Connolly: Zwangsehen sind abstoßend

Von Wolfgang Karl
Getriebene Götter: John Lundgren als Wotan, Sarah Connolly als Fricka. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Foto: red

Sarah Connolly singt  bei den Bayreuther Festspielen in Frank Castorfs Inszenierung des "Rings" die Rolle der Fricka. Mit dem Kurier sprach sie über Eheprobleme bei Göttern und Menschen, über Verletzlichkeit und ausgleichende Gerechtigkeit, Aggressivität und Geschrei. Und über Wagner, den großen Psychologen.

 
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Guten Tag, Commander Conolly.

Sarah Connolly: Oh ich bitte Sie! Das ist wahrlich zu viel der Ehre.

Dennoch ist „Commander oft he British Empire“ keine ganz alltägliche Auszeichnung.

Connolly: Nun, das nicht. Es ist sicherlich eine große Ehre. Aber ich definiere jetzt sicherlich nicht mein Leben darüber. Aber schön, dass Sie das wissen.

Auch nicht ganz alltäglich ist Ihre Rolle, vereinen Sie als Fricka doch Profanes mit Heiligem: Immerzu zeitgemäße Eheprobleme – jedoch die einer Göttin. Wie geht das zusammen?

Connolly: Ich glaube, für Wagner war dieses Ehedrama eine Reflexion seiner eigenen Ehe mit Minna. Er hat sie [Fricka und wohl auch Minna, Anmerkung] nicht ungerecht behandelt: Dafür hat er Fricka in beiden Opern viel zu schöne Musik gegeben. Das ist auch eine Sache des Respekts: Er schrieb ihr Musik voll von edlem Ausdruck – wohl auch, weil er fühlte, dass sie als Göttin über den Dingen der Sterblichen stehen sollte. Er gab ihr also Musik von einer ganz anderen Art als der Brünnhildens und unterstrich so ihren Status als Göttin – aber das, was sie eigentlich sagt, ist allzu menschlich.

"Mit Eleganz und gutem Geschmack"

Wie nähert man sich dieser ambivalenten Rolle?

Connolly: Ich behandle Wagners Musik mit Eleganz und gutem Geschmack – sie ist kein Fischerweib, sondern Göttin. Also versuche ich möglichst immer Legato und, wo immer es möglich ist, Belcanto zu singen. Dann gibt es aber noch diese rezitativen Teile, wie: „Mit tiefem Sinne willst du mich täuschen: was Hehres sollten Helden je wirken, das ihren Göttern wäre verwehrt, deren Gunst in ihnen nur wirkt?“ An diesen Stellen versuche ich, beinahe zu sprechen, nicht zu sehr zu singen. Dadurch wirkt sie dann geradezu menschlich. Das macht es interessant für die Zuhörer.

Das zeigt auch Wagner als großen Psychologen: Die Göttin ist nicht gerüstet gegen die Eifersucht.

Connolly: Ja, wenn sie Wotan sagt, sie beobachte ihn: „Wo in den Bergen du dich birgst, der Gattin Blick zu entgehn“ – da ist sie dann ganz Ehefrau, das ist schon sehr menschlich.

Kann man den Wotan in seiner Untreue nicht auch verstehen? Für uns Sterblichen heißt es immerhin „bis, dass der Tod euch scheidet“ – er muss ewig mit derselben verheiratet bleiben.

Connolly: Und dennoch fragt sie ihn ständig, warum er es nur tut. In ihrer Eigenschaft als Götter gehen sie deswegen auch sehr kalt miteinander um. Nur in den profanen Dingen agieren sie als Partner, zum Beispiel, wenn sie von ihm verlangt, das Gold zurückzubringen.

"Wagner wollte Stärke und Wut"

Sie sind mehr Geschäfts- denn Ehepartner?

Connolly: Nun ja, weil sie ja die anderen tolerieren muss. Allerdings würde sie jederzeit alle Macht und alles Gold gegen seine Treue eintauschen. Aber nachdem sie die Walküren, die Rheintöchter und Erda tolerieren muss, wachsen in ihr die Gedanken, Wotan eine Falle zu stellen. Sie überrumpelt ihn in der „Walküre“ mit seinen eigenen Worten – und das macht sie nicht als Hüterin seines Haushalts, sondern als Göttin, als Politikerin, die gehört werden will, um eine Ideologie zu schützen. Meine Aufgabe ist es, das Ganze ansprechend, sanft, mitunter romantisch zu gestalten.

Also ist die Balance zwischen ihrer Stärke und ihrer …

Connolly: … Verletzlichkeit die eigentliche Schwierigkeit? Nun, seitdem ich hier bin, sagen mir die musikalischen Leiter, ich würde sie ein wenig zu verletzlich erscheinen lassen. Aber ich möchte nicht den Fehler machen, den viele Frickas machen: Auch wenn sie wütend wird, ist sie eben nie vulgär. Das habe ich öfters auf CDs gehört – natürlich mit der Ausnahme von Christa Ludwig, die nie vulgär sein konnte. Das führt zu hässlichen Tönen, aggressivem Gesang, Geschrei. Das ist nicht, was Wagner wollte: Er wollte Stärke und Wut, aber…

… die Drohung liegt im Unterton, er wollte kein zeterndes Weib.

Connolly: Sie ist eben eine sehr komplizierte Frau. Nie hat sie nur eine Farbe wie Rage, Empörung, oder bösartige Rachsucht. Wenn man nur eines darstellt, wird es wirklich langweilig. Also versuche ich immer, zwischen den Farben zu wandeln. Zum Beispiel gibt es bei ihr echtes Leid – oder manipulative Darstellung von Leid.

"Sie ist ein wenig wie verarmter Adel"

Man hat bei ihr jedoch immer das Gefühl, sie führe eine Liste.

Connolly: Ja! Sie ist wie ein Anwalt. Da geht es immer um ausgleichende Gerechtigkeit. Zumindest in der „Walküre“.

Interessanter Punkt: Das sind ja zwei Entwicklungsstufen der Person. Ist das schwierig in der Darstellung?

Connolly: Nicht für mich. Ich mag dramatische Herausforderungen, sonst bin ich gelangweilt. Ich glaube, sie ist im "Rheingold" einfach jünger, naiver…

… aber dennoch nicht seicht …

Connolly: … oh doch! In dieser Produktion auf jeden Fall. Aber auch generell: Ich versuche sie zwar nicht seicht zu spielen, aber eigentlich geht es ihr nur ums Gold. Sie denkt da sehr praktisch: Mit diesem Gold kann eben auch ihr Status gesichert werden. Sie ist ein wenig wie verarmter Adel. Nicht billig, aber statusbewusst.

"Zwangsehen finde ich abstoßend"

Wo war der Punkt, an dem Fricka die Kontrolle verloren hat?

Connolly: Ich glaube, als sie realisierte, dass Inzest stattgefunden hat. Wagner ließ das für Fricka die unüberschreitbare moralische Grenze sein. Das kommt ganz tief aus ihren Eingeweiden. An der Stelle muss ich mir überlegen, was für mich zutiefst ekelhaft ist, um das nachfühlen zu können.

Und zwar?

Connolly: Nun, beispielsweise arrangierte Ehen zwischen sechzig, siebzig Jahre alten Männern und zwölfjährigen Mädchen, wie das noch heute in manchen Gesellschaften existiert. Das ist etwas, was ich als zutiefst abstoßend empfinde. Ich brauche aber so ein Bild, um nicht das Gefühl heucheln zu müssen. Was witzig ist, da ich ja auch Schauspielerin bin.

"Ein großer Mann, der gebrochen wurde"

Mehr als Sängerin?

Connolly: Nein, das nicht unbedingt. Allerdings habe ich mich viel mit dem Naturalismus und Stanislawski (Theatertheoretiker, der das Einswerden eines Schauspielers mit seiner Rolle fordert, Anm. der Red.) beschäftigt. Daher glaube ich zu verstehen, dass man zuerst das Gefühl für sich selbst finden muss, um dann zu verstehen, wie es Wagner an dieser Stelle möchte.

An mancher Stelle hat man das Gefühl, Fricka genieße den Streit mit Wotan richtiggehend.

Connolly: Oh, das tut sie sicher! Sie möchte, dass er sich immer weiter im eigenen Strudel aus Ausreden windet. Sie weiß vom Schwert im Baum, von seinem Plan. Das ist schon komödienhaft. Aber gleichzeitig ist sie angewidert von der Lächerlichkeit der Situation. Dabei versucht sie ihrer Aufgabe als Göttin gerecht zu werden: Einen moralischen Code zu entwickeln.

Wirklich? In all seinen Konsequenzen?

Connolly: Nein, das stimmt wohl. Am Ende geht es ihr nur darum, Walhalla zu schützen, also um ihre eigene Gier.

Eine Aufgabe, an der sie letztendlich scheitert.

Connolly: Ja, hat es aber geschafft, große Männer zu brechen. Ich glaube, da sind wir wieder bei Wagner, und wie er sich selbst sah: Als einen großen Mann, der gebrochen wurde von einer Frau, die ihn nie verstehen konnte.

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