Das Ukraine-Tagebuch „Die Angst hört nie auf“

Thomas Simmer mit seiner Tochter Sofia und Mutter Irina. Foto:  

Der aus dem Raum Kulmbach stammende Thomas Simmler hält sich seit Kriegsbeginn im Süden der Ukraine auf – wenige Kilometer von der Front entfernt. Diesmal erzählt er, warum die schlimme Situation wenigstens einen großen Vorteil für ihn hat.

 
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Das Leben hier ist wie zweigeteilt. Der Sommer ist da, die Gärten blühen, die Kinder haben Ferien. Einerseits ist also so etwas wie Normalität eingekehrt. Auf der anderen Seite stehen die Russen zehn Kilometer entfernt. Die Angst ist unser täglicher Begleiter – sie hört keine Sekunde auf. Solange die Südfront hält, muss ich, müssen wir nicht zwingend weg. Aber jedem ist klar, dass sich die Lage ganz schnell ändern kann. In den vergangenen Tagen hat es in den nahen Großstädten Dnjepro und Saporischschja Raketenangriffe gegeben, bei denen Menschen ums Leben gekommen sind. Die Angst spielt also immer mit – so wie es die Russen auch wollen. Deshalb bombardieren sie ein Einkaufszentrum. Sie zeigen uns: Der Krieg ist überall, es kann jeden von euch treffen. Zu jeder Zeit, an jedem Ort. In Dnjepro gibt es ein riesiges Einkaufszentrum. Ich bin dort oft gewesen. Viele Menschen gehen da auch jetzt einkaufen – ich ganz sicher nicht.

Unsere Stadt ist wie eine Festung gesichert. Wie viele andere auch. Ich weiß das, weil der Mann einer Bekannten daran mitgearbeitet hat. Auf diese Weise bekommen wir einiges von dem mit, was hier läuft. Allerdings läuft die Bahnstrecke ganz in der Nähe vorbei. Da wird gewaltiger Nachschub an die Front geliefert. Ein Angriff dort ist jederzeit möglich.Ich beobachte die Situation jeden Tag und wäge immer wieder aufs Neue ab. Auf Dauer kann und werde ich nicht hier bleiben, aber im Moment ist es der richtige Platz in meinem Leben. Und so komisch es klingt: Es hat eine sehr schöne Seite. Ich erlebe zum ersten Mal, wie eines meiner Kinder aufwächst. Bei meinen beiden Großen war ich ständig beruflich unterwegs. Jetzt sitze ich im Garten und schaue zu, wie unsere Tochter mit Freunden spielt. Natürlich frage ich mich: Was soll aus ihr werden in diesem zerbombten Land? Hat sie hier eine Perspektive, wenn sie älter wird? Es wird schwer. Aber wie die Zukunft genau aussehen wird, das weiß heute niemand hier. Protokoll: awu

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