April 1945: Todesflug von Captain Ralston

Von Peter Engelbrecht
Siegfried Nützel untersuchte den Flugzeugabsturz. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Siegfried Nützel wird jenen 12. April 1945 nie vergessen. Sein Heimatdorf Mistelbach schrammte an diesem Donnerstag knapp an einer Katastrophe vorbei. Eine Thunderbolt P-47D der US-Air-Force stürzte damals brennend in den Ort – der Pilot kam ums Leben.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Nützel war viereinhalb Jahre alt, er wohnte im Bauernhaus Nummer 12 in Mistelbach. „Damals war oft Fliegeralarm. Wir sind häufig in den Keller unseres Bauernhauses geflüchtet“, erzählt der heute 77-Jährige in ruhigem Ton. Die Thunderbolt stürzte geschätzte 40 Meter vom Bauernhaus entfernt brennend zu Boden. „Das war eine mords Aufregung“, erinnert sich der frühere Verwaltungsbeamte, die Dorffeuerwehr sei ausgerückt. Zwei Tage später ist der Krieg in Mistelbach zu Ende, die US-Armee rückt ein.  

"Killed in action"

Was sich längst vergangen anhört, ist auf grauem Papier schwarz auf weiß nachzulesen. Einen ganzen Aktenordner voller Dokumente, Fotos und Notizen hat Nützel zusammengetragen. Die Unterlagen, die zum Teil aus US-Archiven stammen, enthalten auch den Namen des abgestürzten Piloten: James E. Ralston. Er war Captain (Hauptmann) der Air Force, starb mit 24 Jahren. „Killed in action“ notierten  amerikanische Militärspezialisten wenige Tage nach dem Absturz. Sie untersuchten den Flugunfall, hielten jede Einzelheit fest. Ralston gehörte zur 358th Fighter Group der  Air Force.

Zwei Augenzeugen

Die Amerikaner zitierten in ihrem Bericht auch zwei heimische Zeugen des Absturzes, nämlich Siegfried Simon und Lothar Ehrenfels. Das Flugzeug habe gebrannt, bevor es in ein Gebäude in Mistelbach gestürzt sei. Der Pilot wurde aus der Maschine geschleudert, Körperteile waren in der Nähe der Absturzstelle verstreut. Diese seien von französischen Zwangsarbeitern in einem Grab in der Nähe beigesetzt worden. Tage später seien weitere Körperteile gefunden worden, die in einem zweiten Grab bestattet wurden. Die sterblichen Überreste des Piloten wurden nach Nürnberg umgebettet und dann auf dem US-Militärfriedhof in Lorraine (Frankreich) beigesetzt. Nützel hatte das Grab vor Jahren besucht, es trägt ein weißes Marmorkreuz.  

Absturz um 17.05 Uhr

Ralston war an jenem 12. April 1945 um 16.10 Uhr in Mannheim/Sandhofen zu einem Aufklärungsflug in den Raum Bayreuth gestartet. Er hatte zwei Bomben mit einem Gewicht von jeweils 2,4 Zentner an Bord. Der Absturzzeitpunkt  wurde mit 17.05 Uhr angegeben. Der Pilot habe auf einer Straße einen Lastwagen angegriffen. Nach der Attacke habe sich eine Bombe unter dem linken Flügel teilweise ausgeklinkt und sei explodiert, ist den Unterlagen zu entnehmen. Die Maschine stürzte brennend zu Boden.

Enkel auf Spurensuche

Nützels Enkel, Stefan Schill, hatte sich in einer Facharbeit mit dem Titel „Das Kriegsende und ein Flugzeugabsturz 1945 in Mistelbach“ mit dem Unfall beschäftigt. Am 12. April 1945 habe es vormittags wieder Fliegeralarm gegeben, kurz danach seien tatsächlich vier amerikanische Aufklärungsflugzeuge über Mistelbach gekreist.

Daraufhin seien die Arbeiten auf den Feldern vorübergehend eingestellt worden, die Piloten wollten die Bevölkerung einschüchtern. Der Pilot der Thunderbolt sei von Mistelgau aus kommend auf Mistelbach zugeflogen, habe plötzlich an Höhe verloren, Feuer gefangen und sei Richtung Ortskern gestürzt.

Im Sinkflug habe er zunächst den Giebel der Scheune des Landwirts Georg Weidenhammer beschädigt, sei mit dem Sandsteinhaus von Anna Schiller kollidiert, habe starke Obstbäume geknickt, dann sei das Flugzeug an der Scheune Hausnummer 1 (heute Anwesen Willi Nützel) zerschellt.

Die Scheune, das Wohnhaus sowie Nebengebäude der Nachbarn brannten. Der Pilot sei aus dem Cockpit geschleudert worden, Körperteile und Flugzeugreste seien im Umkreis von 100 Metern verstreut worden, schrieb Stefan Schill, der im Zeitraum 2008/10 auch Zeitzeugen befragte.

Pilot stammt aus Iowa

Siegfried Nützel hat herausgefunden, dass Pilot Ralston am 5. August 1920 geboren ist. Er war mit Ehefrau Kathryn verheiratet, beide wohnten in der Stadt Cedar Rapids (US-Bundesstaat Iowa).

Unsere Zeitung nahm Kontakt zur örtlichen Tageszeitung auf. Diane Langton ist dort Journalistin bei „The Gazette“, recherchierte auf unsere Anfrage hin schnell und gründlich.

Nach ihren Angaben gab es am 27. April 1945 sogar eine Titelstory, wonach Captain Ralston bei einem Flugeinsatz in Deutschland ums Leben gekommen war. Der Sohn des Ehepaares, Richard Weston Ralston, sei zum Todeszeitpunkt fünf Monate alt gewesen. Er starb am 3. Juni 2003 im Alter von 58 Jahren.

Der Bruder des Piloten, Sergeant Weston D. Ralston, war Funker in einem B-17-Bomber der Air Force. Die einzige sichtbare Erinnerung an den Absturz vor mehr als 73 Jahren ist der Doppelstern-Motor der „Thunderbolt“ mit rund 2500 PS, der im Jahr 2000 bei Kanalarbeiten auf dem Anwesen von Willi Nützel gefunden wurde.

Der mächtige Motor ist im Museum für Kraft- und Zugmaschinen in Hummeltal ausgestellt. „Das Publikumsinteresse ist sehr groß“, berichtet Museumsleiter Ulrich Zschuppe.

Der Motor ist  stark beschädigt, befindet sich noch im Originalzustand.

Bilder