Bayerns SPD-Chef im Kurier-Interview: Große Koalition ist "Riesenchance" für Sozialdemokratie Pronold: Unqualifizierte Fragen von Marietta Slomka

Von Peter Rauscher und Elmar Schatz
Wirft ZDF-Moderatorin Marietta Slomka vor, ihre eigenen Fragen nicht verstanden zu haben: Bayerns SPD-Chef Florian Pronold im Kurier-Interview. Eric Waha Foto: red

Eine neue große Koalition sei für die SPD kein Risiko, sondern Riesenchance, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, sagt Landesvorsitzender Florian Pronold im Kurier-Interview. Befremdet ist Pronold über ZDF-Moderatorin Marietta Slomka, die SPD-Chef Sigmar Gabriel interviewt hat; er wirft ihr „unqualifizierte Fragestellung“ vor.

 
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Waren die Fragen von Moderatorin Marietta Slomka im „heute-journal“ des ZDF zu dem SPD-Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag „Quatsch“, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel gesagt hat?
Florian Pronold: Das war’ s. Eine so unqualifizierte Fragestellung habe ich selten gesehen. Ich bin ja geplättet, wenn sich sogar Horst Seehofer auf die Seite von Sigmar Gabriel schlägt und die Form des Interviews kritisiert, auch wenn ich es falsch finde, dass Seehofer sich mal wieder beim ZDF beschwert.

Sie nehmen Seehofer zum Kronzeugen?
Pronold: Nein, es geht um Folgendes: Frau Slomka hat nicht verstanden, was sie gefragt hat. Unser Grundgesetz sieht die Mitwirkung der Parteien an der Willensbildung des Volkes vor. Koalitionsverträge werden zwischen Parteien geschlossen. Bisher haben nur Vorstände oder Parteitage über Koalitionsverträge abgestimmt. Der Unterschied ist nun, dass die SPD alle ihre Mitglieder befragt. Frau Slomka hat unterstellt, damit würde das unabhängige Mandat des Abgeordneten ausgehebelt. Das hat damit nichts zu tun. Es geht darum, ob Parteien eine Koalition bilden. Das entscheiden die Parteien selber. Völlig unabhängig davon ist das freie Mandat der Abgeordneten. Das ist gar nicht berührt.

Es gibt Verfassungsrechtler, die sagen, das könnte problematisch sein.
Pronold: Nur weil es einzelne Juristen gibt, die eine abwegige Meinung vertreten, muss ich mir die als Journalist nicht zu eigen machen. Ich erwarte von Top-Journalisten beim ZDF, dass sie Ahnung haben von der Grundordnung unseres Staates und wissen, dass Parteien Koalitionsverträge schließen. Sigmar Gabriels mehrfach sachlich vorgetragene Argumentation hat Frau Slomka einfach ignoriert. Ist es denn demokratischer, verfassungsgemäßer, wenn eine Gruppe von zehn Leuten als Parteivorstand oder ein kleiner Parteitag mit hundert Leuten über einen Koalitionsvertrag abstimmt oder ob es 470.000 Parteimitglieder sind? Das ist doch eindeutig demokratischer.

Werden andere Parteien den Mitgliederentscheid nachmachen, wenn er bei der SPD funktioniert?
Pronold: Wir setzten einen neuen Standard. Die Menschen, die sich heute in Parteien engagieren, wollen nicht bloß ihren Mitgliedsbeitrag zahlen. Sie wollen mitgestalten. Mehr Demokratie wagen heißt auch, nicht nur unsere Mitglieder bei der Erstellung des Wahlprogramms viel besser zu beteiligen, sondern auch bei dieser Entscheidung. Die Entscheidung über die Koalition ist zentral für die SPD – und für ganz Deutschland.

Sie glauben an eine Mehrheit für die große Koalition beim Mitgliederentscheid. Warum?
Pronold: Nach dem Wahltag habe ich volles Verständnis, dass sehr viele Mitglieder Bauchgrimmen hatten. Wir wollten Angela Merkel ablösen und nicht ihren Arbeitsvertrag verlängern. Seit Mittwoch ist klar, was die SPD tatsächlich in einer großen Koalition umsetzen kann, zum Beispiel bei der Rente und dem Mindestlohn, die (die Bayreuther Abgeordnete) Anette Kramme ganz hervorragend mitverhandelt hat.

Was verbuchen Sie als Erfolg?
Pronold: Beim Bereich Rente bin ich mir sicher, dass wir das mit Rot-Grün nicht hinbekommen hätten. Kein Mensch hat die Entscheidung von Schwarz-Gelb verstanden, dass Kindererziehungszeiten vor 1992 anders behandelt werden als nach 1992. Das haben wir korrigiert. Die unschätzbare Leistung der Mütter, die ihre Kinder großgezogen haben, wird jetzt wieder mehr gewürdigt.

Was noch?
Pronold: Jeder begreift: Wenn man 45 Jahre Arbeit auf dem Buckel hat, muss man abschlagsfrei in Rente gehen können. Menschen, die nicht mehr arbeiten können, die ihr Leben lang ihre Knochen hingehalten haben, brauchen eine vernünftige Erwerbsunfähigkeitsrente. Sonst fallen sie in die Armut. Hier haben wir im Koalitionsvertrag eine gute Lösung gefunden.

Und weiter?
Pronold: Ganz entscheidend: der Mindestlohn. Da darf ich erneut Anette Kramme loben, die hier maßgeblich mitgewirkt hat. 17 Einzelgewerkschaftsvorsitzende und der DGB-Bundesvorsitzende finden es richtig, dass der Mindestlohn eingeführt wird. Sie empfehlen den SPD-Mitgliedern, die Gewerkschaftsmitglieder sind, diesem Koalitionsvertrag zuzustimmen, weil sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen von vielen Menschen wirklich verbessern. Persönlich habe ich Bereiche verhandelt, die das Zusammenleben von Menschen in den Städten und im ländlichen Raum prägen. Die Städtebauförderung ist von Schwarz-Gelb zusammengestrichen worden – gegen den Willen von Kommunalpolitikern egal von welcher Partei. Dies haben wir im Sinne der Kommunen korrigiert. Wir bekommen die soziale Stadt wieder. Glasscherbenviertel werden dadurch zurückholt in die Stadtgesellschaft. Und wir haben die Mietpreisbremse durchgesetzt. Man kann nicht widersprechen, wenn der designierte FDP-Vorsitzende Lindner sagt, das sei ein rein sozialdemokratischer Koalitionsvertrag.

Muss die bayerische SPD nicht näher an den Menschen sein, um zu besseren Wahlergebnissen zu kommen?
Pronold: Viele unserer Punkte finden bei den Menschen eine Zustimmung von über 80 Prozent, etwa bei Mindestlohn, Mietpreisbremse, Verbesserung bei der Rente. Aus der letzten Koalition und Agenda-2010-Zeiten hängt uns aber nach: Es gibt Zweifel, dass wir, wenn wir an der Regierung sind, das Leben der Menschen besser machen können. Die große Koalition ist kein Risiko, sondern eine Riesenchance für die Sozialdemokratie, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Die Menschen werden sehen, dass wir das, was wir versprochen haben, in Regierungshandeln umsetzen – und so das Leben von vielen Hunderttausenden Menschen verbessern.

Hätte die bayerische SPD nach der Wahl in Bayern nicht eine neue
Führung gebraucht?

Pronold: Wir sind die einzige Oppositionspartei in Bayern, die zugelegt hat, aber nicht so viel, wie unser Ziel war. Da gibt es nichts schönzureden. Aber wir haben nach über 20 Jahren zum ersten Mal einen Trendwechsel. Es geht nach oben. Wir müssen gemeinsam Lehren aus dieser Wahl ziehen und besser werden.

Der Landrat von Regen, ein SPD-Politiker, war mit Sex in seinen Amtsräumen in den Schlagzeilen. Ist das tolerierbar?
Pronold: Auch ich habe sehr früh meine negativen Erfahrungen mit Herrn Adam Verhaltensweisen machen dürfen. Viele andere haben die jetzt auch gemacht. In der Vergangenheit habe ich mich zurückgehalten mit Kommentierungen, auch mit Richtigstellungen. Es hätte der SPD insgesamt geschadet, Streitigkeiten öffentlich auszutragen. Zu dem Sexskandal will ich mich nicht äußern, das ist Herrn Adams Sache.

Aber ist er für die SPD noch tragbar, wenn er sagt, er habe CSU gewählt, bei der Landtagswahl?
Pronold: Sicher bereut er das. Vor allem weil die CSU in den Koalitionsverhandlungen die Gleichstellung von Homosexuellen blockiert hat. Das hätte er auch schon vorher wissen können.


 

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