Wie ein Planer auf den Hund kommt

Von Michael Weiser
Der Planer und Bildermacher: Matthias Lippert bereitete die Oberfrankenhalle für den "Rienzi" vor, den er mit Videoinstallationen zum Leben erweekte. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Sänger, Dirigenten, Regisseure einer Operninszenierung kennt man in der Regel. Anders steht’s mit den Leuten hinter den Kulissen. Dabei geht’s ohne sie nicht. Manche von ihnen schaffen die Bilder, von denen das Publikum träumt. So wie Matthias Lippert.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Gerstengras ist bei gesundheitsbewussten Menschen gerade in Mode. Es soll viele Vitamine haben, den Cholesterinspiegel senken, Krebs vorbeugen, gegen freie Radikale helfen und vieles mehr. Eine echte Allzweckwaffe also, und nach Matthias Lipperts neuen Erkenntnissen darf man annehmen, dass damit das Potenzial dieses Wundergrases gerade erst angeschnitten worden ist.

Denn offenbar bringt das Pulver auch Bühnenbildner und Videokünstler auf Touren. Lippert zum Beispiel. Der suchte nach Bildern eines einstürzenden Himmels, für die „Walküre“, die demnächst in Minden Premiere feiert. Und er verdankt Gerstengras die zündende Idee. „Wir hocken gerade am Frühstückstisch, meine Frau will einen Löffel Gerstengraspulver ins Wasser rühren – da bleibt das Pulver oben liegen, bricht in Schollen ein, und schon hatte ich meine Idee.“

Brünnhildes Tränen in der Duschkabine

Lippert eilte nach dem Frühstück aus dem Haus, kaufte eineinhalb Kilo Gerstengraspulver und ein Aquarium, füllte es mit Wasser, häufelte in zigfaches der empfohlenen Tagesdosis Gerstengras darauf – und filmte mit Zeitlupe den Untergang der Pulverinsel, das Abbröseln, die nach unten treibenden Wolken, die wild umherziehenden Schlieren. „Und so bekam ich meinen einstürzenden Himmel für den Wotan-Monolog. Schon toll, wie solche Bilder entstehen.“ Wenn Alltag zum Mythos führt: Die Tränen der Brünnhilde zum Beispiel hat er beim Duschen an der Glaswand der Kabine entdeckt.

MatthiasLippert, Jahrgang 1970, geboren in Hof, denkt viel in Bildern. Bekannt ist er als Videokünstler, aber eigentlich, sagt er, ist das nur ein Teil seines Berufs, ein kleiner Teil sogar. Er unterstützt das Bühnenbild mit Videos, das schon. Manchmal prägen seine Videos sogar eine Produktion. Wie 2013, als er für den „Rienzi“ im Wagner-Jahr Bilder von Menschenmassen in die Architektur der Oberfrankenhalle projizierte.

Aber oft besteht seine Arbeit daraus, Konzepte für Regie und Bühne zu konzipieren, zu entwickeln und auf Praxistauglichkeit zu prüfen. Etwa bei der Inszenierung von „Tristan und Isolde“ von Katharina Wagner. „Mein Anteil war die technische Betreuung. Es fehlte da noch ein Technischer Direktor, und da war es mein Job zu gewährleisten, dass das technisch umsetzbar ist. Ich war also in der Planungsphase von Anfang an dabei.“

„Weltweit konkurrenzlos“

Fachleute wie Lippert überlegen, wo eine Schweißnaht ordentlich abgeschliffen werden muss, weil dort irgendwann ein Holzbrett akkurat aufliegen soll, sie haben aber auch das große Ganze im Blick. „Technik mit sehr viel Einfühlungsvermögen für die künstlerische Seite“, nennt er seine Spezialität. Seine Entwürfe am Computer sind von allen Seiten zu betrachten und so genau, dass ein Regisseur und seine Ausstatter schon in diesem Stadium wissen, wie sie dran sind. Bilder eben, wenn auch nicht für den Zuschauer, sondern für diejenigen, die ihrerseits Bilder schaffen.

Manchmal ist er auch so etwas wie der Zauberer der Bühnentechniker. Wenn bei Philippe Arlauds „Tannhäuser“ die Venus wie eine echte Göttin in den Hintergrund der Grotte flog, dann hatte ihr Lippert den Weg zur scheinbaren Schwerelosigkeit gebahnt: mit zwei Schienen zu den Seiten der Venus, an denen sie, unsichtbar geführt, in den Hintergrund gezogen wurde. Ein Trick, auch nicht viel anders als bei Illusionskünstlern in Las Vegas.

Kleines, familiäres Haus

Als Technischer Produktionsleiter fing Lippert bei den Bayreuther Festspielen an, realisierte dort schließlich Produktionen von Tankred Dorst, Stefan Herheim, Christoph Marthaler und Christoph Schlingensief. Er kennt das Festspielhaus gut und hält seine Dimensionen und Einrichtungen für ein wichtiges Argument dafür, dass Bayreuth noch immer und auf eine lange Zukunft hin einmalig ist. „Die Anlage ist von der Architektur her ein Glücksgriff, das ist ein Kapital, das man nicht totbekommt.“ Weil es anders als jedes andere Haus gigantische Umbauten erlaubt. Weil es ausgezeichnetes Personal hat. „Die können künstlerisch auf dem Niveau wie Staatsoper München arbeiten. Was die Technik betrifft, der Umfang und die Komplexität – da sind die Bayreuther Festspiele weltweit konkurrenzlos.“

Das Haus, an dem das nächste Projekt mit seiner Beteiligung über die Bühne geht, ist damit nicht entfernt zu vergleichen. Es ist genau genommen das Gegenteil von Bayreuth. Es ist nicht groß, es ist klein, sehr klein sogar, mit gerade 568 Plätzen und einer Bühne, die nicht mal halb so groß wie ein Tennisfeld ist. Und das Orchester muss auch noch darauf Platz finden, vom Geschehen lediglich durch einen Tüllvorhang abgetrennt.

Casting für Hunde

„Als ich das zum ersten Mal sah, dachte ich, ich sei im falschen Film“, sagt Lippert und lacht. „Aber einen Geist wie in Minden – danach kann man lange suchen. Diese Begeisterung für die Sache ist extrem stark.“ Muss sie auch sein: Die Mindener arbeiten mit sehr wenig Geld, Richard Wagner Verband Minden, das Stadttheater und die Nordwestdeutsche Philharmonie müssen ihre knappen Mittel gut einteilen.

Lippert arbeitet in Minden mit Philipp Schlößmann zusammen, ebenso wie beim „Tristan“ in Bayreuth. In Minden ist Lippert auch wieder mit eigenen bewegten Bildern vertreten. Mit dem besagten einstürzenden Himmel etwa und mit Brünnhildes Tränen. Und mit echten Hunden als Illustration für Hundings Hundemeute. Für ihn ein weiterer Triumph der Mindener Begeisterungsfähigkeit. „Wir haben also ein Hundecasting gemacht“, erzählt Lippert. „Es kamen viel mehr Hunde, als wir erwartet hatten.“

Bei aller Begeisterung darüber, wie’s in Minden läuft, bleibt Lippert dem Video gegenüber ein bisschen skeptisch. „Nicht, dass es dann Kino wird. Das wäre gefährlich. Es bringt nämlich immer eine andere Dynamik rein, weil im Film alles gleichzeitig passieren kann.“ Bilder, sagt er, „müssen etwas dazu geben, sie dürfen aber nicht ablenken“.

INFO: Die „Walküre“ in Minden feiert am 9. September Premiere. In Bayreuth ist Matthias

<embed src='http://www.matthiaslippert.de/JWPlayer/player.swf' height='520' width='945' allowscriptaccess='always' allowfullscreen='true' flashvars="&controlbar=over&file=http%3A%2F%2Fwww.matthiaslippert.de%2Ffilmsequenzen-www%2FRienziTreppe%2FRienziTreppe2.m4v&image=http%3A%2F%2Fwww.matthiaslippert.de%2Ffilmsequenzen<

Bilder