Sollte May tatsächlich bald zurücktreten und eine Parlamentswahl in Großbritannien anstehen, dürften die Konservativen noch stärker als bisher zur Partei der Brexit-Befürworter mutieren. Einem Brexit-Hardliner wie Ex-Außenminister Boris Johnson an der Spitze wäre es schließlich weit eher zuzutrauen, Wähler von Farage zurückzugewinnen als einem Gegner des EU-Austritts.
Auch in den Niederlanden, wo ebenfalls am Donnerstag gewählt wurde, mischen Europaskeptiker aus dem rechten Parteienspektrum die politische Landschaft auf. Mit Spannung wird dort das Abschneiden von Shooting-Star Thierry Baudet und seinem Forum für Demokratie (FvD) erwartet. Die Partei hatte im März erst überraschend die Provinzwahlen gewonnen und fordert ein Referendum über die niederländische EU-Mitgliedschaft - bei der letzten Wahl zum Europaparlament gab es die Partei noch gar nicht.
Die letzten Umfragen sahen in den Niederlanden die Rechtspartei FvD und die konservativ-liberale VVD von Ministerpräsident Mark Rutte gleichauf an der Spitze mit jeweils 15 Prozent. Auch für Rutte, der vor eineinhalb Jahren zum dritten Mal als Ministerpräsident antrat, ist die Wahl ein wichtiger Stimmungstest. Ihm werden in der Gerüchteküche der EU sowohl Chancen auf den Posten des Kommissionschefs als auch auf die Nachfolge von EU-Ratspräsident Donald Tusk nachgesagt. Er selbst dementierte jedoch bislang. Außerdem könnte sein Wechsel nach Brüssel mitten in der laufenden Regierungsperiode seine mit knapper Mehrheit regierende Koalition aus vier Parteien in Gefahr bringen.
Der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten für das Amt des Kommissionschefs, Frans Timmermans, rangierte in den jüngsten Umfragen mit seiner Partij van de Arbeid (PvdA) mit 13 Prozent lediglich auf Rang drei.
Bis zum Sonntag können rund 418 Millionen Menschen in den 28 EU-Mitgliedsstaaten 751 neue EU-Abgeordnete bestimmen. Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten wählen zum Abschluss am Sonntag.
Der Wahlausgang entscheidet nicht nur über die Sitzverteilung im EU-Parlament und die Chancen des Deutschen Manfred Weber auf den Posten des EU-Kommissionschefs. Es geht auch darum, wie die große Koalition in Berlin weiter zusammenarbeitet.
Der Sprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, sagte, die Europawahl sei "die größte grenzüberschreitende Wahl auf dem Planeten und eine Chance, über unsere Zukunft zu entscheiden".
Hohe Stimmanteilen für EU-kritische und rechtspopulistische Parteien könnten die Gesetzgebung und die Besetzung von Spitzenposten in Brüssel extrem kompliziert machen. Die großen Parteienfamilien der Christdemokraten und Sozialdemokraten müssen im Vergleich zur Wahl 2014 deutliche Verluste befürchten.