70 Jahre Verfassung: Hoegners Großtat

Von Michael Weiser
"Das hat sich nicht alles in der Steinzeit ereignet oder im finsteren Mittelalter": Alt-OB Dieter Mronz erinnert an die Nazi-Verbrechen und Bayerns Neustart unter Hoegner. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Ein Dokument, geboren aus der Verzweiflung, geschrieben als Grundlage für eine hellere und gerechtere Zukunft: Vor 70 Jahren wurde die bayerische Verfassung verabschiedet. Gefeiert wurde auch in Bayreuth - auf Einladung der Sozialdemokraten, die damit an die Verdienste Wilhelm Hoegners erinnerten.

 
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In München säumten noch immer Schuttberge die Straßen. Rußgeschwärzte Fassaden täuschten vor, dass ein Teil der Innenstadt die Bomben, wenn auch beschädigt, so doch überstanden hatte. Doch die Fenster gähnten leer, dahinter: wiederum nur Schutt, Ziegel, verkohlte Balken. München 1946, kurz nach der Stunde Null, eine Stadt in Schutt und Asche, mit dunkler Vergangenheit und fraglicher Zukunft. Wie die Stadt, so das Land.

Ein Land am Boden

Während die Zeitgenossen noch stritten, ob und wie die Stadt wieder aufzubauen sei, machten sich in der notdürftig gegen Wind und Wetter verschalten Aula der Ludwig-Maximilians-Universität einige Männer daran, das Fundament für die Zukunft des Staates zu legen. Hört sich pathetisch an, war aber so: Diese Männer, allen voran der sozialdemokratische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner arbeiteten daran, den Bayern im Chaos Ordnung zu geben und einen Weg aus dem Zustand höchster Beschämung und Erniedrigung zu weisen. Mit einer demokratischen Verfassung, die Fehler wie etwa in der Weimarer Republik vermeiden sollte. Hoegner hatte schon im Exil während der Nazi-Diktatur Grundsätze für eine Neuordnung Bayerns und Deutschlands niedergeschrieben und war von der US-amerikanischen Militärregierung mit der Vorbereitung einer Verfassung beauftragt worden.

Im Spätherbst 1946 waren Verfassungsvater Hoegner und seine Mitstreiter so weit, über das Dokument konnte in der Landesversammlung abgestimmt werden. Es war bitter kalt, mancher saß im Pelz gehüllt in der Aula, es wurde wacker geraucht – aber von den Umständen ihrer Entstehung abgesehen, wirkt die Verfassung des Freistaats nach wie vor zeitlos. Eben „70 Jahre alt, aber aktuell wie eh und je“, wie es der SPD-Landtagsabgeordnete Christoph Rabenstein bei der Verfassungsfeier der Sozialdemokraten im Glenk-Saal sagte.

Ansturm auf Verfassungsfeier

Es war voll dort, über 150 Menschen hatten sich in den dann doch nicht so geräumigen Saal gezwängt, es war, ganz anders als vor 70 Jahren in der Uni-Aula, warm. Treibhausklimawarm. Geraucht wurde vor der Tür. Auch mancher Nichtraucher ging gern mal an die frische Luft mit. Andere Zeiten halt.

Überhaupt, das muss man sich auch mal vorstellen: Hoegner, der Sozialdemokrat. Ministerpräsident des Freistaats! „Man glaubt es kaum“ sagte Rabenstein, und bemerkte mit einem Lachen, das fast wie ein   Schluchzen klang, dass man sich überlegen könne, ob man nicht auch Oppositionsjubiläum feiern wolle. Immerhin, ein bisschen regiere die SPD ja doch mit, darauf verwies Rabenstein, als er auf seine Federführung bei einer Verfassungsergänzung verwies: die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen im Freistaat, auf dem Land ebenso wie in der Stadt. Da hörte man es im Saal rumoren, ebenso als Landtagsvizepräsidentin Inge Aures sich dieser Forderung anschloss. Man müsse schon darauf hinweisen, "dass wir in Oberfranken genauso viel wert sind wie die in München und Nürnberg“. Beifall.

Vom Geist der Verfassung

Es trat ans Pult: Dieter Mronz. Der Alt-Oberbürgermeister von Bayreuth sprach viel von geschischte, von den Umständen damals, zur Stunde Null. Viel Geschichte. Allerdings: Dieter Mronz brachte diese Geschichte gut in die Gegenwart. Einfach, indem er einzelne Artikel der Verfassung vortrug. Und in der Gegenwart widerhallen ließ. Wofür Geld da ist, was die Verfassung zu Menschen sagt, die als Vertriebene Sicherheit suchen, sehr eindrucksvoll dort, wo die Verfassung etwas zum Zweck der Schule sagt: nicht nur Wissen und Können, auch Herz und Charakter solle sie bilden. Ach? Ach!

Mronz, vielleicht war es auch einfach der Text der Verfassung, schuf mit wenigen Worten einen Resonanzraum. Man horchte hinein, in diese Worte eines Hoegner. Was für eine Sternstunde der bayerischen Sozialdemokraten. Doch was ist davon übriggeblieben, also: von der Verfassung? Von diesen weisen Worten, die aufrechte Menschen, quer durch die damaligen Parteien, vereint durch die fürchterlichen Erfahrungen unter Hitler, fanden? Mronz erzählte viel davon, von den Bayreuther Sozialdemokraten etwa, die es wagten, Hitler zu kritisieren. Aber auch von der Bestürzung der jungen Generation in der Nachkriegszeit, als "uns vollends und tiefschürfend die Augen geöffnet wurden". Die Verbrechen von Nazi-Deutschland, der Rückfall in schlimmste Barbarei, "das hat sich nicht alles in der Steinzeit ereignet oder im finsteren Mittelalter", sagte Mronz. "Man kann's nicht fassen."

Pflichtlektüre Verfassung

Die bayerische Verfassung steht für den Neuanfang. Es lohnt, sich ihrer anzunehmen. Jeder Schüler bekommt den Text der Verfassung in die Hand gedrückt. Doch wer hat sie gelesen?

Viel ist von Politikverdrossenheit zu hören und zu lesen. Die Verfasssungsfeier aber war bestens besucht, der Glenk-Saal überfüllt. Muss doch ein gutes Zeichen sein, wenn die Menschen sich dafür interessieren. Damals in der Kälte, heute im Glenk-Saal. Im Sonnenschein und im Schatten, wie es ein irisches Lied sagt. Wäre halt schön, wenn sich nach den Festtagsreden noch mehr Menschen daran erinnerten. Gescheiteres darüber, wie ein Gemeinwesen zu ordnen sei, hat man seit dem kalten Dezember 1946 nicht mehr gehört. Hoegner und seine Mitstreiter hatten Argumente, die zeitlos zählen. So war's ein guter Feiertag, auch ohne Blaumachen.

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