahr in der Ukraine auf. Nach Angriffen der Russen in der Nähe des Atomkraftwerks Saporischschja ist er nun im Kurort Truskawez im Westen des Landes untergekommen.

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