TTIP: Sahra Wagenknecht im Interview

Von Elmar Schatz
Auftritt in Bayreuth: Sahra Wagenknecht sprach bei einer Podiumsdiskussion an der Uni. Foto: Sanjar Khaksari Foto: red

Linke-Frakionschefin Sahra Wagenknecht hat in Bayreuth an einer Podiumsdiskussion des Studierendenparlaments teilgenommen. Thema: das europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP. Wir wollten von ihr wissen: Wann ist ein Mensch ein Kapitalist?

 
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Frau Wagenknecht, wie würde das Freihandelsabkommen TTIP unser Leben verändern?

Sahra Wagenknecht: Es würde in vielen Bereichen zu einer Absenkung von Verbraucherschutz- und Umweltstandards führen. Ein Beispiel: In den europäischen Kosmetika sind über tausend Substanzen verboten, die im Verdacht stehen, krebserregend oder giftig zu sein - in den USA sind es ganze elf. Das zeigt, wie unterschiedlich die Regulierung ist. Und was noch viel dramatischer wäre: Es werden Instanzen eingerichtet, die Parlamenten vorgeschaltet sind und über weitere Gesetzgebungsprozesse entscheiden. Das ist ein Angriff auf die Demokratie in ihren Grundfesten. Insoweit würde unsere Gesellschaft weniger Schutzrechte haben, weniger Verbraucherschutz, weniger Umweltschutz und vor allem auch weniger Demokratie.

Die Gewerkschaften kritisieren, dass auch die Arbeitnehmerrechte eingeschränkt würden.

Wagenknecht: Es besteht zumindest die Gefahr. Es ist so, dass in den USA in vielen Bereichen Arbeitnehmerrechte deutlich schwächer sind; die USA haben bis heute nicht einmal die internationalen ILO-Arbeitsnormen ratifiziert (ILO = Internationale Arbeitsorganisation). Gerade im Süden der USA ist es in Unternehmen nicht unüblich, gewerkschaftliche Aktivitäten zu unterbinden. Wenn solche Praktiken auch in Europa um sich greifen, wäre das eine sehr gefährliche Entwicklung.

Sie fordern „Freiheit statt Kapitalismus“, wann ist ein Mensch ein Kapitalist?

Wagenknecht: Mit Sicherheit nicht, wenn er ein Unternehmen gründet und sich mit Engagement dafür einsetzt, dass dieses Unternehmen Erfolg hat. Ich würde es mit dem österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter halten, der Unternehmer und Kapitalisten strikt unterschieden hat: Der Unternehmer lebt und arbeitet im Unternehmen und für das Unternehmen. Für den Kapitalisten ist ein Unternehmen nur ein Anlageobjekt, aus dem er möglichst hohe Erträge erzielen will.

Sie sagen: „Ich will Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“, wie muss man sich diese Marktwirtschaft vorstellen?

Wagenknecht: Der Markt ist ja schon ein ganz hervorragendes Mittel, Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen, wenn er funktioniert. Er kann allerdings nur funktionieren, wenn es echten Leistungswettbewerb gibt. Das heißt, wenn viele Anbieter konkurrieren. Und wenn er offen ist. Das heißt, wenn sich auch immer wieder neue Unternehmen etablieren können, wenn die alten zu träge, zu langweilig oder zu wenig innovativ werden. Dort, wo das gewährleistet ist, funktionieren Märkte oft sehr gut. Wo das nicht gewährleistet ist, gibt es oft Dumpingkonkurrenz; eine Konkurrenz, die zu Lasten der Arbeitnehmer, aber letztlich auch der Kunden ausgetragen wird. Das ist natürlich ein Problem. Dann gibt es Bereiche, in denen der Markt tatsächlich nichts zu suchen hat, weil dort eben nicht das Angebot danach rationiert werden sollte, welche Kaufkraft jemand hat. Da meine ich zum Beispiel Gesundheit oder Bildung. Auch die Versorgung mit Wohnraum sollte nicht über freie Märkte geregelt werden, weil das Grundbedürfnisse sind.

Haben Sie Verständnis für den Mittelstand?

Wagenknecht: Ich finde, wir sollten nicht nur in Sonntagsreden vom Mittelstand reden, das machen ja alle Parteien. Sondern man sollte auch eine Politik machen, die tatsächlich vor allem kleine und mittlere Unternehmen begünstigt. Da sehe ich große Defizite. Gerade die gesamte EU-Entwicklung ist eine, die vor allem die großen Konzerne gefördert hat, etwa mit den Ausschreibungsregeln, nach denen Städte und Gemeinden europaweit ausschreiben müssen. Das sind sicherlich keine Regeln, die die kleinen und lokalen Anbieter begünstigen. Mit TTIP würde das noch einmal verstärkt - zugunsten der größten Unternehmen. Das halte ich für ein Problem.

Sie sagen: „Ich hatte in der DDR deutlich mehr Ärger als Angela Merkel“ - welchen Ärger?

Wagenknecht: Ich durfte damals nicht studieren, was keine schöne Situation war. Ich habe mich ja damals schon als Sozialistin verstanden. Gerade das war meine Kritik an der DDR: Dass sie den sozialistischen Idealen in keiner Weise entsprochen hat. Mit dieser Kritik habe ich mich auch damals nicht zurück gehalten. Das hat dann zu Reaktionen geführt, und am Ende dazu, dass ich nach dem Abitur, und ich hatte ein sehr gutes Abitur, kein Studium aufnehmen konnte.

Sie lehnen es ab, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, warum?

Wagenknecht: Weil der Begriff zur Bezeichnung des Nationalsozialismus entstanden ist. Ein Unrechtsstaat ist ein Verbrecherstaat durch und durch, und nicht ein Staat, in dem Unrecht geschieht. Die DDR war ein Staat, der für sehr viel Unrecht verantwortlich war. Aber sie ist in keinem Fall mit dem deutschen Nationalsozialismus auf eine Ebene zu stellen.

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