Bayreuths spannendste Zeit

Von Michael Weiser

Es waren die Jahre, in denen in Bayreuth vieles möglich schien - am Grünen Hügel, in der Musikszene, aber auch in der Malerei. Die "Freie Gruppe" bildete sich 1951 aus vom Krieg nach Bayreuth versprengten Künstlern. Ab Sonntag erinnert eine Ausstellung im Kunstmuseum an diese spannende Zeit. 

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Eine flüchtiges Zeugnis nur, hingeworfene Graphitstriche und Kringel auf einem Blatt linierten Papiers; die Zeichnung stellt vier Männer dar, an einem Tisch sitzend, darauf ein Glas. Daneben eilig gekritzelt die Worte die „Gruppe“, dazu die Jahreszahl 1951. Der Wisch ist so etwas wie das formlose Gründungsdokument der wichtigsten Bayreuther Künstlervereinigung der Nachkriegszeit: der „Freien Gruppe Bayreuth“, der das Kunstmuseum eine Ausstellung widmet, die am Sonntag eröffnet wird.

Man darf sich fragen, bei welcher Gelegenheit die Zeichnung entstanden ist, in einer geselligen Runde vermutlich, eher jedenfalls als bei einer offiziellen Versammlung. Es war so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ohnehin Improvisieren angesagt. Wie für den Mann mit Baskenmütze: Ferdinand Röntgen war in Barmen Mitglied in der Gruppe „Die Wupper“ gewesen und durch den Krieg in Bayreuth gelandet. Am Grünen Hügel zimmerte er für sich und seine Familie eine Baracke, die er mit Blick aufs nahe Festspielhaus „Hundinghütte“ nannte. Diese Hütte wurde die Keimzelle für die „Freie Gruppe“ Bayreuth, an deren Anfängen neben Röntgen Maler wie Friedrich Böhme – der Zeichner jener Momentaufnahme –, Sawo Popowitsch Iwanow und Rudolf Jakubek standen.

In Bayreuth sammelten sich die Kriegsmigranten

In dieser Gruppe sammelten sich vorwiegend durch den Krieg entwurzelte Menschen. Sie wurde „für Bayreuth das, was die Gruppe ZEN 49 für die Bundesrepublik war“, wie Kunstmuseums-Chefin Marina von Assel kürzlich sagte. 1951 stellte die Gruppe zum ersten Mal aus, dreißig Jahre später, im Jahre 1981, fiel der Schlussvorhang: Spannende drei Jahrzehnte, für die Kunst, für die Stadt, auch für die Festspiele, eine lange Spanne zwischen Aufbruch und Null-Bock-Stimmung. Die einstmals Jüngsten dieser Gruppe, wie Fritz Föttinger oder Peter Coler, gehören längst zu den Veteranen der Bayreuther Kunstszene.

Beginn eines neuen Bayreuth

1951, mit den ersten Nachkriegsfestspielen, brachte Wieland Wagner Neu-Bayreuth auf den Weg. Und in der Gruppe versammelten sich bevorzugt die Künstler, denen unter der barbarischen Herrschaft der Nazis eine Fortführung ihrer Karriere versagt geblieben war. Unter ihnen Hanna Barth, die Frau von Herbert Barth, der kurz zuvor versucht hatte, ein Festival für Neue Musik in der Wagner-Stadt Bayreuth zu etablieren. Es schien vieles möglich in jenen Jahren in Bayreuth, Puccini im Festspielhaus ebenso wie ein eigenes Symphonieorchester hoher Qualität, das BSO, das aber nach einigen Jahren einging – ein Grund, warum Bambergs Symphoniker irgendwann alles in der Umgebung überstrahlen konnten. Auch Barth konnte seine Bayreuther Wochen für Neue Musik und sein Institut für Neue Musik nicht etablieren – doch legte er den Grundstein fürs Festival Jünger Künstler.

Anschluss an den Expressionismus

Währenddessen tasteten sich die vom Krieg nach Bayreuth Versprengten vorsichtig in die Zukunft. Viele der in München, Dresden, Leipzig oder Berlin ausgebildeten Künstler schlossen dort an, wo sie aufgehört hatten, im Expressionismus, den die Nazis als entartet diffamiert hatten. Die Farben sind oftmals gedeckt, matt, gar düster – was aber nicht unbedingt an der deprimierenden Nachkriegszeit lag, sondern an der Qualität des Materials, wie von Assel erklärt. Eine von der Farbigkeit her entfernt an August Macke erinnernde Waldszene Röntgens leuchtet förmlich heraus – eine Ausnahme.

Davon abgesehen bietet die Ausstellung eine große Vielfalt in Sujets, aber auch Bildsprachen. Da sind die feingestrichelten graphischen Arbeiten Karl F. Borneffs, die archaischen Plastiken Felix Müllers, die handwerklich wie atmosphärisch herausragenden Landschaftsbilder Ferdinand Röntgens, Bilder des vielseitigen Werner Froemel, die surrealistischen Arbeiten Caspar Walter Rauhs und Barabara Gröne-Trux’, die südlichen Bilder Anton Russ’, in denen sich das Gesehene bereits in geometrische Formen zu verflüchtigen scheint. Oder Arbeiten, die Hermann Rongstocks Vorzüge in der Graphik deutlich machen. Zu den ungewöhnlichsten Arbeiten zählt ein Materialbild von Barbara Riedel-Bayerlein.

Wie gerecht ist der Markt?

Die „Freie Gruppe“ im Kunstmuseum gehört zu den Ausstellungshöhepunkten des Herbstes. Nicht nur wegen der Vielfalt der ausgestellten Werke, nicht nur wegen die Vielzahl auch an Temperamenten. Auch das handwerkliche Niveau ist hoch. Man betrachtet die Arbeiten von Alfred Heinz Klettmann, des bereits erwähnten Caspar Walter Rauh – er war von Anfang bis Ende dabei und damit so etwas wie der Marathonmann der Gruppe – und vor allem von Hans Lewerenz und ertappt sich bei dem Gedanken, wie launisch und ungerecht der Kunstmarkt doch ist: Wer entschied eigentlich darüber, das solche Künstler mehr oder weniger in der Versenkung verschwanden? In Bayreuth darf man sie und viele anderen in den nächsten Wochen wiederentdecken. Und man sich überzeugen lassen, dass Schenkungen etwas Schönes sind – wie im Falle von Anton Russ; 200 Werke von seiner Hand stiftete vergangenes Jahr die Ehefrau des verstorbenen Künstlers, Christa Russ.

INFO: Bis 26. Februar, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr.

Kunstmuseum BAyreuth,

Bilder