2018 besteht die Stadt "rund 1100 Jahre" - Bürgermeister will so Diskussion anstoßen Pottensteiner feiern auch ohne Urkunde

Von Luisa Degenhardt
Die Stadt Pottenstein mitsamt ihrer Burg: Im nächsten Jahr soll sas 1100-jährige Bestehen gefeiert werden, doch nach Ansicht von Historikern gibt es keinen Beleg für eine Erstnennung im Jahr 918. Foto: Stadt Pottenstein Foto: red

Die Stadt hat 2018 zum Jubiläumsjahr erklärt. Gefeiert werden soll in diesem Zusammenhang auch das 1100-jährige Bestehen. Doch eine Urkunde, die eine erstmalige Nennung in diesem Jahr belegt, gibt es nicht. Weder im Staatsarchiv Bamberg noch bei der Stadt. Eine Spurensuche.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Im kommenden Jahr soll der Ort seit 1100 Jahren existieren. Die Stadtväter berufen sich auf die Wachter-Chronik. Friedrich Wachter war ein ehemaliger Pottensteinr Pfarrer, der sich mit der Stadtgeschichte befasst hatte. In seinem Werk nennt er das Datum 918.

Was fehlt, ist der Beleg

Es gibt allerdings ein Problem dabei: Eine so frühe Existenz des Ortes ist nicht belegt. Dass die Stadt im kommenden Jahr trotzdem feiern will, sorgt bei Historikern für Unverständnis und ein Stück weit auch für Amüsement. So auch bei Dr. Joachim Andraschke. Der Historiker und Namensforscher sitzt an diesem Tag berufsbedingt im Staatsarchiv Bamberg. Er hat promoviert über „Die germanisch-frühdeutschen Ortsnamen des Regnitz- und Obermaingebietes“. Andraschke bekommt zufällig von den Recherchen unserer Zeitung in Bamberg mit. Als die Jahreszahl 918 fällt, schaut er von seinem Laptop auf, dreht sich um und lacht.

"Das ist absurd"

„Das ist absurd, das gibt’s nicht“, sagt er. Denn die Orte, die bereits vor dem Jahr 1000 Erwähnung finden, seien „so gut wie alle editiert“. Der Bamberger sagt auch: „918 kann man getrost vergessen, weil die Überlieferungsdichte ziemlich gering ist. Das wüsste man.“

Ein Ausnahmefall

Ein Mitarbeiter des Staatsarchivs, der nicht namentlich in der Zeitung auftauchen will, sieht das genauso wie Andraschke. Die älteste Urkunde des Staatsarchivs stamme von 815, „das ist ein Ausnahmefall“. Und weiter: „Wenn 918 die Ersterwähnung wäre, dann wäre das bekannt.“ Das Staatsarchiv hat zahlreiche historische Dokumente über Pottenstein.

Nur Registratur, kein Archiv

Die Stadt selbst hat kein Archiv, sondern nur eine Registratur, wie Bürgermeister Stefan Frühbeißer betont. In dieser Registratur werden nur Verwaltungsunterlagen aufbewahrt. Auch Bernhard Lang, der sich seit 40 Jahren mit der Geschichte seiner Heimatstadt Pottenstein befasst, kann nicht nachvollziehen, wie man auf das Jahr 918 kommt. Seit Jahrzehnten recherchiert er in Archiven, Bibliotheken, auf Auktionen und Börsen. „Es gibt keine Gründungsurkunde“, sagt er, „mir persönlich ist überhaupt kein Hinweis bekannt, wo ganz explizit Pottenstein genannt wird“.

Unzuverlässige Quelle

Er sieht den ersten Beleg für die Existenz der Stadt im Jahr 1327, denn damals wurde Pottenstein im Rechtsbuch des Bischofs von Hohenlohe zu Bamberg erwähnt. Tatsächlich findet sich im Wikipedia-Eintrag – was keine zuverlässige Quelle ist, da jedermann dort Einträge verfassen kann – über die Stadt Pottenstein die Jahreszahl 918. Als Quelle dafür wird hier unter anderem ein Heft, verfasst von Jürgen Wächter, angeführt, das er zum Milleniumswechsel im Jahr 2000 verfasst hatte. Auch Friedrich Wachter nennt in seiner Wachter-Chronik, verfasst vor 1900, das Jahr 918.

Gegen Einfälle der Heiden

Wachter bezieht sich offenbar in seinem Werk auf Johann Looshorns „Die Geschichte des Bistums Bamberg“ von 1886. Darin heißt es: „In Forchheim [. . .] fertigte derselbe K. Konrad den 9. September 918 eine Urkunde aus, in welcher er [...] den Auftrag erteilte, in seinem Bisthume einige Bollwerke aus Festungen gegen die Einfälle der Heiden anzulegen.“

Kritiklos übernommen?

Bei Looshorn fällt in dem Zusammenhang auch der Name Botenstein. Er schreibt weiter: „[...] so ist man geneigt, ihre Erbauung mit diesem königlichen Erlasse in Verbindung zu bringen.“ Für Bernhard Lang ist das kein Beweis für die damalige Existenz von Pottenstein. „Wachter übernimmt Looshorn kritiklos“, sagt er.

Keine Auskunftsstelle

Das Staatsarchiv Bamberg bestätigt Langs Einschätzung. Der stellvertretende Leiter des Staatsarchivs, Johannes Haslauer, betont, dass die Einrichtung nicht dazu da sei, um Recherchen von Journalisten zu unterstützen. „Wir wollen vermeiden, dass wir zur Auskunftsstelle werden, denn es ist nicht unsere Aufgabe“, so Haslauer. Denn das Staatsarchiv kümmere sich um die Übernahme von Akten, das Erschließen und Verwahren derer.

Nur eine Mutmaßung?

Dennoch macht die Einrichtung in dem Fall eine Ausnahme, weil ihr Interesse durch die Recherchen geweckt wurde. Seit 200 Jahren werden im Staatsarchiv Akten gesammelt, die sich mit Anfragen zur Stadt Pottenstein befassen. Dabei geht es in einem Schriftwechsel aus den 1930er und 1940er Jahren darum, wie es zu der mutmaßlichen Erstnennung 918 kommen konnte. Auch Haslauer verweist auf Looshorns Werk. „Herr Looshorn hat vermutet, dass in dem Zuge Pottenstein entstanden sein könnte.“ Looshorns Mutmaßung sei durch keinerlei weitere Indizien bekräftigt.

So könnte es gewesen sein

Haslauer hat eine Erklärung dafür, wie es zu historischen Missverständnissen wie im Fall von Pottenstein kommen kann: Vielleicht war die Jahreszahl 918 damals noch als Mutmaßung formuliert. Spätere Generationen hätten dann womöglich auf das Wort „mutmaßlich“ verzichtet „und schon ist das als Fakt in der Welt“. Haslauer fasst zusammen: „Es gibt auf der Grundlage der Verzeichnisse unseres Archivguts keine Hinweise, dass es eine solche Erstnennung von 918 gäbe.“ Auch sein Chef, Archivdirektor Dr. Stefan Nöth, bestätigt das. Er geht vom Jahr 1070 als früheste Nennung Pottensteins aus und zitiert in dem Zusammenhang aus dem Werk Monumenta Boica III, das im Staatsarchiv verwahrt wird.

So sieht es der Bürgermeister

Stefan Frühbeißer, Bürgermeister von Pottenstein, weist darauf hin, dass die Stadt in 2018 mehrere Jubiläen begeht, darunter auch das 150-jährige der Feuerwehr. „Was speziell die Stadt Pottenstein betrifft, feiern wir rund 1100 Jahre, die Pottenstein existiert.“. Man habe den Bezug auf das Jahr 918 in der Wachter-Chronik. „Inwieweit der historisch belastbar ist, dazu gibt es verschiedene Ausführungen.“ Man wolle im Jubiläumsjahr 2018 betonen, dass die genaue Jahreszahl nicht belastbar existiert.

Nicht feiern ist keine Alternative

„Die einzige Alternative, die wir hätten, wäre nicht zu feiern. Das wollen wir nicht.“ Der Stadt gehe es darum, mit dem Festjahr mangels genauer Urkunden eine Diskussion anzustoßen, um dadurch nähere Informationen zu bekommen. Laut Haslauer mag es sein, dass eine intensive Forschungstätigkeit neue Erkenntnisse zur früheren Ortsgeschichte bringen kann. „Aber die können wir nicht von Amtswegen leisten, das müsste die Stadt Pottenstein vornehmen oder in Auftrag geben.“ Aktuell deutet alles darauf hin, dass es überhaupt keinen Beleg für eine Erstnennung in 918 gibt.