Wird zuviel operiert? - Kurier-Interview mit Dr. Gerhard Herrmann Was ein Reifen mit dem Knie gemeinsam hat

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Irgendwann kommt im Falle eines Falles der Moment, in dem man um ein neues Kniegelenk nicht mehr herumkommt. Doch bis es so weit kommt, lässt sich so manches tun - und mit ein bisschen Glück muss es gar nicht so weit kommen. Foto: red Foto: red

Viele Deutsche schwören auf alternative Heilverfahren. Sie fürchten sich vor einem „Zuviel an Herzkathetern, Rückenoperationen und Knieprothesen“, wie es der Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen dieser Tage mit Blick auf den 72. Homöopathischen Weltärztekongress in Leipzig formulierte. Wie sieht das jemand, der tagtäglich mit dem Thema Gelenkersatz zu tun hat? Der Kurier fragte bei Dr. Gerhard Herrmann, dem leitenden Arzt in der Abteilung für Orthopädische Chirurgie an der Sana-Klinik Pegnitz, nach.

 
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Herr Dr. Herrmann, operieren Sie zu viel?

Dr. Gerhard Herrmann: Ich lege großen Wert drauf, nur dann zu operieren, wenn ein Eingriff aus medizinischer Sicht angezeigt ist und der Patient einen Nutzen hat. Natürlich bin ich als Facharzt für Orthopädie und spezielle orthopädische Chirurgie operativ ausgerichtet. Ich beherrsche aber auch die nicht-operativen Behandlungsverfahren einschließlich der Chirotherapie, der physikalischen und rehabilitativen Therapie. Die lange Erfahrung bei verschiedenen Erkrankungen des Bewegungsapparates zeigt, dass der menschliche Körper über erstaunliche Selbstheilungskräfte verfügt, die sich durch nicht-operative Therapien wirkungsvoll unterstützen lassen. Viele Patienten sind in der Physio- und Ergotherapie zunächst besser aufgehoben als auf dem Operationstisch. Für die richtige Wahl der Behandlung ist aber eine genaue Untersuchung der Gelenke eine wichtige Voraussetzung. Dazu gehören auch moderne Verfahren wie die Kernspintomografie, mit der wir ohne Eingriff in die Gelenke schauen können. Diese Technik hat das Spiegeln der Gelenke so gut wie überflüssig gemacht.

Muskelaufbau hilft weiter      

Können nicht-operative Therapien die Beschwerden auch dann noch lindern, wenn bereits bleibende Schäden in den Gelenken aufgetreten sind?

Herrmann: Durchaus. Ja. Gelenke werden durch die Muskulatur geführt und entlastet. Es gibt zum Beispiel Untersuchungen zum Kniegelenk, dass eine entsprechend gut ausgebildete Oberschenkelmuskulatur die Belastung des Kniegelenks um 20 bis 30 Prozent vermindern kann. Ein Muskelaufbau im Bereich des Schultergelenkes ist ähnlich vielversprechend.

Das Arthrose-Problem

Sie sind unter anderem spezialisiert auf die Endoprothetik, also den Gelenkersatz. Ist dieser eine Ultima Ratio, also das letzte mögliche Mittel, oder eine von mehreren Behandlungsoptionen?

Herrmann: Hintergrund für einen Gelenkersatz ist in den meisten Fällen eine Arthrose, umgangssprachlich auch Gelenkverschleiß genannt. In Folge des Leidens verschleißt der Knorpel, der als eine Art Stoßdämpfer verhindert, dass die Knochen aufeinander reiben. Ist der Knorpel beschädigt, zeigen sich Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Zunächst einmal kann eine Arthrose lange Zeit beschwerdefrei bestehen. Dann gibt es keine Notwendigkeit für eine Operation.

Ist die Felge angekratzt, geht nichts mehr

Wenn ein Patient aber ohne Schmerzmittel nicht mehr zurechtkommt, in seiner Bewegung und Lebensqualität deutlich eingeschränkt ist und vor allem, wenn der Knochen bereits angegriffen ist, hilft es nicht mehr, zu warten. Dann ist der Gelenkersatz die Therapie der Wahl. Denn für ein gutes Operationsergebnis darf man auch nicht zu lang warten. Ich vergleiche das immer mit einem Autoreifen: Wenn der Reifen weg ist, könnte es noch gut gehen. Wenn aber die Felge schon angekratzt ist, dann ist der Zeitpunkt für den Gelenkersatz da.

Würden Sie Patienten raten, sich grundsätzlich eine Zweitmeinung einzuholen?

Herrmann: Ich sage meinen Patienten immer, dass ich nichts dagegen habe, wenn sie sich noch woanders erkundigen. Umgekehrt bekomme ich auch Patienten, die von mir eine zweite Meinung erbeten. Das sollte selbstverständlich sein. Schließlich müssen die Patienten die Behandlungsentscheidung tragen.                

Ein paar Jahre will er noch

Wie sieht eigentlich Ihre berufliche Zukunft hier in Pegnitz aus? Denn die Zahl von Ärzten in Ihrem speziellen Metier nimmt ja zu ...

Herrmann: Ich bin ja nicht nur Leiter der Fachabteilung Orthopädische Chirurgie, sondern arbeite auch im Medizinischen Versorgungszentrum. Das heißt, ich betreibe eine orthopädische Praxis hier in der Sana-Klinik und werde in diesen beiden Funktionen auch noch einige Jahre tätig sein. Mir ist es wichtig, dass die jüngeren Kollegen in der Klinik Zeit haben, sich einen Patientenstamm aufzubauen.

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